Ich habe diesmal eine Vielzahl aufsehenerregender Tänze in der deutschen Sportwelt ausgemacht - von Tango bis Pogo ist fast alles dabei.

Im Monat September kommt ein neuer Dopingskandal ans Licht: Der 400-Meter-Läufer Frank Levine wird der Einnahme von Mitteln überführt, die auf der Doping-Liste stehen. Eine Sperre hätte möglicherweise fatale Folgen, könnte sie doch das Ende der sportlichen Laufbahn des Athleten bedeuten: Levine ist 95 Jahre alt und lief in diesem Sommer amerikanischen Rekord über 400 Meter in der Altersklasse bis 99 Jahre. Doch der Supersenior hat von den Kontrollorganen nichts zu befürchten, dopt er doch höchst legal. Auf Rezept ist sogar die Einnahme von Steroiden erlaubt, um einen Start zu ermöglichen. Im Apothekenschrank Levines findet sich im übrigen eine weiteres, leistungssteigerndes Präparat: Viagra. Sport ist schließlich nur die zweitschönste Nebensache der Welt.

Für viele Finnen zählt – man glaubt es kaum – der Tango zu den schönsten Nebensächlichkeiten. Die deutschen Fußballdamen bevorzugten allerdings im finnischen Helsinki nach dem Sieg im EM-Finale gegen England die rustikale Bewegungsvariante – den Pogo. Nach dem Halbfinalsieg gegen die Norwegerinnen schlugen die deutschen Frauen bei der EM die Überraschungsfinalistinnen von der Insel mit 6:2. „Ich denke, sie machen am Donnerstag den Sack zu“, hatte DFB-Präsident Theo Zwanziger nach dem Halbfinale prophezeit. Und die Damen taten wie geheißen – und machten den Sack zu.

Einen anderen Sack konnte Theo Zwanziger nicht zumachen: Im Rechtsstreit mit dem Sportjournalisten Jens Weinreich, der den DFB-Boss als einen „unglaublichen Demagogen“ bezeichnet hatte, musste ein Vergleich geschlossen werden. Zwanziger hatte nach Veröffentlichung der Weinreichschen Vokabel einen Duden zur Hand genommen und für den Begriff „Demagoge“ das Äquivalent „Volksverhetzer“ gefunden. Das wollte der DFB-Chef nicht auf sich sitzen lassen und klagte sich durch die Instanzen – und verlor allesamt ( http://jensweinreich.de/?page_id=1780 ). Um den Prozessmarathon durchzustehen, bat Journalist Weinreich um Spenden, und viele Zwanziger kamen zusammen: 848 Personen spendeten insgesamt 21.143,15 Euro. Zwanziger (der Theo) konnte auf ungleich mehr Substanz zurückgreifen. Doch das Verfahren kostete nicht nur Geld, sondern auch Energie und Zeit. Und da es Weinreich an allem fehlte, stimmte er schließlich einem Vergleich zu. Man sollte eben nicht nur seine Freunde, sondern auch seine Feinde mit Bedacht wählen – sonst kann's teuer werden. Wie teuer Abmahnungen im rechtsfreien Internet sein können, zeigt auch der Rechtsstreit der Firma JAKO gegen den Blogger Frank Baade ( http://www.11freunde.de/bundesligen/123558 ).

Nicht Tango und nicht Pogo, aber doch zumindest Hoch-das-Bein im klassischen Rudel zelebrierten unlängst die deutschen Herren-Volleyballer. Zwar fuhr das Team von Bundestrainer Raul Lozano mit einem 3:1 gegen die Slowakei den dritten Zwischenrundensieg bei der Europameisterschaft im türkischen Izmir ein; das Halbfinale wurde dennoch verpasst. Die spanische Schützenhilfe, die ihre Partie gegen Frankreich hätten gewinnen müssen, blieb aus, und so wurde es nichts mit der ersten Medaille in der Geschichte für ein deutsches Herrenteam bei einer EM. Stattdessen wurde mit Rang sechs sogar das Mindestziel – die Qualifikation für die EM 2011– verfehlt. Anders die deutschen Damen, die bei der EM in Polen zwar des Öfteren vom Publikum gnadenlos ausgepfiffen wurden, aber die Ruhe bewahrten und nach starken Auftritten das Halbfinale gegen Italien erreichten. Dort war dann allerdings Schluss: Gegen die bärinnenstarken Italienerinnen unterlagen die Damen von Bundestrainer Giovanni Guidetti mit 1:3. Nun wartete in Polen Polen im Spiel um Bronze. Und gewann.

Freude trotz Niederlage

Anders als die Volleyball-Herren tanzten die deutschen Basketballer nach der Niederlage gegen Lettland bei der EuroBasket (genau: auch in Polen) nicht nur, sondern lagen sich schreiend in den Armen. Routinier Demond Greene sprach nach dem 62:68 gegen die Letten sogar von der schönsten Niederlage seiner Karriere: Das junge DBB-Team erreichte trotz der Niederlage die Zwischenrunde der EM. Bundestrainer Dirk Bauermann war hin und weg: „Das ist ein unglaublicher Erfolg für diese junge Truppe. Wenn es jetzt noch einen Schritt weiterginge, wäre das fast wie das Wunder von Bern.“ Bern, ja, das war einmal. Und die deutschen Basketballer verabschiedeten sich nach dem nächsten Spiel erwartungsgemäß aus dem Turnier.

