Gegner des Projekts Stuttgart 21 werden nun doch an der Präsentation des Stresstests teilnehmen. Das erklärte Schlichter Heiner Geißler.

Stuttgart. Die Gegner des umstrittenen Projekts Stuttgart 21 haben sich umentschieden und werden nun doch an der Präsentation des Stresstests für den Tiefbahnhof teilnehmen. Das kündigte Schlichter Heiner Geißler am Sonntagabend mit. Die Bedingung der Projektgegner sei gewesen, das für Dienstag geplante Treffen nach hinten zu verlegen. „Deshalb verschieben wir das auf Freitag“, sagte Geißler. Das sei mit der Bahn abgesprochen.

Die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender, begründete die Rückkehr an den runden Tisch mit einer überwältigenden Zahl von Zuschriften von Stuttgart-21-Gegnern. Viele hätten die Sorge geäußert, dass ansonsten nur die Bahn ihre Sicht der Dinge darstellen könne, sagte Dahlbender. Das Bündnis habe diese Menschen nicht enttäuschen wollen. Dahlbender wörtlich: „Es ist keine Schande, wenn man sich von diesen zahlreichen Voten umstimmen lässt.“

Der Sprecher der grün-roten Landesregierung, Rudi Hoogvliet, zeigte sich erfreut über die Zusage des Bündnisses. „So bekommt die Schlichtung ihren erforderlichen Abschluss“, sagte er.

Die Bahn kommentierte die Rückkehr der Gegner an den Tisch zurückhaltend: „Die Bahn hat entschieden, den Weg der Schlichtung mit Heiner Geißler zu Ende zu gehen“, sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich der dpa. Da der Schlichter den Wunsch gehabt habe, den Termin um drei Tage nach hinten zu verschieben, sei man darauf eingegangen. Das ändere aber nichts daran, dass die Bahn die Auftragsvergabe für zwei Tunnel diese Woche abschließe. „Das Ergebnis des Stresstests steht fest. Da wird auch die Diskussion nichts mehr dran ändern“, sagte Dietrich. Die Aufträge für die Tunnel haben ein Volumen von rund 750 Millionen Euro.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke zeigte sich erfreut, dass die Gegner von ihrer Forderung nach einem zweiten Stresstest und ihrem Boykott Abstand genommen haben. „Das zeigt auch, dass sich die Halbwertzeit der Ansagen des Aktionsbündnisses ständig beschleunigt“, sagte Rülke.

Eigentlich wollte das Aktionsbündnis die Vorstellung des Gutachtens der Schweizer Verkehrsberatungsfirma sma zum Stresstest boykottieren, weil es mit den Voraussetzungen nicht einverstanden war. Bis zuletzt hatten die Gegner einen zweiten Stresstest gefordert. An dessen Erstellung müssten auch sie selbst mitarbeiten können. Dahlbender betonte nun: „An unserer grundsätzlichen Kritik hat sich nichts geändert.“

Geißler zeigte sich erfreut darüber, dass die Gegner ihre Meinung noch geändert haben. Sein Hauptziel bei der Schlichtung sei immer totale Transparenz gewesen. „Diese wäre nicht mehr gegeben gewesen, wenn eine Seite nicht dabei gewesen wäre.“ Das Treffen am Freitag werde um 10.00 Uhr mit einem Faktencheck beginnen, bei dem das Pro und Contra der Voraussetzungen für den Stresstest diskutiert werde. Gegen 12.00 Uhr solle dann die eigentliche Präsentation beginnen.

Dahlbender sagte, die Verschiebung des Termins sei eine Voraussetzung für die Teilnahme gewesen. „Wir haben jetzt genügend Zeit, uns vorzubereiten.“ Außerdem habe man am Freitagvormittag dann Gelegenheit, die Kritik an den Prämissen des Stresstests darzustellen. (dpa/abendblatt.de)

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Um 13.32 Uhr lief gestern die erste Eilmeldung, und Befürworter von Stuttgart 21 werden geschmunzelt haben: Gutachter geben grünes Licht für das Projekt. Grünes Licht für einen Bahnhof, den die Grünen um jeden Preis verhindern wollten - und nun vielleicht doch bauen müssen. Grünes Licht für ein Projekt, gegen das gerade die Grünen über Monate protestiert haben. Ein Protest, der den grünen Winfried Kretschmann bis nach ganz oben an die Macht in Baden-Württemberg getragen hat.

