Der dreifache Familienvater brachte Mirco um, weil er Stress im Beruf hatte und von seinem Chef zuvor “zusammengefaltet“ worden war.

Grefrath. "Sie können davon ausgehen, dass da eine Zeitbombe unterwegs war." So beschrieb am Freitag Ingo Thiel, der Leiter der Sonderkommission "Mirco", den 45-jährigen Olaf H. Der dreifache Familienvater hatte tags zuvor gestanden, den zehnjährigen Jungen aus Grefrath im Kreis Viersen ermordet zu haben. Gleichzeitig beschrieb Thiel den unauffälligen Mann aus Schwalmtal als "treu sorgenden Ehemann", der in dritter Ehe in dem 16.000-Einwohner-Ort lebte. Er ist den Angaben zufolge bislang bei der Polizei nicht aufgefallen.

Wie ein Schleier hat sich die Stille über Grefrath gelegt. In dem ohnehin beschaulichen Ort am Niederrhein ist an diesem Freitagmorgen kaum ein Mensch auf der Straße. In diesen Minuten informieren Polizei und Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit darüber, wie der zehnjährige Mirco vor fast fünf Monaten das Opfer von Olaf H. wurde. Die Menschen in Grefrath wollen wissen, wie es zu dieser Tragödie kam. Sie bleiben daheim - vor dem Fernseher. Gleich mehrere Sender übertragen die Ausführungen vom Leiter der Soko "Mirco", Ingo Thiel.

Und Thiel schildert ihnen einen Täter, der einen kleinen Jungen umgebracht hat, weil er frustriert war und Stress in seinem Beruf hatte. Zugleich ein Mensch, der "kein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein hatte", sagte Thiel. Bei dem Mord an Mirco sei es ihm vermutlich vor allem darum gegangen, die Macht über einen anderen Menschen zu haben und die Tötung als Machtgefühl auszuleben.

Für Thiel steht die Tat in "der Feigheitsskala ganz oben", schon an einen 15-Jährigen hätte sich der Täter vermutlich nicht gewagt, sagte er. Hinweise auf eine pädophile Neigung des Tatverdächtigen gebe es nicht.

Nach der Tat lebte der Mann sein Leben normal weiter, die Familie bemerkte nichts. Der Leasingvertrag für das Tatfahrzeug lief im vergangenen Oktober ab, der Mann nutzte seit November einen anderen Pkw. Nach Angaben von Thiel spielte der Mann mit dem Gedanken, sich zu stellen. "Aber auch dazu war er zu feige", sagte Thiel.

Dann folgte die minutiöse Schilderung des Tathergangs. Der Täter habe in einer langwierigen und umfassenden Vernehmung gestanden, den Jungen am 3. September vergangenen Jahres überfallen und getötet zu haben. "Mirco ist ein absolutes Zufallsopfer gewesen", sagte Thiel.

Der Mann habe ausgesagt, er sei am Tattag in beruflichem Stress gewesen. Sein Chef habe ihn "zusammengefaltet". Danach sei er planlos in der Region Grefrath umhergefahren, das habe er schon mehrmals vorher gemacht.

Gegen 22 Uhr sei er auf Mirco gestoßen, der auf seinem Fahrrad von einer Skateranlage auf dem Weg nach Hause war. Er habe ihn mit seinem Auto überholt, sei ausgestiegen und habe Mirco an einem abzweigenden Weg aufgefordert, in sein Auto zu steigen. Das habe der Junge "in seinem Schockzustand" ohne Widerspruch und Gegenwehr getan. "Dabei muss Mirco Todesängste durchlitten haben", sagte Ingo Thiel. Das Fahrrad schob Olaf H. in den Graben - wo es später Passanten fanden.

Der Mann sei dann in Richtung Wachtendonk in ein Waldstück bei Grefrath gefahren, zog den Jungen aus und verging sich vermutlich an ihm. Anschließend tötete er ihn und ließ ihn dort liegen, ohne ihn zu vergraben. Thiels Angaben zufolge liegt die Stelle etwa sechs Kilometer von der Gegend entfernt, die mehrmals von der Polizei durchsucht worden war.

