Lange an der Uni zu büffeln war nicht sein Ding. Ulf Lunge brach das BWL-Studium ab und gründete lieber seinen ersten Laufladen.

Fantasie ist wichtiger als Wissen, sagte schon Albert Einstein. Der Nobelpreisträger schüttet mit dem Lehrsatz Wasser auf die Mühlen all jener, die Bildung und Schule nicht so wichtig nehmen. Die lieber ihre Ideen verfolgen, als Mathe oder Geschichte zu büffeln. Das Motto könnte auch für Ulf Lunge gelten, den Hamburger Sporthändler und Schuhfabrikanten, der mit Begeisterung, Kreativität und mit klaren Zielen vor den Augen einen sehr erfolgreichen Berufsweg eingeschlagen hat.

Der 51-Jährige führt gemeinsam mit seinem Bruder Lars, 46, fünf Laufschuhläden in Hamburg und Berlin und produziert in einer riesigen Fabrikhalle in Mecklenburg-Vorpommern Schuhe aus eigener Entwicklung. Er hat damit eine Fertigung komplett "made in Germany" hochgezogen, während Anbieter wie Adidas und Puma sich schon lange in asiatische Billiglohnländer geflüchtet haben.

Für diesen mutigen unternehmerischen Schritt sammelte Lunge zuvor allerdings auch jahrzehntelang Erfahrungen in der Sportbranche. Bereits als Schüler stieg er in das Geschäft mit der Fitness ein. "Ich konnte mich nur schwer motivieren, von den Lehrern vorgegebene Aufgaben zu machen. Stattdessen wollte ich eigene Ziele verfolgen", erinnert sich der Hamburger an seine Kindheit, in der die Schule nicht immer eine Hauptrolle spielte.

Die kaufmännischen Gene hatte Lunge bereits im Blut, sein Vater arbeitete als Weinhändler. Auf einem Messebesuch mit der Schulklasse hatte der Sohn die Vielfalt des damals noch jungen Sportschuhmarktes kennengelernt und witterte das Potenzial, damit auch Geld zu verdienen. Er mietete einen Kellerraum an und verkaufte dort Sportschuhe.

In jungen Jahren bereits gehörte er bei den Vertriebspartnern der amerikanischen Marken zu den Pionieren in Deutschland. "Damals hieß das Laufen noch Tripp-Trapp-Bewegung", sagt Ulf Lunge lachend, der sich auch in seiner Freizeit von dem Trend verführen ließ und ein leidenschaftlicher Läufer wurde. Er trainierte und hatte Talent: Im Jahr 1983 gewann er den Hamburger Marathon.

Natürlich waren die Anfänge im Job kein Kindergeburtstag: "Ich hatte damals nur einen kleinen Heizlüfter im Laden, und den machte ich meistens auch nur an, wenn Kunden kamen", sagt er. Sein Einkommen besserte der Schüler auf, indem er in Supermärkten die Regale putzte. Er tat alles, um die Miete für sein eigenes Geschäft in Rahlstedt bezahlen zu können und hielt trotz Rückschlägen eisern an seinem Traumjob fest.

Nach dem Abitur begann Lunge ein BWL-Studium, doch im Hörsaal begann sich der Jung-Unternehmer bald ebenso zu langweilen wie in der Schule. "Sie sitzen doch nicht hier, um Ihr Einkommen zu maximieren - wenn Sie das wollen, müssen Sie sich selbstständig machen", hatte der Dozent die Studenten über die wahren Ziele der Lehrinhalte aufgeklärt. Nach dieser Vorlesung war für Ulf Lunge auch das Studium passé. "Ich wollte möglichst schnell Porsche fahren", erinnert sich der Unternehmer heute mit einem Lächeln. "Außerdem hatte ich mit dem Laden ja schon den Spatz in den Hand, und ich wollte etwas machen, was mir Spaß macht."

