CDU/CSU und FDP einigen sich in dem Streit um die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Es soll eine Unterbringung unter “haftähnlichen Bedingungen“ eingeführt werden, die keine Strafhaft sei.

Berlin/ Karlsruhe. Der Streit um die nachträgliche Sicherungsverwahrung scheint beendet. Union und FDP haben sich nach den Worten von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geeinigt. Es soll eine Unterbringung „unter haftähnlichen Bedingungen“ für Bestandsfälle geben, die keine Strafhaft sei, so CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach. Die Betroffenen sollten alle 18 Monate erneut begutachtet werden, sagte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte eine Reihe von Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung beanstandet. Dies betraf Fälle, bei denen nachträgliche Sicherungsverwahrung rückwirkend verhängt wurde, obwohl dieses Instrument zum Zeitpunkt des Urteils noch gar nicht existierte. Für diese Fälle muss jetzt eine Neuregelung gefunden werden. Unabhängig davon hat Leutheusser-Schnarrenberger eine Gesetzesreform vorgeschlagen, die einen Verzicht auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung vorsieht.

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Wegsperren allein ist keine Lösung

Der Druck lässt nicht nach: Während die Bundesregierung über einer Reform der Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter brütet, stapeln sich in Karlsruhe und Straßburg die Gerichtsakten. Seit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden hat, dass die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechte verstößt, stehen Gerichte und Politik in Deutschland unter Zugzwang.

Beim Bundesverfassungsgericht sind derzeit neun Beschwerden gegen die Sicherungsverwahrung anhängig. Die Richter haben sich zunächst etwas Zeit verschafft: Zwei Eilanträge auf sofortige Freilassung lehnten sie ab. Doch die Sache drängt. „Das hat absolute Priorität“, sagt Gerichtssprecherin Judith Blohm. Allerdings stehen im zuständigen Zweiten Senat zwei Richterwechsel an. Das kostet Zeit. Mit einer Entscheidung wird frühestens im Herbst gerechnet.

Zugleich liegen dem EGMR in Straßburg insgesamt 40 Beschwerden vor, die im weitesten Sinne die Sicherungsverwahrung betreffen. Zehn davon sind vergleichbar mit dem Verfahren „M. gegen Deutschland“, das die Entlassungswelle ausgelöst hatte. Und wie am Wochende bekannt wurde, hat der Bundesgerichtshof als oberstes deutsches Strafgericht in einem weiteren Fall die Freilassung eines Sexualstraftäters verfügt hat.

Insgesamt sitzen derzeit rund 500 Straftäter in Sicherungsverwahrung. Mindestens 80 von ihnen können sich Hoffnung machen, unter Berufung auf das Straßburger Urteil freizukommen. Bereits entlassen wurden mindestens 15.

Die Sicherungsverwahrung ist ein Fremdkörper im Strafrecht: Normalerweise wird ein Täter bestraft, weil er verantwortlich für eine bestimmte Tat ist. Bei der Sicherungsverwahrung hingegen geht es nicht um die Schuld des Täters, sondern allein um die Sicherheit der Gesellschaft. Deshalb kann ein Täter, wenn er als gefährlich gilt, weiter eingesperrt bleiben - obwohl er seine eigentliche Strafe verbüßt hat. Und das möglicherweise für immer.

Dabei geht es nicht nur um Sexualverbrecher oder Gewalttäter. Im Prinzip können alle Wiederholungstäter ab einer gewissen Summe von Haftjahren in der Sicherungsverwahrung landen, wenn eine „Gesamtwürdigung“ ergibt, dass sie „infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten“ für die Allgemeinheit gefährlich sind. Deshalb sitzen auch Serieneinbrecher und Betrüger in der Sicherungsverwahrung.

+++Warndatei soll in Zukunft vor rückfälligen Sexualstraftätern schützen +++

Rechtlich problematisch ist die Sicherungsverwahrung vor allem bei Straftätern, die vor 1998 verurteilt wurden. Bei ihrer Verurteilung galt noch eine Höchstgrenze von zehn Jahren, nun könnten sie unter Umständen für immer weggesperrt bleiben. Diese rückwirkende Verlängerung verstößt nach der Entscheidung des EGMR gegen den in der Menschenrechtskonvention festgelegten Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“.

Aber auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung dürfte nach Meinung von Experten vor dem EGMR kaum Bestand haben. Nach dieser auf Sexual- und Gewaltdelikte beschränkten Sonderregelung kann das Gericht unter anderem bei Sexualdelikten auch dann noch die Verwahrung anordnen, wenn sich Anzeichen für eine „erhebliche Gefährlichkeit“ des Verurteilten erst während der Haft zeigen.

Das Problem: Freiheitsentzug ist nach der Menschenrechtskonvention nur in klar definierten Fällen erlaubt. „Die nachträgliche Sicherungsverwahrung hat jedoch mit der ursprünglichen Tat nichts mehr zu tun“, sagt der Direktor des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, Hans-Jörg Albrecht. „Ich gehe davon aus, dass der EGMR hier keinen ausreichenden Zusammenhang sehen wird.“ Derzeit sind vor dem Gericht sechs Beschwerden gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung anhängig. Damit könnten weitere Entlassungen bevorstehen.

Deutschland habe es vor dem EGMR auch deshalb schwer, weil es in vielen anderen Staaten kein entsprechendes System der Sicherungsverwahrung gebe, sagt Thomas Fischer, BGH-Richter und Verfasser des führenden Strafrechtskommentars. „In anderen Staaten verhängt man sehr lange Freiheitsstrafen, setzt die Vollstreckung aber schon früh zur Bewährung aus, wenn man die Verurteilten nicht mehr für gefährlich hält.“

“Die Sicherungsverwahrung ist ein Instrument, bei dem der Rechtsstaat ein schlechtes Gewissen haben muss“, sagt Fischer. „Es geht um Menschen, die keine weitere Schuld abzubüßen haben.“ Zumal die Prognose, ob ein Mensch tatsächlich weitere Straftaten begehen wird, naturgemäß recht unsicher ist. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen liegt der Anteil falscher Prognosen zwischen 40 und 56 Prozent. „Wenn wir 100 einsperren, sind vermutlich 50 darunter, die keine Taten mehr begehen würden“, sagt Fischer. „Die Frage, welche Fehlerquote ein Rechtsstaat in Kauf nehmen darf, ist in Deutschland noch nicht deutlich genug gestellt worden.“

Für Fischer gibt es nur eine Lösung: Die Unterbringung gefährlicher Straftäter müsse so gestaltet werden, dass sie keine Strafe ist: „Es geht nicht um Wegsperren für immer, sondern aus verfassungsrechtlichen Gründen auch hier um Resozialisierung.“ Dafür müssten entsprechende Betreuungs- und Therapieangebote geschaffen werden. Ganz lösen lasse sich das Problem aber nicht, meint Fischer: „Es gibt eine geringe Zahl von Menschen, die man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht draußen herumlaufen lassen darf.“