Der Hamburger Sportsoziologe Markus Friederici berichtet in seiner monatlichen Kolumne über das Sportgeschehen im Monat März und blickt zurück.

Mit der Witzigkeit von Witzen ist das so eine Sache. Der eine lacht, der andere nicht. Warum? Schwer zu sagen. Bei meinen Witzen lacht zumindest in der Regel niemand. Ein anonymer Witzeschreiber teilt seit geraumer Zeit mein Schicksal: Zumindest über einen seiner Witze lacht nun auch keiner (mehr). Der Witz geht so: Der Teufel besucht Petrus und fragt ihn, ob man nicht mal ein Fußballspiel Himmel gegen Hölle machen könnte. Petrus hat dafür nur ein Lächeln übrig: „Glaubt ihr, dass ihr auch nur die geringste Chance habt? Sämtliche guten Fußballspieler sind im Himmel.“ Der Teufel lächelt zurück: „Macht nix, wir haben alle Schiedsrichter!“ (http://witze.net/schiedsrichter.html)

Nicht alle, aber zumindest einige Schiedsrichter soll, so kolportieren die Medien landauf landab, der Geschäftsführer des Handball-Abonnementsmeisters THW Kiel, Uwe Schenker, mittels Geldgaben gebeten haben, ihre Entscheidungen auf dem Handballfeld zu überdenken. Nach vielen Dementis aus unterschiedlichen Ecken und der Aussage des Liga-Präsidenten Reiner Witte, für ihn sei die „Affäre“ beendet (da es keine Affäre gab), wollten dennoch nicht alle dem Kahn'schen Lebensmotto „Mund abputzen und weitermachen“ folgen. So hat HSV-Handball-Präsident und Mäzen Andreas Rudolph den Kieler Untersuchungsbehörden eine Mail zugeschickt, in der er aussagt, in seiner Finca auf Mallorca bereits im Frühjahr 2007 von THW-Geschäftsführer Uwe Schwenker persönlich von Unregelmäßigkeiten erfahren zu haben. Nach dem Bundesliga-Spitzenspiel HSV gegen den THW lässt sich Rudolph nur zu einem weiteren Kommentar hinreißen: „Kein Kommentar“ diktiert Rudolph auf Nachfrage von Reporter-Urgestein Günter-Peter Ploog den zahlreich erschienen Journalisten in die Blöcke und Laptops. Es handele sich eben um ein schwebendes Verfahren. Einige Tage später spricht Rudolph dann doch. Und wie. Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz redet der HSV-Präsident Klartext und „rät“ Uwe Schwenker, seine Ämter ruhen zu lassen – was der Angesprochene bereits kurz vor der Rudolph-PK getan und somit dem HSV-Chef ein wenig den Wind aus den Segeln genommen hatte. Letzterer redet seinerseits Klartext, verzichtet trotz der gewichtigen Worte auf das Ablesen einer Erklärung, sondern trägt frei vor, was er seinerzeit unter der mallorcinischen Sonne hören musste (oder sollte?). Schwenker habe sinngemäß gebeichtet, dass er lange gebraucht habe, um zu merken, dass man bezahlen muss, um Spiele zu gewinnen (http://multimediacenter.sport1.de/#/81,84,108404,26182). Schwenker muss um die Wirkung einer solchen Aussage gewusst haben, und da fragt man sich: Warum hat er es dann gesagt (wenn er es denn so gesagt hat)? Hat hier einer sein Gewissen erleichtern wollen, um den Preis, das alles zu verlieren, was er mühsam über Jahre (mit-)aufgebaut hat? Hat im Freudschen Sinne das „Über-ich“ (Gewissen) über die Triebe (Ruhm, Ehre, Macht) gesiegt und das „ich“ überzeugt, reinen Tisch zu machen? Frei nach Jedi Joda: „Du hast dich auf die dunkle Seite der Macht begeben. Erforsche deine Gefühle, entdecke dein Gewissen. Es ist noch nicht zu spät.“

