Die Klagemauer an der westlichen Seite von Jerusalems Altstadt ist eigentlich keine Klagemauer. Zumindest ist das, was sich dort abspielt, nicht traurig.

Jerusalem. Ein Junge feierte dort seine Bar Mizwa und das war sehr fröhlich. Während er zusammen mit seinen männlichen Verwandten auf der einen Seite des Platzes die Eintrittsfeier in den jüdischen Glauben über sich ergehen ließ, standen die weiblichen Verwandten auf der anderen Seite. Die Bereiche für Männer und Frauen sind durch einen etwa zwei Meter hohen Gartenzaun getrennt. Um das Geschehen aber verfolgen zu können, stellen sich die Frauen auf Plastikstühle und schauen rüber. Gelegentlich rufen sie so etwas wie: "ei, jei, jei, jei, jeiiii", immer wenn der Bar Mizwa-Junge etwas gut macht, zum Beispiel etwas aus den Tora-Rollen vor liest ohne zu patzen. Dabei wird viel gelacht. Natürlich beten auch Menschen an der Klagemauer, aber auch das sieht eher wie ein Happening aus.

Menschen aus aller Welt, jeden Alters, Kranke und Gesunde. Warum einige dabei ihren Oberkörper immer vor und zurück bewegen, das konnte ich nicht raus finden. Vielleicht erweckt das den Eindruck des Klagens. Andere stecken kleine Zettel in die Mauer, weil sich ihre Wünsche dann eher erfüllen sollen. Es war jedenfalls ein buntes Treiben. Ich ging dann. An den Ein- und später auch Ausgängen gibt es Kontrollen von Gepäck und man selbst muss durch so ein Rechteck wie beim Flughafen gehen. An diesem Nadelöhr sitzen Frauen und bitten um Geld. Ich bin an allen vorbei. Eine schaute mich lange an. Auch an der bin ich vorbei. Vielleicht, weil ich nun schon seit vier Tagen in Jerusalem bin, ich weiß es nicht, etwas zog an mir. Ich dachte, wenn ich ihr nichts gebe, dann erfüllen sich meine Wünsche nicht. Obwohl ich gar keinen Zettel in die Klagemauer gesteckt hatte, da ist übrigens auch kein Millimeter Platz mehr in den Ritzen. Ich weiß auch, dass das dort der schlaueste Platz der Welt ist, um um Geld zu bitten. Dort, wo jeden Tag Tausende und darunter auch viele Gläubige vorbei laufen. Wo selbst Ungläubige plötzlich religiöse Schauer spüren und wo das Materielle plötzlich profan wirkt. Aber die Augen dieser Frau. Ich musste an Sankt Martin denken, an Jesus und an meine eigene Mutter. Was soll's. Ich ging zurück.