Mehrere kulturelle Veranstaltungen würdigen die verstorbene Konzeptkünstlerin Hanne Darboven zu ihrem 70. Geburtstag

Früher sah sie ein wenig wie Jane Birkin aus: Mädchenhaft, mit kurzen Haaren und Augen so groß wie Mandelkernen. Später kam dann dieser andere Look dazu: die Strenge, die nicht nur an den raspelkurzen Haaren lag, die Physiognomie, in die sich harte Linien um den Mund gezeichnet hatten. Ihre Augen konnten aus dem schmalen blassen Gesicht das Gegenüber schon mal fixieren und aus den schmalen Lippen bellte ein strenges "Ihr versteht gar nichts". Auch gute Freunde und treue Sammler hörten ihr herrisches "und keine Worte mehr", wenn Hanne Darboven es plötzlich leid war, verständnislosen Zeitgenossen ihr Werk zu erklären. Dann wieder konnte die Frau mit dem männlichen Gilet, den klaren Worten und der ewigen Mentholzigarette plötzlich überraschend liebenswürdig und herzlich sein.

Mit ihrer streng mathematischen Konzeptkunst machte Hanne Darboven von sich reden. Zahlenreihen und Daten reihten sich geheimnisvoll und sehr nüchtern aneinander. Hanne Darboven wollte mit ihrer Kunst so etwas wie Zeit- und Geschichtserfahrung lesbar machen. Unzählige Blätter wurden von ihr per Hand oder per Maschine beschrieben, monoton, scheinbar emotionslos, gleichförmig und mit großer Strenge und Disziplin.

Dafür trug sie ein Konvolut an Referenzgrößen aus Geschichte, Literatur, Musik, Philosophie, Zeitgeschichte und Bildender Kunst zusammen: Sie sammelte ihr Material in Ordnern, katalogisierte, trug zusammen, was zeitgeschichtlich eigentlich nicht zusammen gehörte: Texte von Alfred Döblin, Sartre oder Bismarck, ein Spiegel-Essay oder alte Ansichtskarten, auf denen Harburg um die Jahrhundertwende zu sehen war, die Heimat ihrer Kaufmannsfamilie, die im Kaffeehandel reüssierte.

Hanne Darboven schrieb diese Quellen ab, per Hand oder mit der Maschine. Zwischen die Zeitzeugnisse und Geistesgrößen integrierte sie Zahlenoperationen, deren Prinzip die Addition von Quersummen war. Hanne Darboven gestaltete so ein Panoptikum der Zeitgeschichte, eine manische Blättersammlung, die politisch mahnte, durchaus "engagiert" war, die Position bezog, aber auch unendlich viele Assoziationen je nach Betrachter frei setzen musste.

Ihre Schreibzeichnungen waren ihr eigenwilliges, exzentrisches und irgendwie auch manisches Projekt der Aneignung und Selbstversicherung von Vergangenheit, bei dem Zukunft, Gegenwart und das Gewesene in einen künstlerischen Dialog gerieten.

So sehr Hanne Darboven in der Kunstwelt schnell der gefeierte Star der Konzeptkunst war mit Auftritten auf documenta und Biennale, so gut konnte man sie in ihrer Heimat südlich von Hamburg ganz normal antreffen: zum Beispiel mit der Mama im Auto auf dem Weg zum Italiener "Da Bruno e Daniele" in Harburg, wo Hanne gerne aß: stets ein einfaches Spaghettigericht und eine Karaffe Weißwein vor sich oder wie jeden Freitag auf Besuch bei den Antiquitätenhändlern und Freunden Carolin und Thomas Fey, deren Werkstatt für sie ein Ort der Inspiration und der Erholung war. Anregungen, doch mal etwas später, nach dem Mittagessen der Feys zu kommen, blieben folgenlos. Zu sehr kreiste Hanne um Wichtigeres.

Doch: "Bei uns war sie einfach unsere Hanne", sagt Freund Thomas Fey, der Stunde um Stunde mit der großen Künstlerin in seiner Werkstatt verbrachte, diskutierte und ihren wachen Geist erlebte. Der Restaurantbesitzer Bruno Tenedini erinnert sich, wie er und sein Geschäftspartner sich Anfang der 90-er erst einmal im Restaurant an diese ungewöhnliche Persönlichkeit gewöhnen mussten, die schwieg, rauchte - und die wenn sie sprach, das Wort führte.

Hanne Darboven wird im April 1941 als mittlere von zwei Schwestern geboren. Im gediegenen Schoss der Hamburger Kaufmannsfamilie J. W. Darboven wächst sie auf und zeigt schnell musische Interessen, konkret eine Begabung für das Piano. Darboven beginnt ein Studium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und unternimmt bereits während des Studiums einen entscheidenden Schritt zur Findung ihres künstlerischen Weges: Sie mietet sich in New York in einem kargen Studio ein, lebt zurückgezogen.

