Universität und Stadtteil sollen durch Präsentationen zusammengeführt werden

Mindergiftig" steht auf dem Magnetpin von Diplom-Ingenieur Joachim Kunze vom Zentrallabor für chemische Analytik. Auf dem Pin prangt ein Kreuz als Symbol. Weiß bekittelte Menschen mit Plexiglasschutzbrille verschwinden in kleinen Laborboxen, grüne Schlingpflanzen parken neben einem orangefarbenen Erste-Hilfe-Koffer. Die Wissenschaftler im Zentrallabor der Technischen Universität Hamburg-Harburg haben sich in ihrer Welt eingerichtet. Doch nicht ohne jene gewisse Prise Humor: Chemiker Kunze hat sich Brechts "Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens" an die Magnetwand gepint: "Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan, Gehn tun sie beide nicht."

Bis auf diese poetische Ironie scheinen die schönen Künste in dieser Versuchs- und Laborumgebung, wo harte Fakten und Kalibriermethoden zählen, fern. Doch nur auf den ersten Blick. Jutta Werner, Pressesprecherin der TUHH im pepitagemusterten Kostüm, läuft über den herbstlichen Campus der TUHH hin zum Gebäude in der Eißendorfer Straße 42. An den Türen sind hier Plexiglasschilder mit Namen wie "AB Abwasserwirtschaft" befestigt und im Flur wartet ein Grüppchen, das eine bestandene Promotion feiern will.

Drei Stockwerke türmt sich das Meisterwerk empor

Das Büfett haben sie direkt unter einem Meisterwerk der internationalen Konzeptkunst aufgebaut: Hanne Darbovens "Wende 80" türmt sich mit 415 gerahmten Blättern in DIN A4-Größe drei Stockwerke über Kaffee, Saft und Sekt die Wand empor.

Seit dem 8. Dezember 1988, dem Tag der feierlichen Eröffnung, hängt das zunächst hermetisch wirkende Werk an diesem Platz. Hanne Darboven (1941-2009), die nach intensiven Lehrjahren in New York wieder ins beschauliche Rönneburg auf das alte Familienanwesen der Kaffeedynastie J. W. Darboven zurückkehrte, wachte höchstpersönlich über die korrekte Hängung. Die eigenwillige Künstlerin mit dem Kurzhaarschnitt als Markenzeichen und dem konstant hohen Zigarettenkonsum fühlte sich ihrer Heimat Harburg verpflichtet. "Wende 80" versucht in einem fast obsessiven Notationsverfahren dem Zeitgeist zur Bundestagswahl 1980 nachzuspüren.

Ein Spiegel-Interview mit Helmut Schmidt und Franz Josef Strauss hängt neben Harburg-Ansichten mit Kringeln, neben gezeichneten Bäumen und Noten, die das Werk hörbar machen. Ein politisches Werk, das in der gleichförmigen Hängung und in einem irritierend monotonen Schema versucht, so etwas wie Zeit aufzuschreiben und dabei eine eigene Raumzeitlichkeit entfaltet: Schreibzeit. In New York hatte Darboven Kontakt zum Doyen der Konzeptkunst Sol le Witt. Schematische Klarheit und Logik prägen auch ihre Kunst, die so etwas wie "mathematische Musik" ist, bei der Zahlen und Kalenderdaten mathematisch zu Noten systematisiert wurden. Doch die Entpersönlichung der Minimal-Art wird bei Darboven nicht auf die Spitze getrieben: Gerade die Harburg-Ansichten schreiben auch etwas Persönliches in ihr Werk ein.

Vielleicht geht es in "Wende 80" um Sammeln und Bewahren, aber auch eine deutlich analytische und systematisierende Geste wird deutlich: eine Schnittstelle zu den Studenten auf dem Campus. Nathalie Graf, Studentin der Bioverfahrenstechnik im 9. Semester und Daniel Bürger, Student der Umwelt- und Verfahrenstechnik im 7. Semester sitzen an den wabenförmigen Kunstholztischen und bereiten ein Tutorium für die Erstsemester vor. Das Hanne Darboven-Kunstwerk kennen sie vom Vorbeigehen ("tolles Bild, bringt einen Mal auf andere Gedanken"), und dass die Technische Universität seit 2009 eine Kunstinitiative ihr eigen nennt, ist zwischen Vorlesungen, Übungen und Klausuren ihres eng getakteten Studienalltags zu den Nachwuchsingenieuren vorgedrungen. Doch an den Führungen durch Harald Falckenbergs Kunstsammlung oder durch die Ausstellungen im Kunstverein Harburger Bahnhof im vergangenen Jahr haben sie noch nicht teilgenommen.