Ein weiterer Satz Rudolphs bleibt hängen: Wenn der HSV ähnliche Abbuchungen kurz vor internationalen Spielen vom Vereinskonto tätigen würde, dann wüsste man sofort, wofür. Das leuchtet ein, und in der Tat bleibt unverständlich, dass Serienmeister THW die im SPIEGEL kolportierten Abbuchungen an einen kroatischen Geschäftsmann nicht adäquat erklären kann oder will. Die Begründung, die der Empfänger, der kroatische Geschäftsmann Nenad Volarevic liefert, ist weder inspiriert noch überzeugend: Er hätte für den THW Talente gesichtet. Und das koste eben. Aber: Ist es wirklich auch soviel wert? Dem THW scheint es finanziell zumindest sehr gut zu gehen, wenn für Sichtungen dermaßen viel Geld ausgegeben wird.

Rudolphs Ausführungen belasten zwar Schwenker, aber er belastet sich auch selbst, gibt er doch indirekt zu, zwei Jahre von der angeblichen Bestechung gewusst und nichts unternommen zu haben. Was wäre passiert, wenn Schwenker seinerseits erzählt hätte, dass Rudolph von den Vorgängen gewusst hat?

Eine interessante Wendung nahm die ganze Geschichte durch das Gerücht, dass der THW nicht die Schiris Geld gegeben habe, um Spiele zu gewinnen, sondern bezahlen musste, damit sich ein formales Gleichgewicht ergibt – da der Gegner bereits einen schwarzen Koffer in die Umkleide der Schiris geschoben hatte. Englands ehemaliger Premier Winston Churchill hätte es vermutlich „Balance of Power“ genannt. Somit hätte der THW gar nicht agiert, sondern lediglich reagiert. Reagieren müssen. Eine Schmierenkomödie. Besser: Eine Schmierentragödie, den es geht um nichts Geringeres als die Zukunft einer Sportart.

Und der norwegische Handballer in Diensten der SG Flensburg-Handewitt, Jonny Jensen, erzählt, wir sähen hier nur die Spitze des Eisbergs. Im Nachhinein ist man fast verschämt, wie naiv man die Dinge zu Beginn der Anschuldigungen bewertet hat. So wie Doping nicht das Problem einer Sportart ist, so ist auch das Bestechen nicht sportartbezogen. Es ist menschlich. Schließlich folgt der Mensch in seinem Handeln nicht nur dem hehren Ziel der Erkenntnis, sondern dem Weg, der den für ihn größtmöglichen Nutzen verspricht. So zumindest formuliert es der Soziologe Max Weber: Der homo oeconomicus strebt stets nach seinem Vorteil und richtet sein Handeln ausschließlich rational und gewinnorientiert aus. Die Macht, die er erlangt, beinhaltet nach Weber die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Macht bedeutet also, bestimmen zu können, wie Dinge zu laufen haben, wer was zu tun oder zu lassen hat, wer zu bleiben und zu gehen hat. Der Sokratische Dialog – das bessere Argument soll entscheiden – spielt hier keine Rolle. Denn Macht bedeutet, sich auch gegen jede Vernunft durchsetzen zu können. Aber: Nach fest kommt ab, und Schwenker scheint die Schraube überdreht zu haben. Ihm reichte es offensichtlich nicht, nur am Spiel teilzuhaben. Er wollte auch die Regeln definieren. Es irrt der Mensch (eben auch), solang er strebt.

Kant forderte einst mit seinem kategorischen Imperativ, dass die Menschen ihr Handeln so ausrichten sollten, dass es eine allgemeingültige Handlungsmaxime werden könnte: Es scheint, dass nicht nur die Finanzjongleure Nachhilfestunden in praktischer Philosophie benötigen. Wie sagt doch so schön meine Großmutter: Geld verdirbt den Charakter.

