Es ist ein wegweisendes Urteil, das der BGH gefällt hat: Verurteilte Jugendliche dürfen auch nach ihrer verbüßten Strafe weggesperrt werden.

Karlsruhe. Auch junge Kriminelle dürfen eingesperrt bleiben, nachdem sie ihre Haftstrafe verbüßt haben. Der Bundesgerichtshof hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Jugendstrafen am Dienstag für zulässig erklärt.

Es war das erste Mal, dass die Karlsruher Richter das seit Sommer 2008 geltende Gesetz überprüften. Der BGH bestätigte dabei eine Entscheidung des Landgerichts Regensburg vom Juni 2009.

Danach muss ein 32-Jähriger in Haft bleiben, obwohl er seine Jugendstrafe von zehn Jahren verbüßt hat. Der Mann aus Bayern war 1999 nach dem Mord an einer 31 Jahre alten Joggerin zur Jugendhöchststrafe verurteilt worden war. Er gilt als hochgefährlich.

Der Gesetzgeber müsse auch seiner Schutzpflicht nachkommen und Menschen vor Straftaten schützen, befanden die Richter. Die Abwägung dürfe darum zulasten gefährlicher Straftäter gehen.

„Auch Opfer haben Menschenrechte“, betonte der Vorsitzende des 1. Strafsenats, Armin Nack. Um sie zu schützen, müsse dem Gesetzgeber ein gewisser Spielraum erlaubt sein. Das Gesetz sei verfassungsgemäß und wahre den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil es nur sehr begrenzt angewendet werden könne. „Verfassungsrechtlich sind wir im Grenzbereich – aber noch nicht über die rote Linie drüber“, meinte Nack. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) begrüßte die Entscheidung und zeigte sich erleichtert.

Als die Bundesregierung das Gesetz im Juli verabschiedete, hatte sie den Fall aus Bayern im Blick: Es trat nur fünf Tage vor dem 17. Juli 2008 in Kraft, dem Tag der geplanten Entlassung des 32-Jährigen. Knapp ein Jahr später entschieden die Richter in Regensburg als erste bundesweit nach der neuen Vorschrift, dass der noch nicht freigelassene Mann trotz verbüßter Strafe weiter in Haft bleibt. Schon seit 1998 eine Reihe von Änderungen für erwachsene Straftäter gegeben, um die Zusatz-Strafe zu ermöglichen.

Der 32-Jährige hatte schon als Jugendlicher Gewaltfantasien. Während der Haft attestierte ihm ein Gutachter eine zunehmende sexuelle Störung, die ihren sadistischen Höhepunkt noch nicht erreicht haben soll. Das Gericht in Regensburg habe völlig korrekt die Sicherheitsverwahrung angeordnet, befanden die BGH-Richter. Die Kollegen in Bayern hätten sich ausführlich mit der Gefährlichkeit des Mannes auseinandergesetzt und das Risiko abgewogen.

Nach Auffassung der BGH-Richter mussten sie keine Rücksicht darauf nehmen, dass ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg noch nicht rechtskräftig ist. Er hatte im Dezember 2009 geurteilt, dass die deutschen Vorschriften zur Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Es sei fraglich, ob der Fall überhaupt vergleichbar sei mit dem vorliegenden Verfahren.

Die Verteidigung hatte eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung in Straßburg beziehungsweise ein Vorlage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gefordert. Sie kündigte eine Verfassungsbeschwerde beim höchsten deutschen Gericht an.