Titelverteidiger Spanien ist nach dem 4:0 gegen Italien Europameister und feiert mit drei großen Titeln in Folge einen historischen Erfolg.

Kiew. Sie tanzten und lachten, sie sangen „Campeones“ und liefen die erste Ehrenrunde mit ihren Kindern auf dem Arm: An einem historischen Abend feierten die spanischen Fußballer, als hätten sie ihren ersten großen Titel gewonnen. Dabei hatten sie gerade Geschichte geschrieben - in mehrfacher Hinsicht: Die unersättliche „Rote Furie“ gewann als erste Mannschaft der Welt ihren dritten großen Titel in Folge, und sie tat es mit dem höchsten Finalsieg der EM-Geschichte.

Beim bezaubernden 4:0 (2:0) bot der Titelverteidiger und Weltmeister in Kiew zum krönenden Abschluss seine beste Turnierleistung und ließ der Squadra Azzurra keine Chance. „Ich bin ganz solz auf meine Mannschaft. Wunderbar, wirklich klasse, wir können alle sehr, sehr stolz sein“, sagte Trainer Vicente del Bosque mit einem Grinsen. Das Kurzpass-Theater „Tiki-Taka“, nach dem Halbfinale noch als einschläfernd kritisiert, begeisterte. Allen Zauber schien sich die Mannschaft von del Bosque, der als erster Trainer nach Helmut Schön (1972/1974) den WM- und EM-Titel gewann, für das Endspiel aufgehoben zu haben.

+++ Italienische Fans gingen schon weit vor Abpfiff +++

Die brillant herausgespielten Treffer von David Silva (14.), Jordi Alba (41.), Fernando Torres (84.) und Juan Mata (88.) waren vor 63.170 Zuschauern die Farbtupfer eines beeindruckenden Gesamtkunstwerkes. Um 23.51 Uhr Ortszeit reckte Mannschaftskapitän Iker Casillas im Konfettiregen den Coupe Henri Delaunay in den Himmel, sechs Minuten später begann ein Feuerwerk, wie es Spanien zuvor auf dem Platz abgebrannt hatte.

Allerdings musste Italien nach einer Verletzung von Thiago Motta (60.) in Unterzahl spielen, da Trainer Cesare Prandelli schon dreimal gewechselt hatte. Der Allenatore behielt am Ende trotzdem seine Würde, redete die enttäuschende Vorstellung seiner Squadra aber auch schön: „Die Strategie war die richtige. Wir haben verstanden, dass wir Spanien nicht durchkommen lassen dürfen. Das ließ sich aber nicht immer verhindern. Wir haben trotzdem Fantastisches geleistet. Wir werden weiter wachsen und uns verbessern.“ Der zuvor so geniale Spielmacher Andrea Pirlo aber weinte.

+++ Xavi und Iniesta - Spaniens kreatives Doppelherz +++

Das Finale sei das Spiel um die „Kirsche auf dem Kuchen“, hatte Spaniens Verteidiger Sergio Ramos behauptet; am Ende kam sogar noch die Schlagsahne oben drauf. Gegen leichtfüßige Spanier, die als erster Europameister den Titel erfolgreich verteidigten und mit ihrem dritten EM-Titel den Rekordsieger Deutschland einholten, war Italien überfordert. Nur in Ansätzen glichen die Azzurri jener Mannschaft, die im Halbfinale Deutschland besiegt hatte. Pirlo blieb nahezu wirkungslos, Mario Balotelli, zweifacher Torschütze beim 2:1 gegen die DFB-Auswahl, hatte sein Pulver offensichtlich schon verschossen.

Im Gegensatz zu Deutschland im Halbfinale zeigten sich die Spanier vom Mitwirken von Andrea Pirlo gänzlich unbeeindruckt - sie vertrauten auf ihre Stärken. Und sie machten gleich Druck, waren offensichtlich auf ein schnelles Tor aus. Die Italiener wiederum sahen sich zunächst außerstande, die Spanier früh zu stören, wie sie es beim 1:1 im Gruppenspiel drei Wochen zuvor geschickt und nervtötend getan hatten. Das sollte sich früh rächen.

+++ Das Spiel im Liveticker +++

In der 14. Minute ging alles plötzlich ganz schnell, so schnell, dass einem der Atem stockte. Andres Iniesta beschleunigte das Spiel mit einem chirurgisch präzisen Steilpass durch die italienische Abwehr genau in den Lauf von Cesc Fabregas, der flankte von der Torauslinie hoch zurück in die Mitte. David Silva stürmte heran und wuchtete den Ball mit all seinen 170 Zentimetern Körpergröße ins Tor. Ein Spielzug wie ein Gemälde.

Es wurde nicht besser für die Italiener, die eigentlich der Angstgegner Spaniens waren. Seit 1920 hatte La Squadra nicht gegen den Rivalen verloren. Doch an diesem Sonntagabend lief alles gegen Italien. Giorgio Chiellini, der einzige Neuer in der Anfangsformation im Vergleich zum Spiel gegen Deutschland, musste schon in der 21. Minute verletzt vom Feld, und die Squadra Azzurra stand weiter unter Druck. Spanien zog sich nach dem Führungstreffer nicht zurück, der Titelverteidiger wirkte darüber hinaus spritziger und laufstärker.

Bei Spanien funktionierte das „magische Dreieck“ Xavi, Iniesta, Fabregas (alle FC Barcelona) hervorragend. Bei den Italienern waren gute Ansätze nur dann zu sehen, wenn sich Pirlo ins Spiel einschalten durfte. Gefährlich vor dem Tor von Casillas wurde es meist nur dann, wenn der Torhüter Flanken hätte abfangen sollen. Da zeigte der spanische Mannschaftskapitän Schwächen - er war dafür aber bei Ignazio Abates strammem Schuss auf dem Posten (33.).

Nichts zu sehen war dagegen von dem Mann, der Deutschland aus dem Turnier geschossen hatte. Balotelli litt wie Antonio Cassano unter einem Mangel an Zuspielen und verwertbaren Pässen. Chancen für die Italiener ergaben sich nur selten, und wenn, dann scheiterten die Azzurri zum bestmöglichen Zeitpunkt wie der eingewechselte Antonio Di Natale: Er schoss in der 51. Minute freistehend auf Casillas, Balotelli schoss neben das Tor (58.). Spätestens mit Mottas Verletzung begannen die spanischen Fans, den Triumph zu genießen.

Uefa prämiert Spaniens EM-Titel mit 23 Millionen Euro

Für Europameister Spanien hat sich der Titelgewinn in Polen und der Ukraine auch finanziell gelohnt. Der europäische Fußballverband Uefa schüttet für den erneuten Sieg des Titelverteidigers 23 Millionen Euro Prämienzahlungen an den spanischen Verband RFEF aus. Vize-Europameister Italien erhält noch 19,5 Millionen Euro, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) kassiert 16 Millionen.

Insgesamt überweist die UEFA 196 Millionen Euro an die 16 teilnehmenden Länder. Irland und Niederlande, die einzigen Mannschaften ohne Punktgewinn bei der EM in Polen und der Ukraine, erhalten hieraus lediglich die Teilnahmeprämie in Hohe von acht Millionen Euro.