Pierre de Coubertin, Begründer der (modernen) Olympischen Spiele, hat schon gewusst, warum er nur Amateuren zuschauen wollte. Und die sind im Übrigen besser als ihr Ruf. Häufig hört man ja bei Stockfehlern von Fußballprofis in den anschließenden Analysen, dass amateurhafte Fehler begangen worden seien. Dabei wird auch in den Ober- und Regionalligen technisch anspruchsvoller Fußball gezeigt: Schauen sie doch auch mal wieder bei ihrem Verein um die Ecke vorbei, dem Fußballern aus der Landesliga oder den Basketballern aus dem Nachbardorf. Hier können sie auch all das sehen, was sie sich von einer sportlichen Darbietung versprechen: Emotionen und Leidenschaft, technische Finessen, spannende Unterhaltung und Kampf um jeden Ball. Und echte Freude.

Von (den) Handballern hören wir im Monat März allerdings auch Positives: Die „Aua-Handballer“ haben vor mehreren tausend Zuschauer in Winterberg die Schneeballschlacht-Weltmeisterschaft gewonnen. 30 Teams aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden waren angetreten, um in den jeweils sechs Minuten dauernden Spielen ihre Gegner einzuseifen. Das siegreiche dreiköpfige Team, allesamt Handballer aus dem sauerländischen Menden, landete die meisten Treffer und gewann zum dritten Mal in Folge.

Zum zweiten Mal in Folge wollen die Bayern in diesem Jahr Deutscher Fußball-Meister werden. Doch das Auf und Ab setzt sich auch im März fort, und die Verantwortlichen geben sich alle Mühe, nicht allzu ratlos auszusehen (was nur bedingt gelingt). Bei Erfolgen gibt man sich auskunftsfreudig, bei Niederlagen schmallippig. Was soll man auch sagen, wenn die Punkte, die als Erklärung der Leistungsschwankungen genannt werden, insgesamt kein stimmiges Ganzes ergeben. Die Berg- und Talfahrt hat offensichtlich zu einer Spiralwirkung geführt: Die Spieler entwickeln in kritischen Situationen (unbewusst) das Gefühl, sie müssten etwas ganz besonderes leisten. Das erhöht wiederum den Druck – und die Wahrscheinlichkeit, dass es, wenn es im Spiel ohnehin nicht rund läuft, erst recht nichts wird. Und daher wären die Bayern gut beraten, jetzt nichts zu fordern, was nicht zu leisten ist, sondern alles dafür zu tun, dass die Wahrscheinlichkeit wieder steigt, erfolgreich zu sein. Ob der Erfolg letztlich eintritt, ist eine andere Frage und kann nie mit Absolutheit prognostiziert werden (sonst wäre ein Wettkampf auch obsolet), und so muss das Ziel allen Handelns auf die Wahrscheinlichkeit zu siegen ausgerichtet sein. In der Champions League haben die Bayern zumindest ein Ausrufezeichen gesetzt. Bislang keine Niederlage, und Sporting Lissabon kumuliert mit 12:1 Toren zurück an die Algarve geschickt.

Ratlosigkeit auch bei Real Madrid. Nach dem Weiterkommen der Spanier in der Champions League ist der Katzenjammer groß. Wieso? Nicht die drei Spanier in Reihen der Madrilenen sind in das Viertelfinale eingezogen, sondern die fünf Spanier, die für den FC Liverpool aufgelaufen sind. Und die haben maßgeblich dazu beigetragen, Real im Rückspiel an der Anfield Road mit 4:0 abzufideln.

Im Irak hat indes ein Fan das ständige Diskutieren und Problematisieren satt und das Heft des Handelns in die Hand genommen: Während eines Spiels zwischen Sinjar und Buhaira in der Stadt Hilla rund 100 km südlich der Hauptstadt Bagdad lief in der Schlussminute ein Stürmer auf den gegnerischen Torwart zu. Um den möglichen Ausgleich zu verhindern, erschoss der Fan den Stürmer. Laut BBC wurde der Täter wurde bereits festgenommen, die Sicherheitsbehörden leiteten eine Untersuchung des Vorfalls ein. Ich verkneife mir hier mal ausnahmsweise jeden weiteren Kommentar, dazu ist der Vorfall zu tragisch.

