Der EM-Traum ist zerplatzt. Für Löw, Lahm, Klose, Schweinsteiger und Podolski könnte die WM 2014 in die letzte Chance auf einen Titel sein.

Warschau. Aus. Schluss. Vorbei. In nur 90 Minuten zerplatzte gestern Abend im Nationalstadion von Warschau ein Traum, den ganz Deutschland seit zwei Jahren geträumt hatte. Kurz nach Mitternacht verließen die deutschen Nationalspieler den Ort des Geschehens mit hängenden Köpfen und der Gewissheit, dass man zum vierten Mal hintereinander dicht dran war am großen Triumph, aber eben nicht dicht genug. Zweimal in Folge, bei der EM 2008 und der WM 2010, war Spanien eine Nummer zu groß, die anderen beiden Male, bei der WM 2006 und eben auch gestern, war es Italien. Che tristezza!

Anders als bei den vergangenen drei Turnieren, als zwei dritte Plätze und eine Finalteilnahme als kaum zu erwartende Erfolge wahrgenommen wurden, ist das Halbfinalaus gegen Italien eine Enttäuschung. Diesmal, da waren sich Spieler, Trainer und Verantwortliche beim DFB vor und während des Turniers sicher, wäre Deutschland ganz einfach mal mit einem Titel an der Reihe gewesen. Sogar erste Vorkehrungen für eine gemeinsame Fanfeier am Montagnachmittag in Berlin am Brandenburger Tor nach einem möglichen Finale wurden bereits frühzeitig bekannt. "Es bleibt der Wunsch aller Verantwortlichen, mal auf Platz eins zu stehen", hatte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach noch am Vortag des Halbfinals gesagt, "irgendwann will man nicht nur auf dem Treppchen stehen."

Seit gestern Abend weiß auch Niersbach, dass es in diesem Jahr beim Wunsch bleiben wird. Trotz einer souveränen Leistung in der Vorrunde gegen Topgegner wie Portugal, die Niederlande und Dänemark sowie einer auch spielerisch überzeugenden Vorstellung gegen Griechenland im Viertelfinale muss die vielleicht beste deutsche Mannschaft seit 40 Jahren nach der Halbfinalniederlage gegen Italien mit leeren Händen nach Hause fahren. Deutschland ist auf der Zielgeraden gescheitert - wieder einmal.

+++ Ausgespielt! Löws Plan ging nicht auf +++

+++ Glückloses Deutschland verliert gegen starke Italiener +++

Nach der großen Enttäuschung wollte gestern Abend aber niemand ernsthafte Konsequenzen fordern. "Es wird niemand in ein Tal der Depression fallen", sagte Niersbach, der trotz des Ausscheidens selbstverständlich mit dem Trainerteam rund um Bundestrainer Joachim Löw weitermachen will. Anders als bei der EM vor acht Jahren in Portugal, als das deutsche Vorrundenaus einen sofortigen Rücktritt Rudi Völlers nach sich zog, dürfte Löw bereits heute ankündigen, dass er bei der WM 2014 in Brasilien einen nächsten Anlauf starten wird. Es wird, da sind sich die meisten Beobachter der Nationalmannschaft einig, so oder so sein letzter sein. Nach der WM, so war es aus Löws Umfeld zuletzt häufiger zu hören, wolle der Badener zunächst ein Sabbatjahr einlegen, dann eine neue Herausforderung suchen.

Neben Löw dürfte die Weltmeisterschaft auch für die nicht jünger werdenden Miroslav Klose, Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger und vielleicht sogar Philipp Lahm die letzte reale Titelhoffnung sein. Für das Quartett war es nach der 0:2-Niederlage vor sechs Jahren bereits das zweite Halbfinalaus gegen Italien. In Brasilien wäre Klose dann 36 Jahre, Podolski und Schweinsteiger 29 Jahre, Kapitän Lahm 30 Jahre alt. Ob sie sich nach dem Turnier in Südamerika noch gegen die immer jünger werdende Konkurrenz durchsetzen können, erscheint zumindest fraglich.

Talentierte Spieler wie Marco Reus, André Schürrle oder Mario Götze sind längst echte Alternativen geworden, zudem will der Bundestrainer weitere Talente aus der Bundesliga wie die Schalker Julian Draxler und Lewis Holtby, den Neu-Leverkusener Philipp Wollscheid, Dortmunds Moritz Leitner und Gladbachs Marc-André ter Stegen möglichst zeitnah integrieren. Erste Möglichkeit hierzu ist das Freundschaftsspiel gegen Argentinien (15. August, 20.45 Uhr) in Frankfurt kurz vor dem Start der Bundesligasaison. Richtig ernst wird es dann wieder mit den ersten WM-Qualifikationsspielen gegen die Färöer am 7. September in Hannover und vier Tage später in Österreich (jeweils 20.45 Uhr).

+++ Podolski und Schweinsteiger waren wieder Ausfälle +++

Über die nahe, mittelfristige und auch ferne Zukunft wollte gestern Abend aber noch niemand spekulieren, zu sehr tat die unmittelbare Gegenwart noch weh. Deutschland hat bei der EM in Polen und der Ukraine nicht brilliert, aber - zumindest bis zum Halbfinale gegen Italien - überzeugt. Trotzdem darf statt der DFB-Elf heute die Squadra Azzurra weiter nach Kiew reisen, wo sie am Sonntagabend gegen Spanien im Finale spielt. Die Mannschaft von Joachim Löw wird dagegen heute um 11 Uhr nach Frankfurt am Main fliegen und unmittelbar nach der Ankunft in den Sommerurlaub starten. Erholung ist nun bitter nötig.

Abendblatt-Redakteur Kai Schiller schickt heute seinen letzten EM-Brief nach Hamburg www.abendblatt.de/schillersbriefe