Von Boetticher beschert der Kanzlerin noch ein Problem. Eine Kursbestimmung tut not.

Erst hatte sie kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu. Ob dem erklärten Fußballfan Angela Merkel bei der Rückkehr aus ihrem Sommerurlaub diese Fußballerweisheit in den Sinn gekommen ist, wird sich schwer belegen lassen. Jedenfalls taugt sie, um die Lage zu illustrieren, in der sich die CDU-Vorsitzende nach diesem Wochenende befindet.

Die Debatte um den Kurs der Partei, die von den Alten und früh Gealterten um Erwin Teufel und Philipp Mißfelder befeuert wird, ist zu einer der prägenden dieses Sommers geworden. Merkel steht vor der Frage, welchen Anteil ihr Modernisierungskurs an schwachen Umfragewerten und schwerwiegenden Wahlniederlagen wie in Baden-Württemberg hat. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, welcher Natur die Debatte wäre, stünde Karl-Theodor zu Guttenberg noch als Kanzlerhoffnung auf der Bühne.

Die Selbstdemontage eines weiteren Adeligen in der Union, der die Zukunft der Christlichen Demokraten in Schleswig-Holstein verkörpern sollte, wirkt über das Küstenland hinaus. Christian von Boetticher hat, als er eine Liebesbeziehung zu einer 16-jährigen Facebook-Bekanntschaft unterhielt, auch der Kanzlerin geschadet. Die Landtagswahl im nächsten Frühjahr ist für die Bundes-CDU von strategischer Bedeutung. Schleswig-Holstein soll nach einem Jahr des Missvergnügens - die bevorstehenden Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin bergen geringes Erlösungspotenzial - den Erfolg zurückbringen. Doch die Affäre Boettichers lässt die Chancen der SPD wachsen, nach Hamburg ein weiteres Bundesland im Norden zu erobern. David McAllister hätte plötzlich ein ähnliches Alleinstellungsmerkmal wie Winfried Kretschmann als Grüner im Süden.

Akte der Selbstzerstörung in Gliederungen der CDU sind Merkel nicht anzulasten. Die Aufbauarbeit wird in Kiel zu leisten sein. Aufgabe der Bundeskanzlerin nach der Sommerpause ist es allerdings, bei der Modernisierung das richtige Maß zu finden. Die Union kann durchaus glaubwürdig sein in einer Großstadtwirklichkeit, ohne ihre Stammwähler heimatlos zu machen.

Merkel wird sich mehr Mühe geben müssen, ihre Politik zu erklären. Sogenannte Regionalkonferenzen - auch im Norden - bieten dazu Gelegenheit. Merkel muss ihren Anhängern die Sicherheit geben, dass die schwarz-gelbe Regierungskoalition nie beliebig entscheidet, sondern Politik betreibt auf einem bürgerlichen Wertefundament. Im Übrigen gilt: Die Akzeptanz jeder Modernisierung wächst mit ihrem Erfolg.

Die Energiewende ist beschlossen, ebenso die Freiwilligenarmee. Statt fortwährend darüber zu klagen, sollten die Skeptiker in der Union alles versuchen, um ihre Befürchtungen zu widerlegen. Die Aussetzung der Wehrpflicht wird als vernünftig gelten, wenn es gelingt, Freiwillige in ausreichender Zahl für Bundeswehr und soziale Dienste zu gewinnen. Und der Ausstieg aus der Atomkraft wird weitere Freunde finden, wenn es eben nicht zu Stromausfällen, explodierenden Energiepreisen oder zur vollendeten Abhängigkeit von russischem Gas kommt. Der Erfolg setzt Bereitschaft zur Anstrengung voraus. Sie wird wachsen mit der Zuwendung der Kanzlerin.

Zum richtigen Maß gehört, die Zahl der Modernisierungsgleise überschaubar zu halten. Und manche zu versperren. Neben Atomausstieg und Wehrreform - und atemlosen Versuchen zur Rettung des Euro - in ganz Deutschland die Axt an die Hauptschule zu legen, überfordert nicht nur konservative Stammwähler. Das Eintreten für Vielfalt in der Bildung und gegen Gleichmacherei ist ein Grundprinzip der Union, das sie von anderen unterscheidet. Hält Angela Merkel daran fest, wachsen die Wahlchancen ihrer Partei.