Auch sein Bruder stieg später in das Unternehmen ein, das mit der Eröffnung des ersten richtigen Ladens in Barmbek im Jahr 1983 (nach der Kellererfahrung) richtig durchgestartet war. Einige Jahre später kam auch die Zeit für neue Filialen: "Erst mit mehreren Geschäften lohnen sich teure Aktionen wie Internetauftritt, Handzettel verteilen und eigene Prospekte", sagt Lunge. "Wir wollten Ideen umsetzen, und mit einem großen Kopf auf kleinen Schultern funktioniert das nicht."

Die Verantwortung für ein wachsendes Unternehmen mit immer mehr Mitarbeitern nahm Lunge sehr ernst: "Sie können sich anfangs keine tolle Wohnung oder teure Autos leisten, das verdiente Geld wendet man am besten für weiteres Wachstum auf." Außerdem erfordere der Einzelhandel strenge Disziplin: "Ich hatte einen Motorradunfall und stand schon am nächsten Tag wieder im Laden", sagt der Kaufmann. "Wenn die Kunden sich die Nase an der Tür plattdrücken, weil niemand da ist, sind Sie raus." Noch schlimmer seien schlechte Erfahrungen in Zeiten des Internets, wo sich Enttäuschungen in kürzester Zeit unter den Kunden herumsprechen.

1993 kam Lunges erster Sohn zur Welt, seine damalige Frau gab die Arbeit bei der HEW für die Kinderbetreuung auf. Nun lastete die finanzielle Verantwortung für die Familie voll auf Lunge. Und dann kam es richtig schlimm: Der Kaufmann rieb sich neben dem Engagement für die Läden in einem neuen Unternehmensprojekt auf und geriet darüber in eine Burn-out-Phase, die Jahre dauern und auch private Folgen haben sollte. Die Ehe scheiterte. "Heute weiß ich, dass man früh genug die Reißleine ziehen muss", sagt er. Zuweilen belächelte Trendthemen wie Work-Life-Balance sind für Lunge nun keine Worthülsen mehr. Er begann, sich mit Yoga zu entspannen, sich bei starkem Stress Auszeiten zu gönnen und dachte auch beruflich komplett um.

Der Kaufmann startete die Schuhproduktion im Osten, nachdem er sich über häufig mangelnde Qualität bei den etablierten Marken geärgert hatte. Und er lernte eine neue Lebenspartnerin kennen. "Ich habe noch einmal ein völlig neues Leben angefangen." Inzwischen produziert seine Fabrik 10.000 Sportschuhe im Jahr, welche die Hamburger in den eigenen Shops, aber auch bundesweit in anderen Fachgeschäften vertreiben.

Die Schuhe, die Marathonläufer, aber auch anspruchsvolle Alsterjogger auf der Suche nach einer ungewöhnlichen Fußbekleidung zufriedenstellen sollen, stellt Ulf Lunge in einer riesigen ehemaligen Scheune her, zwischen endlosen Wiesen, in der Nachbarschaft von verfallenden Gehöften, aus denen gackernde Hühner über die Straßen laufen. In diese Idylle hat Ulf Lunge nun auch seinen beruflichen Mittelpunkt verlegt, aus seinem Büro schaut er über die Felder.

Die Brüder haben für das ungewöhnliche Projekt, selbst "den Mercedes unter den Sportschuhen" zu produzieren, ihre Altersvorsorge aufs Spiel gesetzt. "Aber wir kommen in diesem Jahr auch mit der Fabrik in die Gewinnzone", sagt Ulf Lunge, der sich für solche Erfolge natürlich auch hin und wieder belohnt. Schon 2003 hatte er sich den Traum vom eigenen Porsche erfüllt. Und noch ein kleiner Tipp: Allen Firmengründern empfiehlt Lunge, zu laufen. Das helfe, mal auf andere Gedanken zu kommen - "und es ist wie ein Gehirnturbo".