Die Universität Hamburg benötigt eher neue Strukturen als einen neuen Präsidenten, sagt HWWI-Direktor Thomas Straubhaar.

Hamburg. Die Universität Hamburg steht vor einem personellen Neubeginn. Dieser Neubeginn bietet die Chance, viel grundsätzlicher über die Zukunft der Universität nachzudenken als nur darüber, wer nun in einer sehr heiklen Situation Präsident(in) werden soll.

Könnte es nicht sein, dass es zwar bei der Führung, der Kommunikation und bei den Reformen Probleme gab, dass aber die wahren Schwierigkeiten andernorts liegen? Dass sie weniger mit Personen, sondern mit Strukturen zu tun haben? Dass es auch nicht Hamburg-spezifische Probleme sind, sondern allgemeine Probleme einer Massenuniversität? Noch offensiver gefragt: Ist das Modell der "Universität" noch zeitgerecht?

Organisation und Strukturen der deutschen Universitätslandschaft entstammen einer Humboldt'schen Zeit kleiner, aber feiner Eliteuniversitäten. Studieren war einer kleinen schmalen Schicht vorbehalten. Für die Masse der Menschen war der Universitätszugang ein nicht zu erfüllender Traum. Die Folge war eine zweigeteilte Gesellschaft. Wenige Studierte bildeten die Oberschicht. Für die vielen Unstudierten gab es nur vereinzelt Möglichkeiten, aus der Bauer-, Arbeiter- oder Handwerkerschicht aufzusteigen. Meist wurden Bildungs- und damit Erwerbsbiografien unverändert von einer Generation zur nächsten vererbt.

Die Diskussion über "Bildung für alle" hat ab den 60er-Jahren richtigerweise versucht, diesen Missstand zu beseitigen. Mehr Kindern aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Familien sollte ein Studium ermöglicht werden. Richtigerweise deshalb, weil "mehr Bildung für alle" sowohl mikro- als auch makroökonomisch ein sinnvolles Ziel ist. Bildung ist eine zentrale Komponente für beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg. Sie ist der Schlüssel, um in der Einkommenspyramide auf eine höhere Ebene zu gelangen. Ein freier Bildungszugang eröffnet Chancen zum sozialen Aufstieg. Nur so kann möglich werden, den Teufelskreis der intergenerativen Armuts- und Klassenbildung zu durchbrechen.

Die Massenuniversitäten sind die Folgen der "Bildung für alle". Heute wirken sie wie Dinosaurier. Zu groß für eine Zeit der standortungebundenen, global und funktional organisierten Forschungsnetzwerke - wie sie dank Internet in der Praxis die Regel geworden sind. Zu massig in einem Zeitalter der verkürzten, verschlankten und verschulten Bachelorprogramme für die Massen, die wenig bis nichts mehr zu tun haben mit dem Anspruch der humboldtschen Gelehrtenuniversität.

Wo liegen heutzutage und in Zukunft die Vorteile von "Universitäten", die mehrere in der Sache völlig unabhängige Fachbereiche organisatorisch und meist auch räumlich unter ein gemeinsames Holding-Dach zwingen? Um gar nicht erst Missverständnisse aufkommen zu lassen, soll eines klargestellt sein: Es geht nicht darum, das Konzept eines interdisziplinären, die Grenzen der einzelnen Wissenschaft sprengenden Forschens und Lehrens infrage zu stellen. Gerade die vielschichtige Komplexität heutiger und kommender Herausforderungen machen vernetztes Denken, kultur- und fächerübergreifende Methoden sowie mehrdimensionale Ansätze unverzichtbar. Es geht lediglich darum zu fragen, ob Massenuniversitäten mit einer Vielzahl mehr oder weniger starr abgegrenzter Fakultäten organisatorisch fit und institutionell beweglich genug sind, um die Erwartungen an akademische Bildung und Wissenschaft bestmöglich bewältigen zu können. Und es geht um die Vermutung, dass innerhalb einer standortgebundenen Universität Fachbereiche institutionell und organisatorisch zusammengefügt werden, die wenig miteinander gemeinsam haben. Dann kommt es zu Spannungen und Konflikten statt Synergien. Dann dominieren Personalstreitigkeiten statt Sachfragen die Diskussion.

