Der Professor für Sportsoziologie und Sportökonomie an der TU Chemnitz blickt auf den Start ins Sportjahr zurück.

Die meisten Autofahrer teilen ein leidige Erfahrung: Ein alkoholfreies Bier schmeckt nicht, wenn man vorher ein "richtiges" getrunken hat. Eine überraschende und vergleichbare Erfahrung musste ich nun machen: Ein Fußballspiel verliert deutlich an Würze, wenn man vorher ein Handballspiel gesehen hat. Zumindest, wenn es sich um ein derart dramatisches handelt wie das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Dänen bei der WM in Kroatien. In diesem letzten Gruppenspiel ging es für beide Teams um den Einzug in das Halbfinale. Und das Spiel hielt, was es versprach. Als ich mich danach mit Freunden zum DFB-Pokalspiel der Stuttgarter gegen den FC Bayern traf, wollte keine rechte Spannung aufkommen. Obwohl die ersten Minuten der Partie andeuteten, es könnte am Ende auch ein Handballergebnis zu Buche stehen. Doch der Reihe nach.

Das deutsche Handballteam traf in dem Entscheidungsspiel um den Einzug in das Halbfinale auf Dänemark, und wie der Turnierverlauf gezeigt hatte, stand nicht nur auf dem Papier das Duell Europameister gegen Weltmeister bevor. Die Dänen hatten in den vorangegangenen Spielen mit einer starken ersten und zweiten "Sieben" geglänzt; Deutschland war aufgrund der Verletzungen von Spielmacher "Mimi" Kraus (Bänderrisse im Fuß) und HSV-Toptorjäger Pascal Hens ("Oberschenkel hat zugemacht") und den scheinbar einseitigen Spielauslegungen der Schiedsrichter ("die wollen uns raushaben") lediglich zweiter Favorit.

Und so kam es, wie es kommen musste: Deutschland verlor 25:27, und wieder, - da waren sich alle nach dem Spiel einig -, waren wir benachteiligt worden. Alles hatte sich gegen uns verschworen, allen voran die Schiris aus Rumänien. Mimi Kraus sprach per Schalte aus seinem Wohnbereich sogar von Betrug und erweist sich als schlechter Verlierer. Deutschland hat das Halbfinale nicht erreicht, weil andere Teams besser waren: Unentschieden gegen Russland und Serbien, Niederlagen gegen Dänemark und Norwegen. Trotz aller Begeisterung und Engagement: Ein Team mit einer solchen Bilanz hat das Halbfinale einer WM nicht verdient. Punkt. Die entscheidende Frage ist doch aber die, ob das eine oder andere Spiel eben nicht hätte Unentschieden ausgehen oder knapp verloren werden müssen. Und ob dies auch mit den Schiedsrichtern möglich gewesen wäre, die auf dem Parkett standen.

Will man sich auf Fehlersuche begeben, sollte man (auch aus Respekt vor der Leistung des Gegners) hier ansetzen. Denn die Schiri-Schelte hat sich im Turnierverlauf zu einer self-fullfilling prophecy entwickelt einer sich selbst-erfüllenden Prophezeiung: Wenn in der Tagesschau die Mitteilung über den Sender ginge, dass Milch und Butter knapp werden könnte, käme es zu Hamsterkäufen und infolge dessen in der Tat zu einer Knappheit, die ohne die Hamsterkaufe allerdings nicht aufgetreten wäre. Ein ähnliches Prinzip erkennen wir bei dieser Handball-WM: Die Schiris sind schlecht, haben uns Deutsche auf dem Kieker, und weil die Spieler das auch nach jedem Spiel lautstark verbalisieren, kann es dazu geführt haben, dass die Schiris zwar nicht absichtlich gegen die Deutschen gepfiffen haben, aber doch zumindest nicht den Eindruck erwecken wollten, man sei nun bei den Entscheidungen besonders deutschlandfreundlich.