Dabei war es am 9. Januar 2009, als Professoren der TUHH mit Vertretern der örtlichen Kunsteinrichtungen beisammen saßen, um den Brückenschlag zwischen Kunst und Uni zu beschließen. Seitdem ist einiges geschehen: Unter der Federführung von Professor Victor Sigrist vom DFG-Graduiertenkolleg "Kunst und Technik", das auf dem Campus ansässig ist, wurde eine Ringvorlesung mit dem Titel "Kunst und Technik - Begegnungen von Technik und Kunst" initiiert. Alle paar Wochen dienstags stehen namhafte Referenten im Hörsaal des Audimax II, wo gerade ein Tutor mit Twitter-T-Shirt und asymetrischem Haarschnitt "A + B sind äquivalent" für die Studenten an die Tafel schreibt. Zusagen gab es von Stararchitekt Professor Meinhard von Gerkan, Kunstsammler Dr. Harald Falckenberg oder dem Intendanten Dr. Dirk Luckow von den Hamburger Deichtorhallen.

Jutta Werner versteht die Kunstinitiative als "Brückenschlag", als "Vernetzung" von Universität und Stadtteil. Plastisch werde das auch an Hanne Darbovens Kunstwerk. Von seinem äußersten Winkel führt ein schmaler Gang auf eine Tür in der Uni zu. Stößt man sie auf, wie Werner demonstriert, hat man aus der Innenwelt des Campus den kürzesten Weg in Hamburgs City. Man steht nach vier, fünf Schritten auf der Eißendorfer Straße.

Kunst soll die Türen von außen nach innen aufstoßen

Mit der Kunst will man die Türen jetzt analog "auch von außen nach innen aufstoßen", die interessierten Harburger in die Uni holen. Jutta Werner sitzt in ihrem Büro, in dem ein Kalender aus dem Jahr 2003 hängt und die nachmittäglichen Geräusche des Campus hoch hallen. "Mit dem Medium Kunst wollen wir eine Begegnung schaffen und am Beispiel Hanne Darbovens sagen: Schau, das war eine Harburgerin, die zu Weltruhm gelangte." Dafür wurden noch weitere Pläne gemacht. Die Uni plant eine angemessene Präsentation des international bedeutsamen Kunstschatzes, um diesen allen Harburgern zugänglich zu machen. Dafür will man die Lichtverhältnisse im Gebäude optimieren, eine kleine Museumsecke mit Bank aufbauen, in der man das Kunstwerk auch multimedial mit Musik erleben kann, ein Fernrohr soll in den oberen Stock und eine Infotafel über das Werk informieren.

Doch warum ist die Kunst für den naturwissenschaftlichen Nachwuchs wichtig? Jutta Werner läuft über den Campus und sagt: "Wir leben in einer technischen Welt, das ist klar. Doch es ist wichtig, im Sinne der "Universitas" auch andere Disziplinen im Blick zu haben." Abseits von Mathe, Mechanik und Material brauche es auch als Ingenieur Kreativität, Intuition und Inspiration, um richtig gut zu sein, darin sind sich die Forscher der TU inzwischen einig. Da Ingenieure und Geisteswissenschaftler andere Sprachen sprechen, eröffnet die Vermittlung neue Welten. Die engagierte junge Kunstinitiative an der TU wird auf jeden Fall eins: mehr spannende Kunst und Experten auf den Campus locken.

Die nächste Ringvorlesung findet am 23. November statt. Dann referiert Stararchitekt Professor Meinhard Gerkan über "Bauen für die Kunst". Ort: Audimax II, Denickestraße 22, 18 bis 19.30 Uhr