Mit immer neuer Technik dringt die Ölförderung in die hintersten Winkel der Erde vor. Und meistens auf Kosten der Natur

"Wunder der Technik" - unter dieser Überschrift beschreibt eine Werbebroschüre des BP-Konzerns die Ölförderung in der Tiefsee im Golf von Mexiko. Herkömmliche Technik habe nicht ausgereicht, vielmehr waren "mehr als 100 technische Neuheiten" nötig, um die Ölvorkommen anzuzapfen, darunter "Sicherheitsventile, die sich bei einem Ausfall des Kontrollsystems in mehreren Tausend Metern Tiefe automatisch schließen". Das taten sie am 20. April nicht - die Welt beobachtet derzeit die desaströsen Folgen. Die technische Gratwanderung am Meeresgrund steht für einen Trend: Mit immer raffinierteren Verfahren versuchen Ölkonzerne, das schwarze Gold aus den entlegensten Winkeln zu fördern.

In der zweiten Hälfte der 1990er- Jahre begann die Ausbeutung des Tiefseebodens im größeren Maßstab. "Im Prinzip sind die technischen Möglichkeiten vorhanden, um aus mehreren Kilometern Tiefe Öl zu fördern. Die tiefste Bohrung erreichte sogar 10 000 Meter, gerechnet von der Wasseroberfläche", sagt Hilmar Rempel von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Die größte Wassertiefe, in der derzeit gefördert werde, liege bei 2852 Meter; bei der gesunkenen Plattform "Deepwater Horizon" waren es 1500 Meter. Natürlich bleibe immer ein Risiko. Mehr Sicherheit sei vor allem eine Frage der Kosten, betont Rempel, aber es sei "noch einiges machbar". Das zeigten Brasilien und Norwegen: "Die Länder machen strengere Vorgaben zu den Blowout Preventern, also zu den Sicherheitsventilen am Meeresboden."

Öl aus dem Tiefseeboden: Sicherheit ist machbar

Wenn überhaupt in der Tiefsee gefördert wird, dann unter den technisch höchstmöglichen Sicherheitsstandards, betont Jörg Feddern, Energieexperte bei Greenpeace: "Unfälle bei Tiefseebohrungen sind, wie man gerade sieht, kaum handhabbar. Eine Ölgewinnung unter solchen Umständen ist überhaupt nur vertretbar, wenn die - sehr anspruchsvolle - Sicherheitstechnik nachweislich funktioniert. Das war beim Blowout Preventer der BP-Plattform schon vor dem Unfall zweifelhaft."

Verzweigte Gänge und Chemikalien sorgen für höhere Ausbeute

Der gelernte Biologe plädiert dafür, dass in ökologisch wertvollen, empfindlichen Gebieten kein Öl gefördert wird. Etwa in Regenwäldern: "In Ecuador machen die Pipelines Probleme, einige laufen sogar durch Erdbebengebiete. In unberührter Natur hat die Erdölindustrie nichts zu suchen." Auch Hilmar Rempel wünscht sich dort strenge Vorschriften, um den Eingriff in die Natur möglichst gering zu halten. So sei es sinnvoll, das Wasser, das bei einer fortgeschrittenen Bohrung mit dem Öl an die Oberfläche tritt, wieder zurückzupressen. "Aber das Verfahren ist teurer als die Aufbereitung und Ableitung des Wassers, denn man braucht eine weitere Bohrung, um das Wasser in den Untergrund zu injizieren." Und so erreichen uns immer wieder Bilder aus südamerikanischen Urwäldern, in denen der Boden durch schwarze Öllachen großflächig verseucht ist.

Eine andere empfindliche Region, die Arktis, steht für die bislang folgenschwerste Ölverschmutzung: das Tankerunglück der "Exxon Valdez" im März 1989 im Prinz-William-Sund, Alaska. 40 000 Tonnen Rohöl flossen in ein Meeresgebiet, in dem die schmierige Masse durch das kalte Klima nur langsam abgebaut wird. Feddern: "Noch immer finden sich Ölrückstände; die Natur hat sich noch nicht erholt."

In Alaska werde bereits seit den 1970er-Jahren an Land Öl gewonnen, sagt Rempel, vereinzelt auch im Meer. "Die winterliche Eisbedeckung erschwert die Arbeit sehr stark", so der BGR-Experte. "Entweder wird saisonal gebohrt, es werden künstliche Inseln aufgeschüttet oder eisresistente Plattformen entworfen. Die befinden sich aber noch in der Entwicklung. Bei einem norwegischen Projekt mussten alle Installationen fest am Meeresboden verankert werden, damit sie nicht vom Eisgang weggeschoben werden." Die Ölsuche stößt nicht nur in entlegene Gebiete vor, sie bedient sich auch immer ausgefeilterer Technik. Längst ist es üblich, verzweigte und horizontale Gänge zu bohren, um das Ölfeld besser zu erschließen. In die Hohlräume werden dann die Förderrohre hineingeschoben.

Um die Ausbeute zu erhöhen, werden Chemikalien (Tenside) in den Untergrund gepumpt, die das Öl vom Gestein lösen. Zum Teil wird Wasserdampf in den Boden geschickt. Er verflüssigt das schwarze Gold, damit es besser zu fördern ist. Die Injektion von Wasserdampf könnte auch bereits ausgebeuteten Vorkommen das Restöl entlocken. Denn selbst mit heutiger Technik werden nur etwa 35 Prozent des vorhandenen Öls gefördert. Shell versuche, eine stillgelegte niederländische Lagerstätte mittels Wasserdampf ein zweites Mal auszubeuten, erzählt Rempel. Doch bislang sei der Ölpreis zu niedrig, als dass sich dies generell lohnen würde. Natürlich kostet dieses Verfahren viel Energie. Rempel schätzt, dass (als Wasserdampf) etwa 50 Prozent Energie eingesetzt wird, um (mit dem Öl) 100 Prozent Energie zu "ernten".

Wasserdampf wird auch bei der Ausbeutung von Ölsänden genutzt, die Greenpeace-Experte Feddern als Desaster bezeichnet, das eingestellt werden müsse. In der kanadischen Provinz Alberta wird in riesigen Tagebau-Projekten Ölsand abgebaut - die betroffene Fläche habe bereits die Größe Englands erreicht, so Greenpeace. Bei dieser Form der Ölgewinnung würden große Mengen giftiger Abwässer und drei- bis fünfmal so viel Treibhausgase wie bei konventionellen Verfahren frei.

BP setzt in seiner Infobroschüre eher auf die Tiefsee

Bei den Ölsänden sieht auch BP Nachteile; die Nutzung sei "erheblich teurer und energieaufwendiger" als das Anzapfen konventioneller Lagerstätten. Der Konzern setzt in seiner Informationsbroschüre eher auf die Tiefsee, dort werde "im kommenden Jahrzehnt mehr als die Hälfte der Erdölförderungen stattfinden". Zum Golf von Mexiko heißt es: "Die intensive Forschungsarbeit ist nicht nur für BP ein Meilenstein. Von den Erfahrungen und den zahlreichen Entwicklungen profitiert die gesamte Offshore-Industrie." Im Moment sammelt sie vor allem Erfahrungen in der Schadensbekämpfung.