An der Stelle habe Olaf H. den Jungen auch getötet - mit dem Gedanken "den kannste nicht mehr nach Hause lassen" im Kopf. "Der Ablageort ist auch der Tatort", sagte Thiel.

Die sexuelle Komponente sei wohl zweitrangig gewesen, es sei vielmehr um Gewalt, Macht, einen "Akt der Erniedrigung" gegangen. Wie Mirco starb, wollte der Soko-Leiter nicht sagen. Auf der Fahrt nach Hause entledigte Olaf H. sich dann der Beweisstücke: des Handys und der Kleidung des Jungen.

Der 45-Jährige sei am Mittwochmorgen um sechs Uhr in seinem Haus festgenommen worden. Seine Familie habe noch geschlafen. Er habe die Tat bei der Vernehmung rasch gestanden. Olaf H. sei erleichtert gewesen, sagte Thiel. Der Mann sei völlig ruhig gewesen und habe erklärt: "Okay, dann sag ich euch, wo der Junge liegt."

Olaf H. habe seit dem 1. Oktober 2010 bei einem "großen Bonner Telekommunikationsunternehmen" im Controlling gearbeitet, sagte Thiel. Zuvor sei der Mann Bereichsleiter gewesen. Der Arbeitgeber, hieß es, unterstützte die Ermittlungen.

Telekom-Vorstandschef René Obermann drückte in einer Mitteilung im Intranet des Konzerns den Eltern und den Angehörigen von Mirco "Mitgefühl und Anteilnahme" aus. Die Kollegen des Tatverdächtigen seien äußerst "geschockt". Olaf H. galt in Schwalmtal als Familienmensch, seine Nachbarn schildern ihn übereinstimmend als unauffällig. "Er hat als Hobby seinen Garten", sagte Thiel über den Mann, gegen den jetzt Haftbefehl wegen Mordes und sexuellen Missbrauchs eines Kindes ergangen ist, wie Staatsanwältin Silke Naumann erklärte.

Seine Familie sei geschockt und völlig überrascht über die Festnahme des 45-Jährigen.

Auf die Spur des Tatverdächtigen führte unter anderem die Zeugenaussage eines Mannes, der den Täter mit seinem Auto vor dem Verbrechen beobachtet hatte, wie er ein Fahrrad wegschob. Thiel zufolge ist Olaf H. durch eine DNA-Speichelprobe und Faserspuren von Mircos Kleidung in seinem Auto überführt (siehe unten).

Soko-Leiter Thiel sagte, man habe "viele Mausefallen" aufgestellt, um den Täter zu fassen. Dabei sind die Ermittler "neue Wege" begangen - konkretere Angaben machte Thiel aber nicht. In Zusammenarbeit mit einem Experten sei ein Profil für den Täter erstellt worden, das sich als zutreffend erwiesen habe. Der Mönchengladbacher Polizeipräsident Hans-Hermann Tirre erklärte, mit Abschluss der Ermittlungen falle den Beteiligten nun "eine große Last von der Seele".

Auch wenn der Täter gefasst ist und in Untersuchungshaft sitzt, holen in Grefrath noch immer zahlreiche Eltern ihre Kinder von der Schule ab. "Dieses Gefühl der Ungewissheit und Angst wird noch lange in Erinnerung bleiben", sagt eine Mutter, während ihre Tochter in den Wagen steigt.

Als Mirco Anfang September verschwunden war, kamen viele Menschen aus Grefrath in der katholischen Pfarrkirche zu einem gemeinsamen Gottesdienst zusammen. Nun, da der Tod des Jungen Gewissheit geworden ist, wird es am kommenden Donnerstag eine öffentliche Trauerfeier geben. Dann können Familie und Freunde, Angehörige und Klassenkameraden aus Grefrath gemeinsam von Mirco Abschied nehmen.