Doch macht sie auch die Bekanntschaft einflussreicher Größen der Konzeptkunst: Sol LeWitt und Carl Andre dominieren in den Sechzigern Jahren die aufkommende Konzeptkunst in New York und führen Darboven und ihren Ansatz, der mit seriellen Zeichnungen auf Millimeterpapier startet, die bereits vom Kalenderdatum ausgehen, in die Kunstgesellschaft ein. Früh ist Hanne Darboven Beachtung und Anerkennung sicher. Der Galerist Leo Castelli aus New York wird zu ihrem begeisterten Förderer.

Zu Hause ist sie wieder ab Ende der Sechziger, macht sich zunächst an das Abschreiben poetischer Texte, dann an ihr Hauptwerk "Schreibzeit". Hanne Darboven lebt am Burgberg im ländlichen Rönneburg und so streng, so nüchtern und fast zwanghaft wie die Strukturen ihres Werkes wirken, so unerbittlich und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk ist auch ihr Arbeitstag getaktet. Aufstehen tut sie um vier zum Füttern der Ziegen, dann künstlerische Arbeit bis elf. Ab elf ist eine Stunde für die Öffentlichkeit anberaumt. Ein mönchisches Exerzitium, wie der Kunstsammler Harald Falckenberg humorvoll in seinem Buch "Maschinenraum der Kunst" schreibt.

Er wird Hanne Darboven zu Ehren einen dauerhaften Raum in seiner bedeutenden Falckenberg-Sammlung installieren, in den auch Gegenstände aus Hanne Darbovens Haus einziehen dürfen. Es sind Zeugnisse ihrer intensiven und im Zusammenhang des Werkes zu sehenden Sammelleidenschaft. Besucher berichten von wenig Beinfreiheit im Haus, intensiven Gesprächen und Sekt, der zuverlässig gereicht wurde.

Enge Freunde beschreiben Hanne Darboven, die am 29. April 70 Jahre geworden wäre und die 2009 an Lymphdrüsenkrebs starb, als introvertiert, exzentrisch, hoch gebildet und nicht zuletzt als um sich und ihre Kunst kreisend. Eine raumnehmende Persönlichkeit, die schon mal vor den Kopf stoßen konnte. Sie beschreiben sie als stille Beobachterin, die doch auch viel von ihrer Umwelt mit bekam, doch oft erst nach langer Zeit über ihre präzisen Beobachtungen zu sprechen begann.

Ihr reifes Werk macht mit dem Kunstwerk "Wende 80", das sich im Besitz der Technischen Universität Hamburg-Harburg in ihrer Heimat Harburg befindet und das Hanne Darboven selbst im Gebäude installierte, noch einmal eine Wende. Hanne Darboven beginnt ihre Zahlenreihen, die sie aus einer Quersummenberechnung von Kalenderdaten gewinnt, in Musik zu übertragen. Sie scheint sich zu fragen: Wie klingt Geschichte? Im Depot der TU lagern so auch elf Schallplatten, die pünktlich zum Jubiläum herausgeholt und gespielt werden.

Ab Mai werden die Gedenkfeierlichkeiten "Hamburg erinnert an Hanne Darboven" als Kooperation der Hamburger Deichtorhallen/ Sammlung Falckenberg mit der Hanne Darboven Stiftung unter besonderer Mithilfe der Technischen Universität Hamburg-Harburg und des Bezirksamtes Hamburg-Harburg beginnen. Veranstaltungen sollen das Werk Hanne Darbovens ins Gedächtnis rücken. In der Sammlung Falckenberg wird ein ständiger Hanne Darboven-Raum eingeweiht und gleichzeitig startet die Werkschau der New Yorker Künstlerin Marilyn Minter, deren erotische Hochglanzbilder eine unglaubliche Spannung zum Werk Hanne Darbovens ergeben. Weitere solcher dialogisch angelegten Werkschauen sind geplant, die das Werk Hanne Darbovens im künstlerischen Dialog beleuchten.

Im Harburger Rathaus wird am 3. Mai außerdem am Vormittag eine Straße in Hanne-Darboven-Ring benannt. Symbolisch wird Albert Darboven das Schild aus der Hand von Torsten Meinberg entgegen nehmen. Am 3. Mai feiern an der TU Hamburg-Harburg zudem geladene Gäste aus Kunst und Politik die Neupräsentation des Darboven-Kunstwerkes "Wende 80" und am gleichen Tag wird es in der Hauptkirche Sankt Petri ein Orgelkonzert eines Hanne-Darboven-Requiems geben, das Kirchenmusikdirektor und Organist der Petrikirche Thomas Dahl aus 45 000 Blättern zu einem einstündigen Programm destilliert hat. Beginn der Veranstaltung ist um 18 Uhr. Hanne Darboven hätte dieser präzise getaktete Tag gefallen.