Die Menschen in Ägypten feiern den Erfolg der Revolution. Herrscherdämmerung im Orient. Schweiz friert Gelder des Mubarak-Clans ein.

Kairo/Hamburg. Es ist kurz nach 18 Uhr Ortszeit, als vielen Menschen auf dem Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo die Tränen in die Augen schießen. Die Demonstranten fallen sich in die Arme oder schwenken die ägyptische Nationalflagge. "Das Volk hat das Regime gestürzt", skandieren sie. Der frenetische Jubel hatte bereits während der kurzen Erklärung eingesetzt, mit der Vizepräsident Omar Suleiman im Staatsfernsehen den Rücktritt von Präsident Husni Mubarak verkündet. Er las die entscheidenden Sätze mit starrer Miene in die Kamera des staatlichen Fernsehens: "Präsident Mubarak hat sich entschieden, als Präsident der Republik zurückzutreten. Er hat die Macht an das Oberkommando der Armee übergeben. Möge Gott helfen!" Zu dem Zeitpunkt hatte sich Mubarak schon per Helikopter in den Badeort Scharm al-Scheich abgesetzt.

Leitartikel: Die Revolution beginnt jetzt

Ein unglaubliches Drama hat an diesem Freitagabend seinen Höhepunkt erreicht. "Ich kann es nicht fassen, das ägyptische Volk hat sein Joch abgeschüttelt", ruft eine Aktivistin mit sich überschlagender Stimme. In anderen Teilen Kairos geben viele Menschen Freudenschüsse ab. Autos fahren hupend durch die Straßen. Am 18. Tag der Proteste kann das Land aufatmen. Aufatmen von einem Autokraten Mubarak, der bis zuletzt nicht von seiner Macht lassen konnte - obwohl Millionen Ägypter genau das nach einer fast 30 Jahre andauernden Herrschaft von ihm gefordert hatten. "Gott ist der Größte", rufen die Demonstranten, als sich die Nachricht verbreitet. Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei: "Das ist der schönste Tag meines Lebens."

Die präsidialen Vollmachten liegen nun beim Obersten Gremium der Streitkräfte. Was hinter den Kulissen der Macht in Kairo geschah, kann man einen "weichen Putsch" nennen.

In Tunesien, wo durch Proteste Mitte Januar Präsident Zine El Abidine Ben Ali gestürzt worden war, kam es zu spontanen Freudentänzen in der Hauptstadt Tunis. Auch auf den Straßen in Gaza, in der libanesischen Hauptstadt Beirut und der jemenitischen Hauptstadt Sanaa feierten Tausende Menschen mit den Ägyptern. In Algerien schlugen Sicherheitskräfte eine spontane Kundgebung von Regimegegnern als Reaktion auf den Machtwechsel in Ägypten nieder. Zehn Demonstranten wurden verletzt. Für den heutigen Sonnabend haben Gegner des autoritären Präsidenten Abdelaziz Bouteflika trotz eines Verbots zu Massenprotesten in Algier aufgerufen.

Mit dem Rücktritt Husni Mubaraks geht für Ägypten eine Epoche zu Ende. Fast drei Jahrzehnte hielt der frühere Luftwaffenoffizier die Zügel des Landes fest in der Hand. Gestützt auf den allgegenwärtigen Geheimdienst und die mächtige Einheitspartei NDP schien seine Macht noch bis vor Kurzem unerschütterlich. Kaum ein anderer Herrscher der arabischen Welt stand länger an der Staatsspitze als der 82-Jährige, der als Garant der Stabilität und als Bollwerk gegen den Islamismus galt.

Doch auch wenn der Thron des modernen Pharaos lange unerschütterlich schien, gärte unter der Oberfläche die Unzufriedenheit. Mubarak unterdrückte die Opposition. Gerade die Jugendlichen warfen Mubarak vor, nicht genug gegen Armut und Arbeitslosigkeit zu tun. Fast jeder Zweite der 80 Millionen Einwohner Ägyptens lebt heute unter der Armutgrenze von zwei Dollar pro Tag. Korruption wucherte im Staat.

"Jetzt es kommt darauf an, die Strukturen der ägyptischen Gesellschaft neu zu ordnen", sagt die Ägypten-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Almut Möller, dem Hamburger Abendblatt. Denn die Staatselite habe bisher Verwaltung, Militär und Wirtschaft dominiert.

Mubaraks Rücktritt lässt die gesamte Region beben. Ägypten hat eine Sonderstellung in der arabischen Welt inne. Das Land am Nil ist kulturelles Zentrum der Araber, Kairo ist das Zentrum muslimischer Gelehrsamkeit. Von hier aus strahlen politische Trends seit Jahrhunderten in den Rest der arabischen Welt aus. Arabischer Nationalismus, Sozialismus, Islamismus: Ägypten gab die Richtung vor. Und nun also eine Revolution, die zu einer Demokratisierung führen könnte - aber auch auf halbem Wege stecken bleiben kann. Was in Tunesien seinen Anfang nahm, könnte mit Ägypten noch nicht beendet sein. Im Orient bricht offenbar die Ära der Herrscherdämmerung an. Das Ende Mubaraks ist ihr erstes großes Kapitel.

Die Schweizer Regierung will mögliche Konten des Mubarak-Clans ausfindig machen und dann sperren, sagte Außenministerin Micheline Calmy-Rey am Freitag. Die Präsidentenfamilie soll mehr als 40 Milliarden Dollar angesammelt haben. Unklar ist noch, wie viel davon auf Schweizer Banken landete.