Die Sache hat aber eine weitere, viel bedeutsamere Komponente. In den Spielern hat sich im Turnierverlauf offenbar in den Köpfen festgesetzt, man werde von den Unparteiischen regelmäßig um den Lohn der Arbeit gebracht, was dazu führte, dass beim jeweils nächsten Spiel bereits die erste strittige Entscheidung gegen die Deutschen als Fortsetzung der bisherigen Ungerechtigkeiten interpretiert wurde: "Schon wieder sind die Schiris gegen uns!" was aus psychologischer Sicht letztlich dazu führen kann, dass die Spieler bewusst oder unbewusst das Gefühl entwickeln, sie müssten nicht nur den Gegner besiegen, sondern auch die Fehlentscheidungen der Schiris kompensieren. Mit anderen Worten: "Wir müssen Übermenschliches Leisten, um hier gewinnen zu können."

Eine solche Einstellung kann anspornen, aber auch lähmen oder übermotivieren. Und genau das ist, zumindest bei einigen Akteuren, geschehen. So ist das Ausscheiden der Deutschen nicht nur auf die leichtfertig vergebenen Siebenmeter, die nicht immer sattelfeste Abwehr oder die Fehlerquote der Rückraumschützen zurückzuführen, sondern auch darauf, dass es Heiner Brandt trotz seiner Klasse nicht verstanden hat, die Unschuldsvermutung bezüglich der Schiri-Entscheidungen in die Köpfe der Spieler zu bekommen. "Es gleicht sich alles aus" hätte Brandt gebetsmühlenartig predigen müssen, und eben nicht (direkt oder durch die Blume): "Wir sind betrogen worden." Denn: Worin besteht der Betrug? Warum, so sollten wir nach all den Verschwörungstheorien mal fragen, hatten wir gegen die Norweger noch die Chance auf ein Unentschieden? Weil die Skandinavier am Ende der Partie lediglich mit vier Feldspielern auf dem Parkett standen: Einer hatte kurz vor Schluss eine zweifelhafte Zweiminutenstrafe erhalten, ein anderer musste runter, weil der norwegische Trainer eine rote Karte erhielt. Wer Heiner Brandt die Tage über an der Seitenlinie und auf dem Spielfeld beobachtet hat, der stellt sich die Frage, warum nur der norwegische Trainer in dieser spielentscheidenden Phase den roten Karton sah. Und genau diese Konstellation, - die strittigen Entscheidungen gegen die Norweger -, war es, die die Deutschen wenige Sekunden vor Toresschluss noch in die Nähe eines Unentschiedens brachte. Aber schon in den ersten Minuten im Spiel gegen die Dänen war klar, dass einige deutsche Spieler nicht nach der Olli Kahnschen Philosophie "Mund abputzen und weitermachen" leben bereits die ersten Pfiffe gegen das deutsche Team wurde von den bekannten Gesten der Fassungslosigkeit begleitet. Und dann nahm das Schicksal seinen Lauf.

Einen Lauf hatten auch die Bayern im anschließenden DFB-Viertelfinalspiel gegen die Stuttgarter. Bereits nach einigen Minuten wurde ein Klassenunterschied deutlich, der sich auch im Spielstand widerspiegelte. Ribery leistete sich den Luxus, einen Elfer zu verschießen. Nur cool reicht eben auch nicht. Bei Kartoffelsalat und Bockwurst sinnierten wir in der Trainerrunde, was der Babbel im Wintertrainingslager nur mit seinen Mannen gemacht habe. Zur Halbzeit war die Partie entschieden, und so wurden die wirklich wichtigen Dinge des Lebens besprochen: Ob man, wie Otmar Hitzfeld stets zu sagen pflegte, aus einer "massierten Abwehr" heraus ein Spiel aufziehen konnte und was das letztlich bedeutet, wenn eine Abwehr massiert ist (oder massiert wird), ob Ivica (Olic) auch bei den Bayern treffen und was sich die Hoffenheimer beim Transfer von Sanogo gedacht haben (wenige Tage später, nach dem Treffer Sanogos gegen Cottbus, hatte ich zumindest eine Ahnung). In der Zwischenzeit fiel im Südgipfel noch das eine oder andere Tor. Ansonsten gepflegte Langeweile auf dem Platz Stuttgart konnte nicht mehr, Bayern wollte nicht mehr. Stuttgarts Torhüter Jens Lehmann stellte nach dem Spiel die Art der Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte in Frage, betonte aber nachträglich, dass damit keine Kritik am Trainer verbunden sei. Ah ja.