Früher war die räumliche Bündelung von Kompetenzen an einer Universität ein unschlagbarer Vorteil. Die Kosten waren schlicht zu hoch, geografisch weit auseinander liegende Teile der Lehre und Forschung zu koordinieren. Zunehmend erfolgt moderne Forschung jedoch in internationalen Netzwerken und bestenfalls selten, in der Regel jedoch kaum, mit Kollegen, die an anderen Fachbereichen derselben Universität tätig sind. Projekt- und themenspezifische, international und interdisziplinär zusammengesetzte Teams erweisen sich immer öfter als sachgerechtere Organisationsform. Sie erlauben, die bestgeeigneten Forscherinnen aus unterschiedlichen Fächern, Institutionen und Orten zusammenzubringen, und zwar genau so, wie es die Situation erforderlich macht. Das schließt ja nicht aus, dass die einzelnen Personen auch über längere Zeit an einem Ort zusammenfinden. Das sind dann aber nicht "Universitäten", sondern einzelne Fachbereiche oder Fakultäten, zunehmend auch Exzellenzcluster, Kompetenzzentren, Forschungsinstitute, (Fach-)Hochschulen oder Technologieparks.

Aber nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Ausbildung kommen Universitäten durch den Bologna-Prozess unter Druck. Universitätsabschlüsse unterstellen eine umfassende akademische Bildung und nicht nur eine berufliche Ausbildung. Neben wissenschaftlichen Methodenkenntnissen und Fachwissen gehört dazu auch eine fächerübergreifende - eben "universitäre" - Komponente, die zu Kritikfähigkeit, Kreativität und Forschungshunger führen soll. Getrieben durch die Forderung, schneller und praxisgerechter auszubilden und die Studierenden rasch und erfolgreich zu einem Erstabschluss zu führen, werden heutzutage die streng getakteten, standardisierten und in der Regel auf das Wesentliche des Kernfachs verengten "universitären" Studiengänge diesem Anspruch kaum mehr besser gerecht als die Studiengänge einzelner fachspezifischer (Fach-)Hochschulen.

Universitäre Abschlüsse sind immer mehr zu fachspezifischen Praxisabschlüssen geworden. Wieso also noch einen "universitären" Schein wahren, der längst seinen Glanz verloren hat? Wieso nicht anerkennen, dass es einzelne Fakultäten, (Fach-)Hochschulen, also "Schools" sind, die eigenständig und unabhängig von einer Universitätsholding attraktive Lehrprogramme entwickeln. Auch das schließt nicht aus, interdisziplinäre und internationale Module mit einzubauen oder Kollegen anderer Fakultäten vor Ort mit einzubeziehen. Ebenso können einzelne Fachbereiche in gemeinsamen Einheiten aufgehen. Dazu aber bedarf es doch keines generellen institutionellen Überbaus in Form einer "Universität".

Wieso also den bei der Universität Hamburg anstehenden personellen Neuanfang nicht nutzen, um mehr Innovation zu wagen? Wieso nicht den Fakultäten und den ohne jeden Zweifel vorhandenen international konkurrenzfähigen Forschungseinrichtungen der Universität mehr Autonomie zugestehen? Braucht es dann überhaupt noch eine zentrale Führung, und was wären deren Aufgaben und Kompetenzen? Müssten nicht diese Fragen erst geklärt werden, bevor eine nächste Persönlichkeit an Problemen scheitert, die mit herkömmlichen Ansätzen schlicht nicht lösbar sind?

Thomas Straubhaar ist Direktor des Hamburgischen WeltwirtschaftsInstituts (HWWI) und lehrt Volkswirtschaft an der Uni Hamburg.