Kommentar

Jeder Krieg macht blind. Vom Peloponnesischen Krieg vor zweieinhalbtausend Jahren bis zu dem in diesen Tagen gegen den Irak hat die Menschheit eine Erfahrung machen müssen: Hat der Waffengang erst einmal begonnen, ist die leidenschaftslose Klarsicht das erste Opfer. Ob Angreifer oder Angegriffene, immer sehen beide Seiten den Krieg so, wie sie ihn sehen wollen, und nicht, wie er ist. In den ersten fünf Tagen des Wüstenfeldzugs gegen den irakischen Diktator fallen auch die deutschen Fernsehzuschauer am späten Abend erschöpft ins Bett, überwältigt von den Bildern - und den vielen Fehlanalysen. Hoch angesehene Generale, geschätzte Militärstrategen wie Reinhardt, Naumann und Eisele werden immer wieder mit denselben Fragen bombardiert, um kluge Antworten zu geben und aufzuklären. Dabei müssten sie doch wissen, dass die TV-Studios Tausende Kilometer vom Kampfgeschehen entfernt sind und mit jedem Kilometer die Trefferquote ihrer Erkenntnisse sinkt. Exemplarisch dafür, wie sich "gesicherte" Informationen ins Gegenteil wenden, ist den Zuschauern im Fall der südirakischen Hafenstadt Umm Kasr vorgeführt worden. Erst hieß es, Umm Kasr sei gefallen. Dann: noch leichte Scharmützel. Einer der Generale, die uns den Krieg erklären sollen, nennt das "Geplänkel" zwischen einer Hand voll versprengter Irakis und überlegenen Alliierten, das in ein paar Stunden erledigt sei. Die Stunden vergehen, Umm Kasr bleibt umkämpft, aus den "Versprengten" werden plötzlich Elitesoldaten der Republikanischen Garden, als wären sie vom Himmel gefallen. Die Wirklichkeit des Krieges ist eben eine andere als die, die wir zu sehen bekommen. Die Weltöffentlichkeit wird mit einer gelenkten Bilderflut konfrontiert. Die Lieferanten der Kriegsszenen zeigen, was sie zeigen wollen, Bilder sollen Stimmung machen, beispielsweise die unerträglichen Wiederholungen von Saddam Husseins täglichen Auftritten als Beweis seiner Unversehrtheit. Auf der anderen Seite die in Wüstenstaub gehüllten Panzerverbände der Alliierten, die nach Bagdad vorpreschen. Mal sind sie nur noch 100 Kilometer vor Bagdad, dann erst 160 Kilometer, mal sind sie unbehindert, dann wieder nicht. Wer hier in Deutschland kann beurteilen, welche Aussagekraft diese Bilder haben? Generale haben gelernt, und das hat sie zu Generalen gemacht, eine Lage richtig zu beurteilen. Warum tun sich also die ehemaligen Spitzenmilitärs das an, in klimatisierten deutschen Studios den Ist-Zustand im fernen Irak zu analysieren, ohne zu wissen, was tatsächlich ist?