Der Fall der Zwickauer Terrorzelle wird immer verworrener. Was ist sicher? Was nicht? Fragen und mögliche Antworten im Überblick.

Berlin/Erfurt/Karlsruhe. Wer gehörte der rechtsextremen Terrorzelle an? Bekannt ist der Kern der Zwickauer Terrorzelle Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die beiden Männer sind tot, sie haben sich vor zwei Wochen nach Angaben der Polizei umgebracht. Zschäpe sitzt in Köln in Haft und schweigt zu dem Fall. Alle drei werden für neun Morde an türkisch- und griechischen Kleinunternehmern sowie an der Heilbronner Polizistin verantwortlich gemacht. Auch der Nagelbombenanschlag in Köln 2004 soll auf ihre Rechnung gehen.

Wer könnte das Trio unterstützt haben? Laut Bundeskriminalamt hat das Trio womöglich von einem breiten Unterstützer-Netzwerk profitiert. Holger G. sitzt bereits in Haft, er wurde in Niedersachsen festgenommen und soll dem Trio unter anderem Pässe besorgt und Wohnmobile angemietet haben. Neben ihm und Zschäpe gibt es laut Generalbundesanwalt Harald Range noch zwei zusätzliche Beschuldigte. Wer sie sind, ist bisher nicht bekannt. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg gab es Hinweise auf mögliche Unterstützer. Laut der sächsischen Linken-Politikerin Kerstin Köditz war die Terrorgruppe im Erzgebirge gut vernetzt. Mindestens fünf Personen aus Johanngeorgenstadt sollen Mitwisser oder Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU gewesen sein.

Welche Verbrechen könnte die Gruppe noch begangen haben? Beim tödlichen Ludwigshafener Wohnhausbrand von 2008 geht der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff (SPD) nicht von einem Anschlag aus. Nach der Überprüfung erster DNA-Spuren gibt es auch keine Hinweise auf eine Verbindung zu dem Fall Alois Mannichl. Der Passauer Polizeichef war 2008 in Fürstenzell nahe Passau niedergestochen und schwer verletzt worden. Laut Bundesinnenministerium sollen weitere Morde und Sprengstoffanschläge seit 1998 geprüft werden.

Plante das Trio noch weitere Morde? Das lässt sich nicht sagen. Bei den tausenden Namen auf neu entdeckten Datenträgern handelt es sich nach Angaben des Bundeskriminalamts nicht um eine „Todesliste“. Die Angaben wurden eher „willkürlich“ und „telefonbuchartig“ zusammengestellt.

Was wusste der Verfassungsschutz über die Neonazis? Laut Bundesanwaltschaft gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass der NSU eine Verbindung zum Thüringer Verfassungsschutz unterhielt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat Mängel bei der Bekämpfung des militanten Rechtsextremismus eingeräumt und lückenlose Aufklärung der Neonazi-Mordserie zugesagt. Allerdings machen einige Politiker und Verbände den Verfassungsschutz dafür verantwortlich, rechtsextreme Strukturen gefördert zu haben.

Warum wurde das Trio nicht früher festgenommen? Diese Frage gibt weiter Rätsel auf – die Sicherheitsbehörden haben diverse Pannen eingeräumt. Schon 1998 konnte das Trio aus Thüringen untertauchen und flog nicht auf, bis vor zwei Wochen die Männer Böhnhardt und Mundlos nach einem Banküberfall tot in Eisenach gefunden wurden und die Wohnung des Trios in Zwickau in die Luft flog. Laut einem Bericht des MDR Thüringen wurde eine Festnahme der Drei Ende der 90er Jahre in letzter Minute abgebrochen. Zielfahnder hätten die Verdächtigen zwischen 1998 und 1999 im sächsischen Chemnitz aufgespürt, das Spezialeinsatzkommando habe kurz vor einem Zugriff gestanden – dann wurde alles abgeblasen. Es habe anschließend ein Gespräch zwischen „hohen Vertretern des Innenministeriums“ und den Polizisten gegeben. Es ist aber nicht klar, ob den Beamten ein Grund für den Abbruch der Aktion genannt wurde.

