Diese Woche fragt Stefanie Maeck die Politikerin Jutta Lindberg beim Cappuccino über ihre Visionen.

Harburg. Menschen und Strukturen: So könnte man die zwei Leidenschaften dieser zierlichen blonden Frau beschreiben. Jutta Lindberg, in weißer Bluse, sportlichem Blouson und mit einem lockeren Schal um den Hals, sitzt in einem der geschwungenen braunen Cocktailsessel im Silo 16. Von nebenan weht ein köstlicher Pizzaduft in die Nase. Psychologie und Neurolinguistik hat Jutta Lindberg studiert. Da sind sie also wieder, die Menschen und die Strukturen. Und beide Seiten, der Spaß an menschlicher Kommunikation und das Abstrakt-Strukturierte kommen ihr zu gute, wenn sie als Vorsitzende des Harburger Kulturausschusses die Zügel der politischen Diskussion in der Hand hält.

Ja, manchmal komme sie schon hierher. Der Binnenhafen sei in der Tat "sehr schön", sagt sie mit Blick durch die hohen Fenster, doch ein wenig "Angst" hege sie schon, dass er einfach nur unter das Label Elbinseln subsummiert werde, wie eigentlich alles in Harburg nicht eigenständig wahrgenommen werde. Und da sind wir gleich beim Thema: Nachdem in Harburg mal eine richtige Aufbruchsstimmung in der Kultur herrschte, so 2005 mit "A whiter shade of pale", einem Projekt für Kunst im Unterelberaum, und natürlich dem Kommen des Sammlers Harald Falckenberg im Jahr 2001, macht sich die agile Politikerin, die sehr präsent ist und sehr blaue Augen hat, jetzt eher "große Sorgen."

Am meisten liegt ihr die Falckenberg-Sammlung am Herzen. Bei diesem Thema kommt Jutta Lindberg, die mit ihrer blonden Kurzhaarfrisur richtig jugendlich aussieht, in Fahrt. "Die Hallen und der Ausstellungsbetrieb müssen unbedingt hier bleiben." Das sei "so ein Pfund für Harburg." "So ein unschätzbarer Wert." Viel zu wenig werde das gewürdigt, sagt sie über Falckenbergs private Sammlertätigkeit, der zuletzt ankündigte, sich aus dem Ausstellungsbetrieb zurückzuziehen und seine Sammlung in die Hände der Stadt legen zu wollen. Doch da diese mit Förderzusagen zögerlich ist, ist der Verbleib in Harburg nicht gesichert. "Eine Aufgabe für die Harburger Bürgerschaftsabgeordneten!", findet Lindberg. Man könne gar nicht "penetrant genug" für die Sammlung in Harburg "trommeln". Gerade habe ihr ein Experte erzählt, dass der Käufer der "Leipziger Spinnerei", ein Kreativareal mit deutschlandweiter Beispielwirkung, auf der Suche nach geeigneten Gebäuden in Hamburg nur zwei vergleichbare Areale gefunden habe. "Eins davon soll das Phoenix-Areal gewesen sein, das sogar mit der Londoner Tate Modern verglichen wurde", sagt Lindberg.

Jutta Lindberg beugt sich vor und wirbelt bei diesem Thema ein bisschen durch die Studie "Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg", ein Gutachten der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Eine ihrer Visionen: Das Phoenix-Viertel zum Kreativareal auszubauen. "Mit Falckenberg als lebendiger Nukleus", quasi "als unsere südliche Deichtorhalle" funkelt Lindberg jetzt begeistert. Um Harburg damit ein wenig in die "Internationalität" zu rücken und die "Kreativwirtschaft" anzulocken: Also Arbeitsplätze und Geld. "Agenturen, Druckereien, Galerien, die Kreativszene" - die soll in leere Hallen in der Nähe ziehen. Daneben wäre dann der Kunstverein, den Lindberg als Freundin zeitgenössischer Kunst ebenfalls "vernünftig institutionell gefördert" wissen will. Und als dritte im Bunde liegt ihr die verstorbene Konzeptkünstlerin Hanne Darboven, ebenfalls in der Sammlung vertreten, am Herzen.

Woran fehlt es denn der Kulturpolitik? "Vielleicht derzeit ein wenig an Offenheit?" Solche wichtigen Entscheidungen wie Falckenberg dürften jedenfalls nicht der Tagespolitik zum Opfer fallen. Und weiter: "Harburg müsse doch mit Weitsicht wachsen?" Lindberg spricht drei gedehnte Pünktchen am Satzende. Und Politik und Kultur? Sind das Widersprüche? "Nein", findet Lindberg. "Andere Herangehensweisen." Seit den 80ern ist sie mit Unterbrechungen in der Politik, war Kreis- und Bezirksvorsitzende der FDP, in Harburgs Kultur ist sie seit ungefähr der gleichen Ewigkeit engagiert: im Vorstand des Kunstvereins, als Mitglied des Vereins "Künstler zu Gast in Harburg", der jedes Jahr ein Stipendium vergibt, als Mitinitiatorin des Harburger Kulturtags und, und, und. Politik könne ein prima "Förderinstrument für Künstler" sein, sagt Lindberg. Da ist er wieder: ihr Ansatz, Menschen und ihre biografische Förderung in den Vordergrund zu rücken.

Wie ist das eigentlich als Vorsitzende des Kulturausschusses? Am Anfang aufregend? "Nein", sie springe "halt gerne ins kalte Wasser, liebe den Erfrischungsschock." Sie sei doch Seglerin, sagt Lindberg und schiebt ein vieldeutiges Grinsen hinterher. In der Politik sei es oft eben sehr ritualisiert. Lindberg lacht. Energisch und in der politischen Diskussion geschult wirkt die zierliche Politikerin, auch ein wenig strategisch und überlegt in der Wortwahl wie alle Politiker - und doch fast zart. Für Ideen, die Harburgs Kultur voranbringen, kann sich Lindberg jedenfalls richtig begeistern.

Was ist eigentlich kreativ? "Kreativ sind für mich die, die vernetzen", ruft Lindberg spontan. Na ja, und Kreativität könne man auch nicht nach einem "Masterplan steuern". Die wachse noch.

Der Cappuccino ist geleert, wir ordern noch eine Runde Sprudel. Doch es müssten schon "zielgerichtete Netzwerke für ein Projekt" sein, greift die Politikerin den Faden auf, nicht einfach nur ein "planloser runder Tisch", sonst sei das zu "wenig zielgerichtet". Jutta Lindberg sieht immer noch unternehmungslustig aus - auch nach drei Stunden Kulturgeflüster. "Anregend war das", findet sie. Stimmt!

Nächste Woche flüstert Stefanie Maeck mit Kunstvereinskuratorin Britta Peters.