Im Golf von Mexiko wird jetzt doppelt so viel aus dem beschädigten Bohrloch abgesaugt wie bisher. Juristen bereiten sich auf Klageserie vor.

Washington. Endlich ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen die Ölpest im Golf von Mexiko. Vier Wochen nach der Explosion der Bohrplattform "Deepwater Horizon" wartet der britische Ölkonzern erstmals mit einem Etappensieg auf: BP kann den Ölaustritt um 40 Prozent reduzieren; doppelt so viel Öl wird aus dem Bohrloch gesaugt wie noch am Sonntag. 800 000 Liter täglich strömten bislang nahezu ungehindert ins Meer. Nun können 316 000 Liter pro Tag eingefangen werden, nachdem am Wochenende ein Saugrohr in ein abgebrochenes Steigrohr am Meeresgrund eingeführt wurde. Der Konzern will die Absaugmenge schrittweise erhöhen und etwa die Hälfte des Ölaustritts mit dieser Methode stoppen.

Experten befürchten allerdings, dass pro Tag weit mehr Öl aus den zwei Lecks in 1600 Meter Tiefe austritt, als von BP angegeben. Riesige Ölschwaden unter Wasser drohen in die Meeresströmung "Loop Current" zu geraten, die die schädliche Brühe in Richtung der Inselkette Florida Keys spülen könnte. Damit wären die einzigartigen Strände, Korallenriffe und Naturschutzgebiete in Gefahr. An der Küste von Florida wurden bereits 20 Teerklumpen mit bis zu 20 Zentimeter Umfang entdeckt. Die Küstenwache lässt sie im Labor untersuchen, um ihre Herkunft festzustellen.

Nach dem Öl strömen nun auch die Advokaten an die Golfküste. Noch lassen sich die Schäden der Ölpest nicht einmal absehen, doch eines ist bereits klar: Die Katastrophe wird eine Klagewelle nach sich ziehen. Fischer, Hoteliers, Gastronomen, selbst Friseure wollen für entgangene Einnahmen entschädigt werden. BP, aber auch einige andere beteiligte Unternehmen müssen sich auf umfangreiche Entschädigungsansprüche vorbereiten. "Die Klagen um die Ölpest könnten sogar noch Hurrikan ,Katrina' in den Schatten stellen", sagt die Anwältin Judy Giuce, die eine Kanzlei in Biloxi an der Küste des US-Bundesstaats Mississippi führt. ",Katrina' war eine Naturkatastrophe, unsere Klienten klagten vor allem gegen die Versicherungen", berichtet Guice. "Die Ölpest aber ist ein von Menschen gemachtes Desaster." Damit wüchsen sowohl die Klagemöglichkeiten als auch die Erfolgsaussichten.

Aber auch Umweltschützer reichten zwei Klagen vor Bundesgerichten in Alabama und Texas ein. Ziel ist es, eine BP-Bohrinsel schließen zu lassen, die ohne vollständige technische Unterlagen betrieben wurde. Die zweite Klage richtet sich gegen die für Tiefseebohrungen verantwortliche Behörde für Mineralienförderung (MMS), die 2008 die Regeln für die Betreiber von Offshore-Projekten gelockert hatte. Bestimmte Projekte wurden demnach damals von der Verpflichtung, einen Notfallplan vorzulegen, ausgenommen. Seit dem Untergang der "Deepwater Horizon" hat die MMS mindestens acht Aufschlussbohrungen genehmigt, obwohl nur minimale Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt wurden.

Der Betreiber der Bohrplattform steht mittlerweile auch nicht mehr als Einziger im Kreuzfeuer der Kritik. Denn auch die Politik gerät zunehmend ins Visier der Ermittlungen. Der US-Senat will nun herausfinden, inwieweit die Politik eine Mitschuld an der Naturkatastrophe trägt. US-Innenminister Ken Salazar, dem die MMS untersteht, stand bei Anhörungen im Senat als Zeuge Rede und Antwort. Er kündigte bereits eine umfassende Reform dieser Behörde an.

MMS-Abteilungsleiter Chris Oynes hat bereits Konsequenzen gezogen und gibt seinen Posten zum Monatsende auf. Oynes, der seit 35 Jahren für die Regierung arbeitet, wurde 2007 zum Leiter für Offshore-Projekte ernannt. Obama kritisierte vergangene Woche, dass die Behörde eine zu "behagliche" Beziehung zur Ölindustrie pflege. Der US-Präsident will die Umweltkatastrophe außerdem von einer Kommission untersuchen lassen, die nach dem Vorbild des Ausschusses zur "Challenger"-Katastrophe eingerichtet werden soll. Im Unterschied zu anderen Ausschüssen, die sich bereits mit der Explosion der Ölplattform am 20. April und deren Folgen beschäftigen, ist diese Kommission dem Präsidenten direkt unterstellt.