Alles andere als Langeweile herrschte zu Jahresbeginn bei den deutschen Skispringern. Nach dem Trainerwechsel von Rohwein zu Schuster sollten die deutschen Adler nach jahrelangem flattern wieder fliegen. Und siehe da: Sie flogen, alle voran Milka-Man Martin Schmitt! Er ist zurück! Und springt wieder in die Top-Ten! In einem digitalen Sportforum findet sich ein kurzer Kommentar zur neuentfachten Martimania; ein Österreicher schreibt: "Nach Jahren ist mal wieder ein Deutscher bei einem Bewerb auf dem Podest, und schon tuns so, als san sie wieder Weltspitze. So sans halt, die Deutschen." Ist ja schließlich auch der Stoff, aus dem die Journalistenträume sind: Höchste Höhen, tiefster Fall, Sensations-Comeback, brutaler Absturz, undsoweiterundsoweiter.

Extreme Leistungsausschläge sind auch zum Markenzeichen der Hamburg Freezers geworden. Nach einer mehr als durchwachsenden Saison und der steigenden Option, vor den Play-offs in den Urlaub zu gehen, besiegten die Kufencracks im Monat Januar unter anderem Spitzenreiter Hannover in einem berauschenden Spiel 9:3 und haben sich den (inoffiziellen) Titel des Januar-Meisters erspielt. Barde Hannes Wader singt, dass nichts bleibt, wie es war. Die Freezers sind die Ausnahme von der Waderschen Regel: Es bleibt, wie es war. Mal Weltmeister, mal Hausmeister. Die spielerische Klasse zumindest ist unzweifelhaft und wurde gegen Vorjahresmeister Berlin oder Hannover eindrucksvoll dokumentiert. Woran liegt es also? Muss das Team auf die Couch?

Vom Stuhl aufgesprungen war der ukrainische Schachgroßmeister Wassili Iwantschuk nach seiner Niederlage gegen den amerikanischen Spitzenspieler Gata Kamsky bei der Schach-Olympiade in Dresden. Iwantschuk entfernte sich so schnell vom Ort des Geschehens, dass der Doping-Kontrolleur seine Plastikdose wieder einstecken musste. Offiziell bedeutete das die Verweigerung einer Doping-Probe, zwei Jahre Sperre drohten. Doch nun wurde der Ukrainer vom Weltverband FIDE aufgrund von Verfahrensfehlern freigesprochen. Der "Doping-Skandal", wie der Stern titelte, blieb aus, doch dafür debattiert die Schachwelt nun heiß über Sinn und Zweck von Doping-Kontrollen in der Denksportart. Befeuert hat die Diskussion zudem die Aussage des deutschen Großmeisters Robert Hübner, der sich durch eine Urinabgabe in seiner Menschenwürde verletzt sieht. Menschenwürde. Ein großes Wort. Mit Besorgnis beobachten Sozialwissenschaftler das Anwachsen einer sozialen Gruppe in Deutschland (wie auch in nahezu ganz Europa) des sogenannten Prekariats: Menschen, die die sich insbesondere in prekären finanziellen Lebensumständen befinden. Zum Prekariat zählen bereits viele, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, d.h. trotz Job nicht ausreichend verdienen, um sich einen minimalen Lebensstandard zu sichern. Und Robert Hübner sieht die Menschenwürde der Schachspieler durch eine Urinprobe verletzt.

