Der Schlichter fordert Nachbesserungen bei dem umstrittenen Projekt. Kurz nach dem Schiedsspruch riefen Gegner wieder “Mappus muss weg“.

Stuttgart/Hamburg. Nur wenige Augenblicke nachdem Heiner Geißler den 200 Journalisten seinen Schiedsspruch mitgeteilt hatte, hallten Protestrufe der Demonstranten durch das Rathaus von Stuttgart. "Lügenpack", skandierten sie. "Mappus muss weg" und "oben bleiben, oben bleiben". Oben auf der Erde soll aus ihrer Sicht der Stuttgarter Bahnhof bleiben. "Oben bleiben" heißt für sie ein Ende des umstrittenen Tiefbahnhofprojekts.

Doch Stuttgart 21 wird gebaut - daran will auch Heiner Geißler nicht rütteln. Allerdings forderte er deutliche Nachbesserungen. Vor allem eine ist dabei entscheidend, auf die sich Gegner und Befürworter einigen konnten: Die Bahn verpflichtet sich zu einem "Stresstest". Sie muss in einer Simulation nachweisen, dass ein geplanter Durchgangsbahnhof zu den Stoßzeiten 30 Prozent leistungsfähiger wäre als der bestehende Stuttgarter Kopfbahnhof. Ansonsten seien zwei weitere Gleise für den unterirdischen Durchgangsbahnhof zu bauen. Aus Stuttgart 21 müsse ein "Stuttgart 21 plus" werden, hier seien sich Gegner und Befürworter einig geworden, sagte Geißler. Welche Kosten mit den Nachbesserungen verbunden sind, war zunächst unklar. Natürlich könne die Bahn aber die Kostengrenze von 4,5 Milliarden Euro einhalten, sagte Bahnchef Rüdiger Grube.

Überraschend kam die Forderung, keine weiteren Bäume für Stuttgart 21 im Schlossgarten zu fällen. Insgesamt sollen laut den ursprünglichen Planungen 280 Bäume abgeholzt werden. Die beim Bau des unterirdischen Bahnhofs frei werdenden Gleisflächen müssen nach den Worten Geißlers einer möglichen Grundstücksspekulation entzogen werden. Die Areale sollten einer Stiftung überschrieben werden. Ein Abbruch des Bahnprojekts wäre nach Ansicht Geißlers zu teuer. Die Kosten würden nach Angaben der Gegner 600 Millionen Euro, nach Angaben der Bahn 2,8 Milliarden Euro betragen.

"Es ist ein guter Tag für Baden-Württemberg", sagte Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) zum Ergebnis der Schlichtung. Und er versprach ein "transparentes Abarbeiten" der geforderten Nachbesserungen bei Stuttgart 21. Auch künftig müsse nach den guten Erfahrungen mit der Schlichtung Geißlers eine Mediation möglich sein. Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner sieht nach dem Schlichterspruch weder Gewinner noch Verlierer. "Wenn es Sieger gibt, dann sind es vor allem die Bürger und die Öffentlichkeit", sagte die CDU-Politikerin dem Hamburger Abendblatt. "Auf das Land und die Bahn kommen mit den Nachbesserungen finanzielle und bauliche Herausforderungen zu", hob sie hervor. Die Landesregierung und die Bahn würden das jetzt im Einzelnen prüfen und dann miteinander bereden.

Neunmal kamen die Parteien in den vergangenen Wochen unter Geißlers Leitung zusammen, manchmal dauerten die Verhandlungen zehn Stunden. Und auch am letzten Tag machte Heiner Geißler es spannend. Lange verschwand er in Raum 408 und 407 des Stuttgarter Rathauses, sprach mit Gegnern und Befürwortern, pendelte zwischen den Zimmern hin und her. Es war der letzte Weg auf Geißlers langer Suche nach einem Konsens. Für ihn war die Schlichtung, die im Fernsehen und im Internet übertragen wurde, ein "Demokratie-Experiment".

Geißler hob hervor, dass die Gegner - darunter auch die Grünen - gezeigt hätten, dass ihr Alternativmodell einer Renovierung des alten Kopfbahnhofs trassenmäßig realisierbar und technisch möglich wäre. Anders als für das Modell K21 liege aber nur für Stuttgart 21 eine Baugenehmigung vor.

SPD und Grüne bekräftigten ihre Kritik, lobten aber, dass durch die Schlichtung klare Nachbesserungen erreicht worden seien. "Stuttgart 21 ist nach wie vor kein gutes Projekt", sagte der Grünen-Fraktionschef im Landtag, Winfried Kretschmann: "Im Fall eines Regierungswechsels werden wir eine Bürgerbefragung oder einen Volksentscheid einleiten." Die Bundes-Grünen forderten nach dem Schlichterspruch erneut einen Baustopp. "Jetzt darf man nicht noch weiter Fakten schaffen", sagte Fraktionschefin Renate Künast. Allein zur Prüfung der Änderungsvorschläge müssten die Arbeiten ruhen.

Noch am Abend riefen die Stuttgart-21-Gegner zu Protesten auf. Heiner Geißler muss das geahnt haben. Er warb deshalb dafür, im Falle künftiger Eskalationen beim Bau von Stuttgart 21 eine situationsbedingte Schlichtung anzuberaumen - beispielsweise durch Bischöfe. Für ihn selbst ging gestern seine Schlichterrolle zu Ende. "Wir müssen jetzt aufhören", sagte der 80 Jahre alte CDU-Politiker am Ende seines Schiedsspruchs. Ohne Wehmut.