Verabschieden musste sich auch Rennfahrer Michael Schumacher. Der Kerpener hatte nach dem Horrorcrash von Ferrari-Pilot Felipe Massa seine Rückkehr zum Formel-1-Zirkus verkündet, musste aber auf Anraten seiner Ärzte wieder Abstand von der Idee nehmen. So verkündete Schumi den Rücktritt vom Rücktritt vom Rücktritt. Ein weiterer Großer der Automobilsportszene nahm im Monat September Gas 'raus: Der Italiener Flavio Briatore wurde der Manipulation überführt und mit Schimpf und Schande vom Autohof gejagt, hatte er doch einen seiner Fahrer angewiesen, einen Crash zu provozieren, um Teamkollegen Fernando Alonso die WM zu sichern ( www.youtube.com/watch?v=dZrCVbU6pWQ&feature=related ). Zumindest war's spektakulär, und so wollen es die Fans haben. Denn wie schrieb schon einst der österreichische Philosoph Reinhard Fendrich: „Autorennen sind da sehr gefragt, weil hie und da sich einer überschlagt. Gespannt mit einem Doppler sitzt man da, und hofft auf einen g'scheiten Bumsera. Weil durch einen spektakulären Crash wird ein Grand Prix erst richtig fesch. Explodieren die Boliden ist das Publikum zufrieden, weil ein flammendes Inferno schaut man immer wieder gerne. Das ist halt am Sport das Schöne.“ Manchmal tut sie halt weh, die Wahrheit: Die wenigsten Formel-1-Fans wollen mehr Sicherheit im Rennsport, gedrosselte Motoren und Ausweichzonen. Krachen soll's. Und gerne darf sich auch mal einer schwer verletzten. Sehr schwer sogar (außer natürlich der Mischael).

Amateurfußballern geht die Puste aus

Eine Zerstückelung der anderen Art beklagen zur Zeit die Fußballfans. Nach Einführung der „Entzerrung“ des Fußball-Sonnabends geht vielen Amateurklubs die Puste aus. Wenn nun auch am Sonntag-Nachmittag Fußball-Bundesligaspiele übertragen werden, bleiben die letzten wackeren Amateurzuschauer vor der Glotze hängen. Die Amateurklubs können nicht auf die Vormittagstermine ausweichen, da dort die Jugendspiele terminiert sind. Der Amateurfußball steht im Abseits und scheint bei den DFB-Funktionären keine große Lobby zu haben. Dabei sollten die DFB-Oberen doch eigentlich die größten Lobbyisten sein, sind sie doch die ranghöchsten Repräsentanten der Sportvereine. Wenn Politiker gegen die Interessen des Volkes regieren, werden sie – in der direkten wie repräsentativen Demokratie – abgewählt. Das Verfahren hat sich doch bewährt, warum also nicht auch mal im Sport den Brandtschen Vorsatz umsetzen und mehr Demokratie wagen? (bitte nicht verklagen, lieber DFB, musste bereits unsere Banken unterstützen und bin deshalb ein wenig klamm).

Dass Recht und Gerechtigkeit auch durchaus zusammenfallen können, macht uns ein Schiedsrichter aus China vor. Der Unparteiische aus dem Reich der Mitte hat eine Schachpartie beim Zhejiang Lishui Xingqiu Cup in Lishui (China, Provinz Zhejiang) mit „Null zu Null“ gewertet. Ein ungewöhnliches Ergebnis bei einer (Denk-)Sportart, in der es einen Verlierer oder einen Gewinner gibt – oder sich im Falle eines Unentschiedens die Gegner den zu vergebenden Punkt teilen. Nachdem Schiedsrichter Ignatius Leong, so berichtet der Weltschachverband Fide auf seiner Webseite ( www.fide.com/component/content/article/15-chess-news/4128-double-default ), festgestellt hatte, dass sich die Spieler Wang Chen und Lu Shanglei in ihrer Partie der 6. Runde auf ein Remis (was Punkteteilung bedeutet) geeinigt hatten, ohne dass dabei auch nur ein einziger Zug ausgeführt worden war, erklärte der Unparteiische die Partie für beide Spieler für verloren. Leong begründete seine Entscheidung wie folgt: „Das Verhalten der Spieler entspricht einer vorherigen unerlaubten Ergebnisvereinbarung und schadet dem Ansehen des Schachs.“ Der chinesische Internationale Meister Xu Yang begrüßte die Entscheidung: „Das Verhalten war unprofessionell und unfair gegenüber den Zuschauern. So verliert Schach die notwendige Unterstützung der Öffentlichkeit.“ Ergebnisabsprache kommen im Schach häufig vor, manchmal sogar verbunden mit absurden (und vorher festgelegten) Zugfolgen. Ignatius Leong bringt dafür kein Verständnis auf. Bleibt zu hoffen, dass sein Beispiel Schule macht. Konfuzius sagt: „Um an die Quelle zu kommen, muss man gegen den Strom schwimmen.“

Der Hamburger Sportsoziologe Dr. Markus Friederici berichtet in einer monatlichen Kolumne über das Sportgeschehen.