Computersimulationen zeigen, dass das verschmutzte Meerwasser per Golfstrom nach Europa gelangen könnte. Forscher widersprechen dem Modell.

Das aus dem BP-Bohrloch im Golf von Mexiko auslaufende Öl kann sich über wenige Monate bis weit in den Atlantik ausbreiten. Das zeigen Modellrechnungen aus den USA, über die das Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften Geomar berichtet. Die Karibik ist die Wiege des Golfstroms, der an der Ostküste Nordamerikas entlang fließt. Als Nordatlantischer Strom reicht er bis nach Europa, sorgt hier für unser relativ mildes Klima. Könnte er neben Wärme auch die Ölpest bringen?

Die Kieler Wissenschaftler geben vorsichtig Entwarnung: Die Simulationen zeigen "einen raschen Transport der verschmutzten Wassermasse in den Atlantik, die sich dort mit hoher Geschwindigkeit weiter verteilt. Durch die starke Verwirbelung dürfte sich das Öl weiträumig im Nordatlantik verteilen und die Konzentrationen damit stark absinken." Denn Golf und Nordatlantikstrom fließen nicht gradlinig nach Nordosten, sondern stark geschwungen und verwirbelt - etwa so wie Milchwölkchen in einer Tasse Kaffee.

Schmutzpartikel müssten um die 11 000 Kilometer weit treiben

Obwohl Westeuropa und Nordamerika nur etwa 6000 Kilometer auseinander liegen, würden Schwebteilchen in der diagonal verlaufenden Strömung etwa 10 000 Kilometer zurücklegen, schätzt Prof. Detlef Stammer, physikalischer Ozeanograf am KlimaCampus Hamburg. Noch einmal 1000 Kilometer machen Verwirbelungen aus. Die Geschwindigkeit von Golf- und Nordatlantikstrom betrage im Mittel einen Meter pro Sekunde, also gut 86 Kilometer am Tag. Damit wären verschmutzte Wassermassen rechnerisch vier Monate unterwegs, bis sie Europa erreichen.

Dies hält Christian Bussau, Experte für Ölunfälle bei Greenpeace, für ausgeschlossen: "Das Öl wird weiträumig in der Region verteilt, das zeigen auch vorangegangene Tankerkatastrophen und Plattformunfälle. Es altert viel zu schnell, als dass es sich großräumig verbreiten könnte. Die leicht flüchtigen Substanzen verdunsten. Die schwereren Ölanteile werden unter Einfluss des Sonnenlichts oxidiert. Sie verkleben, sinken schließlich als Teerklumpen zu Boden. Dort geben die Ölrückstände dann ihre Schadstoffe ab."

Ein weiterer Faktor bremst die Ausbreitung quer durch den Nordatlantik: der biologische Abbau, bei dem Bakterien das Öl (chemisch: Kohlenwasserstoffketten) zersetzen. Ihnen sind die Golfstrom-Temperaturen von rund 20 Grad im südlichen und etwa 15 Grad im nördlichen Teil zwar etwas zu kalt (ihr Optimum liegt bei 25 bis 35 Grad), dennoch werden sie ein Teil des Öls wegfressen. Dabei helfen Wellengang und Verwirbelungen, denn sie verdünnen das Öl. "Dies hat für die Mikroorganismen den Vorteil, dass zum einen mögliche toxische Verbindungen - auch viele Kohlenwasserstoffe sind für Mikroben giftig - unter den kritischen Schwellenwert verdünnt und somit abbaubar gemacht werden. Zum anderen erhöht sich durch die Durchmischung die Kontaktfläche zwischen Öl und Wasser und somit die Angriffsfläche für ölabbauende Mikroben", sagt Martin Krüger von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

Der biologische Abbau sei in den Modellrechnungen der US-Wissenschaftler nicht berücksichtigt, betonen die Kieler Meereskundler. Auch sie gehen davon aus, dass Europas Umwelt zunächst vom Golföl verschont bleibt, betonen aber: "Wir benötigen weitere Untersuchungen, insbesondere um die langzeitlichen Entwicklungen besser abschätzen zu können. Wenn das Öl bis zum August noch weiter ungemindert ausströmt, müssen wir möglicherweise unsere momentanen Abschätzungen revidieren."

Der Trichter auf der gekappten Leitung ist nur ein Teilerfolg

Im Golf von Mexiko war auch gestern kein durchschlagender Erfolg im Kampf gegen die Ölpest in Sicht. Zwar gelang es dem BP-Konzern am Donnerstag, mit Unterwasser-Robotern einen Trichter auf die gekappte Steigleitung des defekten Bohrlochs zu stülpen. Doch zeigten Videobilder, dass nach wie vor große Ölmengen ins Meer strömen - sie werden vor allem die Südostküste der USA treffen.