Nach der Schlichtung gehen die Proteste gegen Stuttgart 21 weiter. FDP will mehr direkte Demokratie - Bundestagspräsident ist skeptisch.

Berlin/Stuttgart. Die Schlichtung zu Stuttgart 21 ist vorbei, doch die Proteste gehen weiter . Am Wochenende sind in Stuttgart mehrere Tausend Menschen gegen das Milliarden-Bahnprojekt auf die Straße gegangen. Als ein Mann wegen Polizistenbeleidigung vorläufig festgenommen wurde, kam es zu einem Tumult in der Innenstadt. Mehrere Demonstranten versuchten, den Festgenommenen zu befreien, worauf die Beamten Pfefferspray einsetzten. Drei Menschen ließen sich wegen Augenreizungen von Sanitätern behandeln.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) appellierte an die Gegner, nicht weiter gegen den geplanten Tiefbahnhof und die neue Schnellbahntrasse nach Ulm zu demonstrieren. Der Vermittler Heiner Geißler hatte sich nach Gesprächen mit Gegnern und Befürwortern am vergangenen Dienstag für einen Weiterbau des Milliardenprojekts ausgesprochen, aber deutliche Verbesserungen verlangt.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) warnte vor zu hohen Erwartungen an Geißlers Votum. "Ich wundere mich, wie ein solcher Vorgang schnell als Modellcharakter bezeichnet werden kann", sagte er bei einer Preisverleihung in Heidelberg. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung könnte durch einen Antiparlamentarismus gefährdet werden. Er sei deshalb plebiszitären Demokratieelementen gegenüber eher kritisch eingestellt.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bekräftigte die Forderung seiner Partei nach einem Plebiszit: "Die Volksbefragung zum Bau des Bahnhofs bleibt auf dem Tisch", sagte er dem Hamburger Abendblatt. Geißler sei es "trotz ehrgeizigen Bemühens nicht gelungen, die unterschiedlichen Interessen zusammenzuführen". Die Fronten seien unverändert verhärtet, so Steinmeier.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner lehnte ein Referendum über Stuttgart 21 ab. Wer jetzt eine Volksabstimmung über das Bahnprojekt fordere, akzeptiere "weder die Bedingungen der Fachschlichtung noch deren Ergebnis", sagte er dem Hamburger Abendblatt. "In Zukunft sollten wir unser politisches System so weiterentwickeln, dass sich Schlichtungsverfahren, die immer auch Ausdruck eines vorangegangenen Systemversagens sind, erübrigen."

Im Grundsatz sprach sich Lindner für mehr direkte Demokratie bei großen Infrastrukturvorhaben aus. "Wenn die politische Beteiligung bei Großprojekten am Beginn zum Beispiel auch durch Volksentscheide ausgeweitet wird, dann können im Gegenzug die formalen Verfahren des Rechtsstaates entzerrt und beschleunigt werden", schlug der Generalsekretär vor. "So könnte etwa die Verbandsklage von unbeteiligten und nur politisch motivierten Gruppen entfallen, wenn der Souverän entschieden hat."

Lindner regte auch die Einrichtung sogenannter Bürgerkammern an. Nach dem Vorbild der Laien im Gerichtswesen könnten zufällig ausgewählte Bürger Experten anhören und ein Bürgergutachten als Empfehlung an die Parlamentarier erstellen. "Notwendige, aber unpopuläre Entscheidungen könnten so neue Akzeptanz gewinnen", sagte Lindner. "Für ein solches Instrument müsste zudem kein einziges Gesetz geändert werden, weil es sich um ein informelles Verfahren handelt."

Der Landesparteitag der Grünen in Bruchsal beschloss am Wochenende eine Resolution gegen Stuttgart 21 und für das Alternativkonzept eines modernisierten Kopfbahnhofs (K 21) ohne Gegenstimme.

Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir hatte zuvor Kompromissbereitschaft gegenüber dem Schlichterspruch angedeutet, während der Landtagsabgeordnete Werner Wölfle an der harten Ablehnung des Bauvorhabens festhielt.

Aus Sicht der Grünen führen die Vorschläge von Schlichter Geißler zu massiven Kostensteigerungen bei dem Bahnprojekt. Die Aussage von Ministerpräsident Mappus, die Kosten ließen sich auf etwa 150 Millionen Euro begrenzen, sei nicht seriös, sagte der Grünen-Verkehrsexperte Boris Palmer. Um den geplanten Tiefbahnhof leistungsfähiger zu machen, seien beträchtliche Zusatzinvestitionen nötig. Damit würden sich die Kosten für den Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und für den Anschluss an die Schnellbahntrasse nach Ulm auf deutlich mehr als fünf Milliarden Euro erhöhen.