Es ging alles gut: Die Bauarbeiten für Stuttgart 21 sind wieder angelaufen, kleinere Proteste vor dem Bahnhof wurden friedlich geräumt.

Stuttgart. Am späten Vormittag war klar, dass an diesem Dienstag die heftigen Auseinandersetzungen vom vergangenen Herbst nicht wieder aufleben würden. Nach dem offiziellen Ende des Baustopps beim Bahnprojekt Stuttgart 21 liefen die Arbeiten rund um den Bahnhof zwar wie angekündigt wieder an – doch als die Polizei zwei Sitzblockaden mit mehr als 100 Teilnehmern am Nordflügel und an der Südseite räumte, blieb es friedlich.

Besonders Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dürfte über den Protestverlauf am Dienstag erleichtert sein, schließlich wäre er zusammen mit SPD-Innenminister Reinhold Gall für eine gewaltsame Räumung der Baustellenzufahrt politisch verantwortlich gemacht worden. Trotzdem ist das Reizthema Stuttgart 21 für Kretschmann noch lange nicht ausgestanden. Mit der Auswertung des Stresstests im Juli und einem möglichen Volksentscheid im Herbst droht eine monatelange Hängepartie um das Milliardenprojekt.

Kretschmann steht bei Stuttgart 21 ohnehin zwischen den Gleisen: Einerseits ist er der wichtigste Politiker einer Regierungspartei, die dem entschiedenen Nein zu dem Projekt einen Teil ihres Wahlerfolgs zu verdanken hat. Andererseits hat er als Ministerpräsident vorläufig keine andere Möglichkeit, als das von der Vorgängerregierung angestoßene Projekt fortzuführen und die Proteste bei den Bauarbeiten mit Polizeieinsätzen zu begleiten.

Diese Doppelrolle bringt Kretschmann Kritik von allen Seiten ein. Die FDP nutzt das Vorgehen bei Stuttgart 21 für eine Generalabrechnung mit den Grünen. Diese reagierten nach dem „Scheinheiligkeits-Schema F“, sagte FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle der „Stuttgarter Zeitung“ (Mittwoch). Auch die Stuttgart-21-Gegner beschwerten sich über die Räumung der Baustelle am Dienstag. Die Linkspartei sprach gar von „Wahlbetrug“ und sieht sich weiter als einzig wahrer S-21-Gegner.

Dabei liefen die Bauarbeiten wie angekündigt nur zögerlich wieder an. Ein Lastwagen mit Baumaterial fuhr am Nordflügel vor, am Südteil des Bahnhofs wurden die vom Baustopp ohnehin ausgenommenen Arbeiten für die Grundwasserregulierung fortgesetzt.

Wesentlich größeres Ungemach droht Kretschmann bei der Auswertung des Stresstests zur Leistungsfähigkeit des geplanten Bahnhofs am 14. Juli. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob in dem Neubau mit weniger Gleisen ein Fahrplan mit deutlich mehr Zügen realistisch funktionieren kann.

Sollten dabei Kosten von mehr als 4,5 Milliarden Euro vorhergesagt werden, wäre neuer Streit vorprogrammiert. Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass das Land sich dann nicht mehr an den Mehrkosten beteiligt. Sollte die Kostengrenze unterschritten werden oder sollten andere Projektbeteiligte, wie beispielsweise die Bahn, für mögliche Mehrkosten einspringen, ist bis Mitte Oktober eine Volksabstimmung angekündigt.

An dieser Stelle droht das nächste Problem, wenn sich eine Mehrheit gegen den neuen Stuttgarter Bahnhof ausspricht, aber gleichzeitig weniger als ein Drittel aller Wahlberechtigten gegen den Bahnhof stimmen. Die Regierung will mit einer Senkung dieser Hürde für eine Befriedung und ein stärkeres Gewicht der Bürgerbeteiligung sorgen, eine Unterstützung dieser Forderung seitens der Opposition aus CDU und FDP gilt jedoch als unwahrscheinlich.

Am Mittwoch um 14 Uhr will die Deutsche Bahn über die weiteren Pläne für das umstrittene Bahnprojekt informieren. Dabei soll es insbesondere um das sogenannte Grundwassermanagement gehen, an dem seit Dienstag wieder gebaut wird. Auch über den Stand bei der geplanten ICE-Trasse nach Ulm will der Sprecher des Bahnprojekts, Wolfgang Dietrich, berichten.

Kurz zuvor gegen elf Uhr werden die Stuttgart-21-Gegner zur aktuellen Lage Stellung nehmen. Sie hatten am Dienstag mit einer Sitzblockade gegen den Weiterbau demonstriert. Beide Seiten werden auch den für Mitte Juli geplanten so genannten Stresstest ansprechen, der die Leistungsfähigkeit des Milliardenprojekts untersuchen soll.

(abendblatt.de/dpa)