Kommentieren und diskutieren kann man allerdings die Entscheidung der Verantwortlichen des Volleyball-Bundesligisten VT Aurubis Hamburg (ehemals NA Hamburg, ehemals PHÖNIX Hamburg, ehemals TV Fischbek), der Mannschaft mitten in der Saison einen neuen Namen zu geben. In der Uni lernen Studierende des Sportmanagements, wie man Zuschauer für eine Sportart oder einen Verein interessieren kann: Anreizstrukturen schaffen, Kooperationsmöglichkeiten entwickeln, Präsenz zeigen, eine Marke kreieren. Und letztere nicht ständig ändern, denn ändert man ein Detail, verändert man auch das Ganze. Stellen sie sich mal vor, eine seit Jahrzehnten bekannte Feuchtigkeitscreme würde nicht mehr in runden, blauen Metalldosen vertrieben werden, sondern in roten Plastikbehältern. Name und Design ist Teil des Markenkerns, man könnte auch frei nach Marx formulieren: „Das Design bestimmt das Bewusstsein.“ Stellen sie sich mal vor, sie sind Fan eines Vereins, und der benennt sich von heute auf morgen um. Aus St. Pauli Hamburg wird „Astra ex und hopp Hamburg“, aus dem Hamburger SV „Emirate Fly Hamburg“. Voraussetzung einer emotionalen Involviertheit ist auch immer Folge einer Identifikation mit einem Verein und dem Namen, den er trägt. Bleibt den Volleyballern aus Fischbek also zu wünschen, dass die Identifikation keinen Schaden nimmt.

Emotionales Highlight im Monat März war auch die Daviscup-Begegnung zwischen Deutschland und Österreich. Nach dem spannenden und entscheidenden Einzel zwischen dem Deutschen Nicolas Kiefer und dem Niederösterreicher Jürgen Melzer bat das ORF zum Interview. Auf die Frage, warum er dem Deutschen unterlegen gewesen sei, antwortet Melzer: „Kiefer hat gezeigt, dass er der bessere Spieler ist.“ Das zeugt von Größe, die man sich gelegentlich auch von anderen Sportlern wünscht. Interessant auch, dass der Kommentator Deutschland als den großen Bruder bezeichnet. Ebenfalls eine klare Aussage, aber unglücklich.

Alles andere als unglücklich war im Monat März ein „echter“ großer Bruder. Vitali, großer Bruder von Wladimir, machte seinem Namen Klitsch-KO mal wieder alle Ehre: Diesmal ging dem gebürtigen Kubaner Juan Carlos Gomez vorzeitig die Puste aus (www.youtube.com/watch?v=9fSTf2LIKsc&feature=related). Körperverletzung war es, sagt meine Frau. Stimmt natürlich auch (ein bisschen). Würde das an der Straßenecke passieren, gäb's mindestens 9 Monate auf Bewährung (Körperverletzung in Tateinheit mit Erregung öffentlichen Ärgernisses).

24 Monate ohne Bewährung betrug die (wettkampfbezogene) Strafe für den britischen Sprinter Dwain Chambers, der zu illegalen Substanzen griff, um seinen Kontrahenten alt aussehen zu lassen. In seiner Autobiographie „Race Against Me: My Story“ (www.dwain-chambers.com/Race-Against-Me) beschreibt Chambers ausführlich den Drogensumpf in der Leichtathletik, so dass der Verlag ihm aus Angst vor Klagen eine Überarbeitung antrug. 9.97 Sekunden sei er clean gelaufen, schreibt Chambers, 9.87 als pharmazeutisches Versuchskarnickel. Nicht viel, eine Zehntel. Ein Augenaufschlag, ein Muskelzucken. Und doch eine Welt in der Leichtathletik: Die Differenz zwischen Platz 1 und Platz 6, zwischen Gold und Blumentopf, zwischen einer Million Dollar Prämie und einem Burger-Gutschein von McDonalds. Chambers hat seine Strafe mittlerweile „abgesessen“, ist aber für einige Leichtathletik-Veranstalter zur persona non grata geworden. Mit dem Buch hat er es sich nun auch mit vielen Kollegen verscherzt. Aber im Gegensatz zum Boxen laufen die ja in der Regel friedlich nebeneinander her.

Der Hamburger Sportsoziologe Markus Friederici berichtet in einer monatlichen Kolumne über das Sportgeschehen.