Bruno, der Bär: Mit einer Kugel beendeten Jäger ein wochenlanges Versteckspiel, das die Nation bewegte. Wut und Trauer in Schliersee. Der Todesschütze bleibt geheim, weil er sonst selber zum Gejagten werden könnte.

Spitzingsee/Schliersee. Thomas Krapichler ist einer der letzten, die Braunbär "Bruno" begegneten. Es war Sonntag abend an der idyllisch gelegenen Berghütte Rotwandhaus, hoch über dem Spitzingsee in Oberbayern. Krapichler kocht dort für die Hüttengäste. Direkt vor seinem Küchenfenster sei Bruno so gegen 20.30 Uhr vorbeigelaufen, erzählt er. "Wir sind dann rausgegangen, um ihn zu fotografieren." Furcht vor einem Angriff habe er nicht gehabt. "Der Bär hatte mehr Angst vor mir als ich vor ihm." Dann habe Bruno sich getrollt und bei einem Nachbarn auf einer Weide noch ein Schaf gerissen. Dort hätten dann Kühe den Bären attackiert. "Der ist sogar vor den Kühen davongelaufen. Die Kühe haben ihn daran gehindert, das Schaf zu fressen", sagt Krapichler.

Dann alarmierte sein Chef die Polizei. Er selbst, so der Koch, habe den Bären noch fotografiert, "Aber da war's schon fast dunkel, man sah ihn kaum mehr." Zur selben Zeit machen sich drei Jäger auf den Weg. Im Morgengrauen spüren sie Bruno auf der Kümpflalm auf, etwa zwei Kilometer vom Rotwandhaus entfernt. Um 4.50 Uhr, so teilen die Behörden später mit, fällt der einzige, der tödliche Schuß. Aus 150 Meter Entfernung. Blutiges Ende eines wochenlangen Versteckspiels.

Viele fragen sich seither: Wer hat Bruno erschossen? "Ich war's nicht", versichert Siegmar Wüst von der Forstdienststelle Spitzingsee am Montag vormittag sichtlich genervt und läßt doch Erleichterung erkennen, daß nicht er den von vielen als schmutzig empfundenen Job erledigen mußte.

Doch wer war es dann? "Wir haben uns entschlossen, die Personen nicht öffentlich zu machen", sagt Umweltstaatssekretär Otmar Bernhard (CSU) in dürren Worten auf einer eilig im benachbarten Schliersee anberaumten Pressekonferenz. Und als in ohnehin schon gereizter Stimmung ein Journalist nachbohrt, raunt Ministeriumssprecher Roland Eichhorn: "Es sind Jagdkundige, dabei bleibt es."

Als die Kamerateams bereits ihre Scheinwerfer ausschalten wollen, tritt Bruno der versammelten Politprominenz im Schlierseer Gasthof "Zur Post" überraschend noch einmal lebendig gegenüber - freilich nur in Gestalt eines Einheimischen, der rasch ein Bärenkostüm vom Speicher geholt hat und in die Pressekonferenz hineinplatzt. Medienwirksam betrauert der 38jährige Toni Engelhard, Sohn eines Beamten am Miesbacher Landratsamt, den Tod von "JJ1", wie Bruno offiziell bezeichnet wurde: "Die Jäger haben wieder zugeschlagen", wettert er sehr zum Ärger von Staatssekretär Bernhard. Die Lampen werden wieder angeknipst, und wie all die Wochen seit seinem großen Auftritt in Deutschland und Österreich stiehlt Bruno noch einmal allen die Schau.

Die Nachricht geht in Windeseile auch über den Pausenhof der Schlierseer Volksschule: "Bruno ist tot." Ein Schüler sagt es dem nächsten, die Kinder haben nur noch ein Thema, schwanken zwischen Wut und Trauer: "Ich bin sauer auf die, die das gemacht haben. Der Bruno hätt' in einen Tierpark gehört", schimpft die zehnjährige Annika. Genauso regt sich ihr Klassenkamerad Jonas auf: "Die Leit ham g'sagt, der is zu g'fährlich. Aber der hat doch bloß Vieh g'rissen, weil er nix andres zu fressen g'funden hat."

In der bei Touristen beliebten Gemeinde Schliersee kochen nicht nur bei den Kindern die Gefühle hoch. "In den Köpfen der zivilisierten Menschen möge sich was ändern", fordert Bürgermeister Toni Scherer (parteilos). Die Todesstrafe sei in Deutschland lange abgeschafft, da hätte auch der Braunbär nicht so einfach erlegt werden dürfen, wirft er Staatssekretär Bernhard vor. Die Experten hätten mit der Freigabe zum Abschuß versagt.

Aber durften die Jäger überhaupt schießen? Noch am Sonnabend hatte Bernhard verkündet, die Abschußgenehmigung gelte erst ab Dienstag. Nun sagt er, sie habe bereits seit dem Wochenende gegolten. Der Deutsche Tierschutzbund will nun rechtliche Schritte prüfen. Auch, weil nicht alle Möglichkeiten zum Lebendfangen ausgeschöpft worden seien. Das bayerische Umweltministerium erklärt dagegen, das Tier habe nicht betäubt werden können, weil sich ein Schütze dazu auf 30 bis 45 Meter Bruno hätte nähern müssen. In dem Gelände sei dies nicht möglich gewesen - was allerdings von manchen am Schliersee offen bezweifelt wird.

Leicht gemacht hat Bruno seinen Häschern ihr Handwerk allerdings tatsächlich nicht: In den vergangenen Wochen legte er mehr als 300 Kilometer zurück und durchstreifte eine Fläche von 6000 Quadratkilometern. Die finnischen Spezialisten, die ihn mit eigens für die Bärenjagd ausgebildeten Hunden suchten, verzweifelten an dem aus dem italienischen Trient stammenden Tier. Erst am Freitag reisten sie entkräftet und entmutigt ab.

Auch weil Bruno sich am Wochenende erstmals Wanderern mit einer Drohgebärde gezeigt habe, habe keine andere Möglichkeit mehr als der Abschuß bestanden, sagt Bernhard. Der bayerische Bärenbeauftragte Manfred Wölfl verweist darauf, daß Bruno von seiner Mutter gelernt habe, sich sein Fressen im menschlichen Siedlungsraum zu beschaffen. Schon deshalb sei für die Experten ein Abschuß nötig gewesen. "Uns wäre es viel lieber gewesen, wir hätten falsch gelegen", sagt Wölfl.

Brunos Körper wurde zur näheren Untersuchung in ein nicht genanntes pathologisches Institut in München gebracht. Weil die Waage für das mehr als 100 Kilo schwere Tier dort nicht ausreichte, zerlegten ihn die Veterinäre zum Wiegen in mehrere Teile. Die sollen aber bald wieder zusammengenäht und Bruno dann ausgestopft im Museum Mensch und Natur in München ausgestellt werden. Dort steht auch der letzte Bär, der vor Bruno in Bayern gesichtet wurde: Er war 1835 erschossen worden.