Neue Datei und Abwehrzentrum für den Kampf gegen Neonazis

Der Kampf gegen Neonazi-Terror in Deutschland soll künftig zentral organisiert werden. Geplant sind die Einrichtung eines „Abwehrzentrums Rechts“ und eine Sammel-Datei für sämtliche Ermittlungsergebnisse verschiedener Behörden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) entschuldigte sich für „Unzulänglichkeiten“ bei den Ermittlungen gegen die Zwickauer Neonazi-Gruppe. Der Anwalt der inhaftierten Terrorverdächtigen Beate Zschäpe machte am Freitag Hoffnungen auf eine baldige Aussage seiner Mandantin zunichte.

Die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern einigten sich bei ihrem Sondertreffen in Berlin auf den Aufbau einer zentralen Datei für Informationen der Verfassungsschutz- und Polizeibehörden über rechtsextremistische Kreise. Friedrich erklärte, dass es dabei nicht nur um terroristische Bedrohungen gehe, sondern auch um Extremismus als eine mögliche Vorstufe des Terrors.

Am neuen „Abwehrzentrum Rechts“ sollen sich zunächst das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligen. Noch besprochen werde, inwieweit die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden der Länder und die Bundesanwaltschaft dabei mitarbeiten sollten, sagte Friedrich.

Die Links-Fraktion im Bundestag kritisierte die Beschlüsse. „Wer mit neuen Datenbanken und der Aufweichung des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten Grundrechtsabbau betreibt, erweist der Demokratie einen Bärendienst“, sagte Jan Korte, Mitglied im Fraktionsvorstand der Links-Fraktion.

Grünen-Chefin Claudia Roth warf der Bundesregierung Aktionismus im Kampf gegen rechten Terror vor. Die eigentliche Aufgabe sei jetzt „eine entschiedene, lückenlose Aufklärung der Geschehnisse und Versäumnisse rund um die rechtsterroristischen Morde und Anschläge“. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, warnte vor übereilten Schlussfolgerungen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte hingegen die Pläne.

Auch ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren wurde auf dem Sondergipfel in Berlin diskutiert. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will diese Option akribisch prüfen. Es dürfe „auf gar keinen Fall passieren“, dass ein solches Verfahren noch einmal „sehenden Auges“ scheitert, sagte die FDP-Politikerin mit Bezug auf den erfolglosen Anlauf zu einem NPD-Verbot im Jahr 2003. Eine Arbeitsgruppe der Landesinnenminister werde sich mit einem möglichen neuen Verfahren befassen.

Die Justizministerin sprach von einer „Serie von Defiziten und Fehlern“ bei den Ermittlungen gegen die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Friedrich sagte: „Wir müssen uns für all diejenigen entschuldigen, die einen Fehler gemacht haben.“

Die Bundesanwaltschaft hat für die Ermittlungen in dem Fall ein Lagezentrum eingerichtet, wie Generalbundesanwalt Harald Range sagte. Seine Behörde prüfe derzeit Verbindungen von zwei weiteren möglichen Unterstützern der Zwickauer Terrorgruppe.

Bisher werden der Zelle drei Personen zugerechnet: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die nach bisherigem Ermittlungsstand Selbstmord begangen haben, sowie die in Köln in Untersuchungshaft sitzende Beate Zschäpe. Zudem stehen zwei Männer, Holger G. und Matthias D., unter Verdacht, die Zelle unterstützt zu haben.

Zschäpe will vorerst nicht aussagen. Ihr Anwalt Wolfgang Heer sagte der Nachrichtenagentur dapd in Köln, er habe seiner Mandantin geraten, „zunächst keine Erklärungen zur Sache abzugeben“. Zuvor war BKA-Präsident Jörg Ziercke noch davon ausgegangen, dass Zschäpe aussagen wolle. Wahrscheinlich habe sie sich aus diesem Grund gestellt, sagte er in Berlin.

Ziercke wies zugleich Berichte über eine „Todesliste“ der Zwickauer Zelle zurück. Es stimme zwar, dass eine Liste mit „über 10.000 Anschriften und Namen“ entdeckt wurde, sagte Ziercke. Das sei aber keine „Todesliste“. Alle auf der Liste verzeichneten Personen würden informiert mit dem Hinweis, dass es keinen Grund zur Besorgnis gebe. Die Liste stamme aus dem Jahr 2005. (dpa/dapd/abendblatt.de)