Ein Experiment mit Hürden: Die Hamburger Brüder Lars und Ulf Lunge produzieren in Ostdeutschland - und stellen sich gegen die Konzerngiganten.

Düssin/Hamburg. Wenn Schuhmacher Mario Behnke (39) die Halbmondformen der Fersen ausschneidet, zwei Frauen die Reflektoren einzeln einpassen und eine Näherin kleine Schmucknähte an den Schuhen anbringt, dann glaubt man sich in der Produktion von Lars und Ulf Lunge im mecklenburgischen Düssin ein wenig wie zu Besuch bei einer professionellen Bastelgruppe. Handarbeit ist in deutschen Fabriken selten geworden, ein Relikt aus alten Zeiten wie der Tante-Emma-Laden um die Ecke oder Autos ohne Servolenkung. Ulf und Lars Lunge haben den Schritt zurück gewagt und wieder eine Schuhfabrik in Deutschland angesiedelt. Sie kauften 2003 für 20 000 Euro einen alten Kuhstall, investierten aus eigenem Kapital bisher gut 1,5 Millionen und bekommen die gleiche Summe an Subventionen - staatliche Gegenleistung für elf Arbeitsplätze, die die Hamburger in die strukturschwache Region bringen sollten. Doch die beiden passionierten Läufer spüren bei ihrem Plan, hochwertige Laufschuhe made in Germany auf den Markt zu bringen, einigen Gegenwind.

Die ursprüngliche Planung sah 10 000 Schuhe im Geschäftsjahr vor, das ist die Gewinnschwelle. Doch schon vor Monaten war klar: Das ist dieses Jahr noch nicht zu stemmen, realistisch sind 6000 Paare. "Doch jetzt werden wir 2009 wohl doch nicht mehr als 2500 schaffen", sagt Ulf Lunge.

Es ist zu allererst die Technik, die die Gewinner des Hamburger Gründerpreises bremst. "Wenn ein einziges Relais ausfällt und wir auf einen Spezialisten aus Pirmasens warten müssen, steht hier die ganze Produktion still", erzählt Ulf Lunge von der Komplexität der Fertigung, die in der mecklenburgischen Landschaft mit ihren Feldern und Alleen weit und breit die einzige Industrieansiedlung ist. Im Zweifel suchen die Brüder selber nach dem Fehler. "Ich habe da schon stundenlang druntergelegen, wenn der Laser mal wieder ausgefallen ist", zeigt Lunge auf eine Maschine, die als eine der wenigen Automaten hier die Textilien zuschneidet.

Die Unternehmer trösten sich damit, dass jeder mal klein angefangen hat: "Der Zwiebackhersteller Brandt hat in seiner neuen Fabrik erst monatelang Bruch produziert, bevor alles glattlief", sagt Ulf Lunge, der in Sachen Geduld offenbar leicht mit einem Fuchs vor dem Hasenbau mithalten kann.

Denn auch bei der Renovierung des ehemaligen, denkmalgeschützten Stalls in Düssin, das um 1900 noch als Enklave der Stadt Hamburg für Aussätzige und Leprakranke diente, kommt er nur schleppend voran. Kürzlich drohte der begehbare Turm auf dem Dach des Gebäudes aus dem Jahr 1913 umzustürzen. Die Bauherren waren gezwungen, eine aufwendige Stützkonstruktion einzuziehen. Schließlich dient der markante Ausguck auch als Logo. Ein Abriss hätte das ganze Marketingkonzept ad absurdum geführt. Und bei der Installation des Aufzugs, der die künftigen Verkaufsräume, ein Schuhmuseum und einen weiteren Arbeitsraum für die Stepperinnen aus der Produktion verbinden soll, haben die Bauarbeiter "so viele Steine gebraucht wie für drei Einfamilienhäuser", sagt Ulf Lunge und schüttelt den Kopf. "Das hatte ich ganz anders eingeschätzt." Schließlich ist das Gebäude mit 6600 Quadratmetern so groß wie eine Kathedrale, und die drei Stockwerke sind mit altem Gebälk, in dem immer noch der Holzwurm wohnt, schwieriges Terrain für einen Zweckbau.

Doch die Lunges lassen sich nicht beirren. "Das ist gar nicht zu bezahlen, was wir hier alles lernen", sagt Lars Lunge, der sich jeden Morgen um sechs Uhr aus Ahrensburg auf den Weg macht und derzeit 40 000 Kilometer im Jahr in den Osten fährt, wo auch andere Investoren schon Großes planten und ausgebremst wurden: etwa als ein Unternehmer im Spreewald in einer monströsen Halle Zeppeline bauen wollte oder ein Hamburger Bauunternehmer versuchte, in der dünn besiedelten Region bei Wittenburg eine Skihalle zu etablieren.

Diese Gründer mussten aufgeben, doch die Lunges stecken lieber ihre gesamte Altersvorsorge in die Fabrik, als sich von ihrem Traum zu verabschieden. In jedem Satz schwingt die Begeisterung mit für die Dämpfung und die Verarbeitung der Schuhe. Die Hamburger Brüder, die mit ihren sechs Laufläden in Hamburg und Berlin nicht nur den finanziellen Grundstein für die Investition in die Fabrik gelegt, sondern auch die Erfahrung mit den Läufern gesammelt haben, gehen bewusst den Kampf gegen Adidas, Puma und Co. ein. Auch wenn diese ihre Schuhe längst aus China importieren, weil sie dort für die Arbeiterin mit einem Stundenlohn von ein paar Cent auskommen, während die Lunges für die Näherinnen im strukturschwachen Osten 7,50 Euro ausgeben müssen. "Wir machen das hier mit Leidenschaft", erklärt Lars Lunge die Beharrlichkeit, mit der sie für ihr Ziel kämpfen.

Aber auch viele der 65 Händler, die den Schuh der Lunges vertreiben, glauben fest an den Erfolg - selbst wenn der Laufuntersatz 200 Euro kostet: "Die Schuhe werden ihren Weg machen", sagt Christoph Lehnardt vom Laufladen Jena. "Wir verkaufen drei bis fünf Paar im Monat, und etliche Kunden empfehlen ihn weiter."

Allerdings verlangt auch das Sortiment noch etwas Nacharbeit. "Mit nur einem Schuh stehen wir bisher ein bisschen schräg da", sagt Ulf Lunge. Weitere Modelle müssen her. "Die Kunden wollen nicht nur einen Schuh, sondern eine Marke", ergänzt der ältere der beiden Brüder. "Und die Händler hatten zum Teil etwas gegen das Grün", erzählt Lunge. Aber schon bald wird es neue Farben geben. Allerdings hat letztens auch noch die Designerin gekündigt. "Mit dem einen Modell war sie anfangs doch etwas unterfordert", schmunzelt Ulf Lunge, der seine Geduld übrigens auch in seiner wenigen Freizeit trainiert: Nachdem der Gewinner des Hamburger Marathons 1983 aus gesundheitlichen Gründen inzwischen weniger läuft, hat er sich für Kundalini-Yoga entschieden. Dabei verbringen die Schüler oft eineinhalb Stunden nur mit Atemübungen.