Es geht nicht mehr nur ums Aufhübschen, es geht um Lösungen für Probleme. Ein Plädoyer für den Designer als Zukunftsgestalter.

Hamburg. Wie die Zukunft aussieht, weiß keiner. Aber dass sich unsere Gesellschaft ändern muss, um in Zukunft überlebensfähig zu sein, das wissen wir alle. Dazu brauchen wir eine neue Kultur der Gestaltung, ein Zukunftsdesign, das nach wirklichen Lösungen für die Probleme der Gegenwart sucht. Gemeinhin gilt Design als das Aufhübschen von den alltäglichen Dingen, die uns umgeben, vom Auto bis zur Zahnbürste. Designer sind zuständig für den billigen Glamour der Konsumkultur.

Doch dieses Bild von Design greift viel zu kurz. Designer sind Problemlöser, ihnen geht es nicht um das Dekorieren des Gegenwärtigen, sondern um dessen Veränderung. Und die setzt an unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit und unseren Vorstellungen von Zukunft an. Nehmen wir das Thema Klimawandel. Immer wieder hören wir, dass sich das Klima auf der Erde ändern wird - und damit die Lebensbedingungen für große Teile der Weltbevölkerung. Aber mit welchen Lebensformen können wir diesen Veränderungen begegnen?

Der belgische Architekt Vincent Callebau hat deshalb "Lilypad" entwickelt, eine schwimmende Insel, die den Klimaflüchtlingen der Zukunft eine neue Heimat bieten soll. Jede der Inseln kann 50 000 Menschen beherbergen. Sie ist eine "Ökopolis", klimaneutral und autark: Die doppelte Außenhaut aus Polyesterfasern ist mit Titan-Dioxid beschichtet, das als Katalysator zur Luftreinigung beiträgt. Regenwasser wird in einer Lagune gesammelt. Treibstoff benötigt Lilypad nicht, sondern folgt als Nomadin den Meeresströmungen zwischen dem Äquator und den Polen.

Der argentinische Architekt und Künstler Tomas Saraceno zielt auf eine andere Vision: eine fliegende Struktur, die sich aus gigantischen Ballons zu einer Stadt in den Wolken zusammensetzt. Unabhängig von den Landesgrenzen auf dem Erdboden bietet die "Cloud City" Platz für alle, die keiner Nation angehören wollen oder können. Sie ist extraterritoriales Territorium.

Um diese Utopie zu verwirklichen, arbeitet Saraceno an konkreten Modulen: an Ballons, in denen Menschen und Pflanzen schweben können, sowie an fliegenden Infrastrukturen für Notstandsgebiete. Ein Vorbild für die Verbindung der verschiedenen Module sieht Saraceno in Spinnennetzen, deren Struktur er deshalb intensiv erforscht. Seine Werke versteht er nicht als Utopien, sondern als notwendiges und bald zu realisierendes Zukunftskonzept.

Auch Ion Sorvin, Kopf der dänischen Künstlergruppe N55, hat ein nomadisches Wohn- und Lebenskonzept entwickelt. Sein Walking House bewegt sich mit minimiertem ökologischen Fußabdruck langsam durch die Landschaft. Solarzellen und kleine Windräder versorgen es mit Strom, Wasser erhalten seine Bewohner aus einer Aufbereitungsanlage für Regen. Ein kleines Gewächshaus ergänzt das Basismodul. Das Leben im Walking House ist klimaneutral und komplett unabhängig. Auch Straßen braucht es nicht: Mit seinen hydraulischen Beinen kann es sich auf jedem Gelände bewegen.

Design ist, so der Nobelpreisträger Herbert Simon, die "Transformation eines gegebenen Zustands in einen gewünschten Zustand." Alle drei vorgestellten Beispiele sind keine konkreten Produkte, keine Lösungsvorschläge im praktischen Sinne, sondern Bilder, die unsere verkrusteten Vorstellungen vom Leben aufrütteln sollen.

Wie dringend dies nötig ist, zeigt die Explosion der Ölplattform "Deepwater Horizon". Dort wurde die Offshore-Ölförderung im Golf von Mexiko trotz Sicherheitsbedenken ausgeweitet, um immer tiefer liegende Ölquellen auszubeuten. Dabei wurden wissentlich höhere Unfallrisiken eingegangen. Nun droht der Region eine Umweltkatastrophe, deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist. Die angebohrte Quelle sprudelt weiter, und welche Auswirkungen die vor Ort eingesetzten Chemikalien auf die Umwelt haben, ist ebenfalls völlig offen.

Dieser Unfall ist kein einmaliges Ereignis, sondern die Folge eines generellen Versagens der westlichen Kultur. Statt an innovativen Formen der Energieversorgung zu forschen, wird in unserer Gesellschaft das vorhandene System stabilisiert. Aber den Energiehorizont entdeckt man nicht in der Tiefsee, sondern nur mit gestalterischem Weitblick. Mit unserem gegenwärtigen, veränderungsresistenten und gleichzeitig verschwenderischen Lebensstil hat die gegenwärtige westliche Kultur keine große Überlebenschance. Die Zivilisationsgeschichte kennt viele Kulturen, die an mangelndem Weitblick zugrunde gegangen sind. Die Überlebensfähigkeit - und Intelligenz - einer Kultur bemisst sich darin, wie sehr sie in der Lage ist, sich selbst zu reformieren.

Wir brauchen heute keine immer neuen Konsumprodukte mehr, die die Bedürfnisse Einzelner befriedigen und die ökonomischen Interessen der Industrie bedienen. Wir brauchen eine neue Gestaltungskultur, die nicht nur das bestehende optimiert, sondern auch eine neue Zukunft denkt. Dieses Zukunftsdesign ist eine intelligente Kunst der gesellschaftlichen Transformation. Es ist die Voraussetzung für eine neue westliche Kultur, die weiterhin auf individueller Freiheit basiert, ohne die eigene Entfaltung auf Kosten - ökonomisch, ökologisch und sozial - der restlichen Welt auszuleben.

Designer sind Experten für Wunschproduktion. Sie wissen, wie man Begierde und Lust auf Neues weckt. Wir benötigen ihre kreative Energie und ihre Ideen. Und diese Zukunftsdesigner brauchen den Mut, einen Lebensstil jenseits der verbrauchsorientierten, oberflächlichen Konsumkultur zu entwerfen. Sonst hat unsere Kultur keine Zukunft.