Das unabhängige Gutachten der Schweizer Firma SMA habe die Leistungsfähigkeit des geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhofs bestätigt, heißt es nun. Stuttgart 21 besteht den Stresstest. Bestehen die Grünen jetzt auch den innerparteilichen Stresstest?

Die Partei um Kretschmann hat im Wahlkampf nie versprochen, dass sie das Bahnhofsprojekt aufhalten wird. Sie hat gesagt, dass sie ihr Möglichstes dafür tut. Viel war das bisher nicht. Vor allem Ministerpräsident Kretschmann hält sich auffällig staatsmännisch aus der Debatte heraus - und lässt seinen Verkehrsminister Winfried Hermann in die politische Schlacht mit Projektgegnern und Bahn AG ziehen. Er musste in den vergangenen Wochen viel Kritik aushalten - er und sein Amt stehen zwischen den politischen Stühlen. Die Bahn sagt, vertraglich sei Hermann verpflichtet, alles für den Bau von Stuttgart 21 zu tun. Doch Hermann ist ein klarer Gegner des Projekts. Vielleicht spiegelt sich das Dilemma der Grünen am stärksten in seiner Person. Eine Partei, die das Vertrauen der Wähler in Sachen "S21" nicht enttäuschen will. Und eine Partei, die jetzt als Regierende mit allein Beteiligten eine politische Lösung herbeiführen muss.

Die grüne Hoffnung auf eine bequeme Lösung für das Dilemma lag in einem Stresstest mit einem negativen Ergebnis. Diese Hoffnung wurde gestern weggeblasen. Der Stresstest ist ein erstes klares Signal dafür, dass das Politikum "S21" am Ende nicht gut ausgehen könnte für die Grünen.

Die Computersimulation der Gutachter hat nachgewiesen, dass der neue Bahnhof zur Hauptverkehrszeit am Morgen 30 Prozent leistungsfähiger ist als der bestehende Kopfbahnhof. "Wir sind froh über das Ergebnis", sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Der Test soll nach dem Willen von Schlichter Heiner Geißler (CDU) am Dienstag öffentlich präsentiert werden. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 will die Veranstaltung boykottieren. Die Gegner fühlen sich mit ihren Wünschen nach Mitwirkung an dem Test ignoriert.

Die Grünen boykottieren nicht. Die Frage, ob die Grünen das Ergebnis des Gutachtens akzeptieren, wollte Fraktionschefin Edith Sitzmann vorläufig noch nicht beantworten. Stattdessen sucht die Partei nun nach weiteren politischen Wegen aus ihrem Dilemma. Sitzmann stellte erneut das Kosten-Nutzen-Verhältnis infrage. Zwar attestierten die Gutachter dem Tiefbahnhof eine "wirtschaftlich optimale Betriebsqualität". Das heiße aber nicht, dass die Qualität auch für die Reisenden optimal ist, sagte Sitzmann. Sie verwies auf die nun geforderten Nachbesserungen. So werde der Ausbau der Wendlinger Kurve "aufwendig und kostenintensiv".

Gerade erst hatte der "Spiegel" berichtet, dass die Bahn seit Jahren die Zahlen aufgehübscht hatte. Vielleicht sind es eben diese zu hohen Kosten für "S21", die den Grünen am Ende einen parlamentarischen Spießrutenlauf ersparen könnten. Denn auch der grüne Weg aus dem Dilemma über den im Herbst geplanten Bürgerentscheid verspricht nicht die größten Erfolgschancen. Die Landesverfassung schreibt für eine erfolgreiche Volksabstimmung ein Quorum von einem Drittel aller Wahlberechtigten vor. 2,5 Millionen Wähler müssten sich gegen "S21" aussprechen. Ein unrealistisches Szenario. Am Mittwoch scheiterte dann auch noch der Antrag von SPD und Grünen, das Quorum auf 20 Prozent abzusenken. Für diese Änderung der Verfassung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag nötig. Die CDU aber zog nicht mit.

Nun könnte auch der Stresspegel innerhalb der grün-roten Koalition steigen. Nach dem Ergebnis des Stresstests zeigte sich SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel erleichtert: "Wir fühlen uns in unserer positiven Einschätzung von Stuttgart 21 bestätigt." Sollte es am Ende doch zu einem Volksentscheid über Stuttgart 21 kommen, wird es wieder Wahlkampf geben im Schwabenland - zwischen Grünen und Roten. Der Koalition droht dann ein noch größerer Stresstest. (dpa/abendblatt.de)