Vor zehn Jahren fand die steile Karriere von Andrea Fischer ein Ende. Wie sich Christian von Boetticher fühlen muss, weiß sie genau.

Berlin. Sie ist offen, sie erzählt gern, sie lacht viel, sie zeigt sich. Aber die so entspannt wirkende Andrea Fischer kann von der einen auf die andere Sekunde einsilbig werden. Wer die frühere Bundesgesundheitsministerin auf den 9. Januar 2001 anspricht, den Tag ihres Rücktritts wegen der BSE-Krise, bekommt von der Grünen-Politikerin eine Lektion in politischer Kultur erteilt. Über diesen Tag wolle sie nicht reden, sagt sie. Das habe sie in den vergangenen zehn Jahren schon nicht getan. In ihre Gefühlswelt von damals will die 51-Jährige niemanden mehr hineinlassen. Sie deutet nur an, was mit jemandem geschieht, dessen Karriere plötzlich ein Scherbenhaufen ist, dessen jahrelange Zielstrebigkeit in einer beruflichen Katastrophe endet. "Dass es kein leichter Weg war, aus der Politik auszuscheiden, muss ich doch nicht extra erklären. Wenn ein Tischler plötzlich nicht mehr seine Hand bewegen kann, dann ist das für ihn auch schrecklich."

Ein Nachmittag in Berlin-Moabit. Andrea Fischer trinkt Apfelschorle auf einer Restaurantterrasse und verkneift es sich zu rauchen. Eigentlich hat sie wieder angefangen. "Ich kann jetzt tun, was ich will", sagt sie strahlend. Als sie 1998 als recht unerfahrene Politikerin zur Gesundheitsministerin der ersten rot-grünen Bundesregierung berufen wurde, gewöhnte sie sich das Laster ab. Gut zwei Jahre später machte es keinen Unterschied mehr. Mit 38 hatte sie alles erreicht, mit 40 wieder alles verloren.

Auch Christian von Boetticher ist mit 40 gestürzt. Sie weiß, wie er sich fühlen muss, sagt aber auch, sie habe kein Mitgefühl für den tief gefallenen CDU-Hoffungsträger aus Schleswig-Holstein. "Eine Partei hat das Recht festzulegen, wer politisch noch von Nutzen ist und wer nicht. Deswegen habe ich öffentlich nie mit der Partei gehadert." Dass Boetticher zurücktreten musste, habe viel mit der Partei zu tun. Die CDU habe wohl am Ende entschieden, "dass er nicht der Richtige für das Ministerpräsidentenamt ist". Fischer weiß nur zu gut, welche Mechanismen in einer Partei wirken, wenn aus Rückhalt Rücksichtslosigkeit wird.

Die Grünen sind da nicht anders als die Konkurrenz. Sie hatten im Winter 2000/2001 Fischer so lange gestützt, bis Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) der Geduldsfaden riss. Über Wochen hatten das Gesundheits- und das Landwirtschaftsministerium trotz der Warnungen aus der EU-Kommission die BSE-Gefahr in Deutschland unterschätzt. Auch hatte Fischer die Bevölkerung nicht ausreichend über den Rinderwahn informiert. Zuvor war sie schon mit ihrer Gesundheitsreform im Bundesrat kläglich gescheitert. Hinzu kamen Auftritte, in denen sie unsicher wirkte, ihre Stimme brüchig wurde, Interviews, in denen sie sich über den Umgang mit ihrer Person beklagte. Die jüngste Ministerin im Kabinett Schröder galt als instabil. Am 9. Januar gab sie dem Druck nach. In ihrer Rücktrittserklärung offenbarte sie, wie ungerecht sie sich behandelt fühlte: Sie habe sicher Fehler gemacht, setzte sie an. "Für sich genommen halte ich diese Fehler jedoch nicht für schwerwiegend genug, dass sie einen Rücktritt gerechtfertigt hätten. Dennoch habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen, weil es zu meinem politischen Selbstverständnis gehört, dass jeder für seine Versäumnisse die Verantwortung übernehmen soll." Dann sagte sie, für sie und ihre Partei sei es sicher "auch etwas bizarr, dass nun ausgerechnet eine grüne Politikerin als Erste die politische Verantwortung für den GAU der industrialisierten Landwirtschaft übernimmt".

Bis heute hat Fischer diese Worte im Kopf. Sie haben sich eingebrannt. Ein Jahr danach stellten sie die Grünen auch nicht mehr für den Bundestag auf. Mit 42 hatte Fischer ausgedient. "Als ich mit 38 Jahren Bundesgesundheitsministerin wurde, wusste ich: Jetzt bist du ganz oben. Ab jetzt kann es nur noch abwärtsgehen." Auf der Suche nach neuen Herausforderungen moderierte sie eine Talkshow und wurde Beraterin für die Gesundheitswirtschaft. "Das Sendungsbewusstsein der Politik hat mir schon gefehlt", gibt Fischer zu. Inzwischen "sendet" sie wieder. Fischer kandidiert für das Amt der Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Mitte. Sie wird es schwer haben, am 18. September den SPD-Amtsinhaber zu schlagen. Verliert sie, will sie ehrenamtlich in der Bezirksversammlung Politik machen - Hauptsache wieder gestalten, ganz gleich auf welcher Ebene. Vor zehn Jahren hätte sie nicht daran gedacht, einmal Kommunalpolitik zu machen, sagt sie heute. Aber dann seien Parteifreunde auf sie zugekommen. Und sie selbst habe sich weiterentwickelt. "Wenn man mal so richtig auf die Schnauze geflogen ist, dann lernt man auch daraus etwas." Sie sei ruhiger und gelassener geworden und habe gelernt, dass man in seinem Tun große Linien haben müsse. "Da hat sich in meinem Kopf etwas verändert." Als Ministerin sei sie atemlos allen Themen hinterhergelaufen. "Ich habe damals das deutsche Gesundheitswesen übernommen. Dagegen ist der Bezirk Mitte doch zu bewältigen", sagt sie und resümiert: "Der eine steigt ab, der andere steigt auf. Das ist ein normaler Vorgang in der Politik." Fischer hat zehn Jahre gewartet. Jetzt will sie wieder aufsteigen - zumindest ein bisschen.