So wie man bei Michael Jackson mittlerweile an Gesichts-OP denkt, so ist der Name des mehrfachen Tour de France Sieger Lance Armstrong mit dem Begriff "Doping" verbunden. Armstrong hat sein Hollandrad noch einmal gegen eine Rennmaschine getauscht und startet nun wieder bei den Klassikern des Radrennsports. Er will, so sagt er, den Krebs ins Bewusstsein der Menschen bringen. Gut, aber: warum? Freud hat den Verdrängungsprozess als etwas überaus Positives dargestellt; gäbe es ihn nicht, würden wir ständig an Dinge denken, die uns traumatisiert haben. An ein halbwegs erträgliches Leben wäre dann nicht mehr zu denken. All denjenigen, die den Krebs überwunden haben, tut er also nicht unbedingt einen Gefallen. Natürlich ist es ein ehrenhaftes Motiv, für finanzielle Unterstützungsleistungen im Kampf gegen den Krebs zu werben. Nur: Ist es das, was Armstrong wieder auf den Drahtesel treibt? Er will gläserner Athlet sein und lässt sich, um alle Vorwürfe zu entkräften, er nehme (verbotene) leistungssteigernde Präparate, permanent testen lassen: Er dopt nicht! Und ich glaube ihm. Warum? Schauen sie sich seine Ergebnisse an.

Ein hervorragendes Ergebnis erspielte sich der Regionalligaklub Altona 93 beim Schweinske-Cup. Die Truppe von Coach Torsten Fröhling sicherte sich in einem äußerst spannenden Duell gegen den österreichischen Erstligisten Altach in der Vorrunde ein 3:3 Unentscheiden, was den Halbfinaleinzug bedeutete. Dort wartete der spätere Turniersieger Greuther Fürth. Doch 22 Sekunden vor Schluss hieß es nicht "Greuther führt", sondern Altona 93: Westphal hatte den Ball zur 1:0 Führung in den Winkel gedroschen; zuvor hatte Ex-HSV-Keeper Kirschstein mit zahlreichen Robinsonaden den Zweitligaklub im Spiel gehalten. Ein zweifelhafter Strafstoß ermöglichte den Franken aber 2 Sekunden vor Spielende den schmeichelhaften Ausgleich, so dass das Siebenmeterschießen entscheiden musste. Hier bot Kirschstein dem Publikum großes Kino. Wie bei den Großen provozierte er die Altonaer Schützen, redete auf sie ein, stupste den bereits ruhenden Ball noch einmal mit der Zehenspitze an. Die Altonaer Schützen ließen sich beeindrucken und verschossen. Kirstein waren die Pfiffe von den gut besuchten Rängen sicher. Aber nicht alle pfiffen. Einige schüttelten auch nur den Kopf.

St. Pauli legte eine überzeugende Vorrunde hin, verlor dann aber Halbfinale und Spiel um Platz 3 (gegen Altona 93), was der Unterstützung durch die zahlreich vertretenen Fans allerdings keinen Abbruch tat. Sie waren es auch, die die Alsterdorfer Sporthalle beschallten; bei Spielen ohne Beteiligung der Kiez-Kicker konnte man mitunter noch in den hintersten Rängen die Kommentare der Spieler verstehen. Wenige Tage zuvor spielten die Toten Hosen in der Halle, nun war tote Hose auf den Rängen. Vielleicht doch lieber zwei Hamburger Amateurvertreter als die Betonung auf Internationalität? Sport lebt von den Emotionen, auf dem Feld und auf den Rängen. Der Mensch erinnert nicht Tage oder Stunden, sondern Momente. Und davon bitte mehr. Nicht nur in der Alsterdorfer Sporthalle, sondern auch in ganz Hamburg. Denn wir sind nicht nur Papst, sondern auch Sportstadt, oder?