Der große sportliche Lebenstraum ist erfüllt: Vitali und Wladimir Klitschko sind als erstes Brüderpaar zeitgleich Weltmeister.

Berlin. Wie oft Vitali und Wladimir Klitschko die Frage nach einem Brüderduell im Ring schon beantworten mussten, ist nicht bekannt. Zu fortgerückter Stunde in der Nacht zu Sonntag war es wieder so weit. Die beiden Ukrainer saßen nebeneinander auf einem am Ring in der O2 World aufgebauten Podium, vor ihnen lagen die Gürtel, die sie als Schwergewichts-Weltmeister der Verbände WBC, WBO und IBF ausweisen, und tuschelten miteinander wie zwei verliebte Teenager, als ein englischer Kollege die Zweisamkeit mit eingangs beschriebener Frage störte. Und weil die Brüder es leid sind, immer wieder die Platte mit dem Titel "Mama hat es uns verboten" abzuspielen, initiierten sie einen rund 90 Sekunden langen Dialog in englischer Sprache.

"Du hast mir früher mein Spielzeug weggenommen", sagte Vitali (37). "Heute bist du besser in Form, aber warte, wenn ich wieder im Training bin", drohte der fünf Jahre jüngere Wladimir. "Der da gefällt mir", sagte Vitali und griff nach Wladimirs IBF-Gürtel. Und so weiter und so fort ging es, bis das Publikum sich vor Lachen auf die Schenkel schlug - und jedem klar war, dass diese Brüder, die seit Sonnabendnacht als erstes Geschwisterpaar zeitgleich Weltmeister sind, mittlerweile auch außerhalb des Rings die Show bestimmen.

Dass dieser 12. Oktober 2008 in den Geschichtsbüchern des professionellen Faustkampfs ein wichtiges Datum werden wird, war einer Leistung zu verdanken, wie sie viele nicht für möglich gehalten hatten. Nach exakt 1400 Tagen Pause, einem schweren Knieschaden, einem Bandscheibenvorfall und drei langen Trainingscamps war Vitali Klitschko auf die Box-Bühne zurückgekehrt. Und als er nach acht Runden wieder abtrat, hinterließ er nicht nur einen völlig demoralisierten Samuel Peter, sondern auch eine staunende Menge Box-Experten, die eine solche Demonstration der Stärke vom früher als unbeweglich gescholtenen Klitschko nie gesehen hatte.

Mit hängenden Armen forderte er den nigerianischen Titelverteidiger immer wieder zu Angriffen heraus, pendelte diese jedoch mit der Geschmeidigkeit einer Katze, die mit einer Maus spielt, aus und stieß seine linke Führhand mit nie da gewesener Präzision, Variabilität und Schnelligkeit zum Kopf seines Gegners, dass dieser nie ein Mittel fand, sich zu entziehen. Zwar zeigten sich viele der 12 500 Fans in der Arena - und im Schnitt 9,67 Millionen bei RTL - von Peters Leistung enttäuscht, doch war es einzig Klitschkos Dominanz geschuldet, dass der 28-Jährige nicht zum Zug kam. Die Vielzahl der Treffer und die psychische Überlegenheit waren es, die den mit 1,85 Metern Körpergröße 17 cm kleineren Gegner zermürbten. Peters Ecke gab in Absprache mit dem verbeulten Athleten in der Pause vor der neunten Runde den Kampf auf.

"Ich habe getan, was ich konnte, aber Vitali war einfach der Bessere heute. Nach vier Jahren Pause so zurückzukommen, das ist großartig", zollte Peter, der die Pressekonferenz wegen Erschöpfung nicht besuchen konnte, seinem Bezwinger Respekt. Andere fanden noch größere Worte. "Das war einer der besten Kämpfe, die ich in meinem Leben gesehen habe. Es war die schönste Nacht für mich seit langem, denn ich fühle mich darin bestätigt, dass wir an Vitali geglaubt haben", sagte WBC-Präsident Jose Sulaiman, der Klitschko die Rückkehr auf den WM-Thron dadurch ermöglicht hatte, dass er ihm als "Champion Emeritus" eine sofortige WM-Chance bei einem Comeback versprochen hatte.

Die Frage des englischen Kollegen wurde am Ende auch noch beantwortet. "Vitali hat bewiesen, dass er der Bessere von uns beiden ist. Er hat Peter filetiert. Ich habe gegen ihn viel schlechter ausgesehen. Deshalb bin ich unglaublich stolz auf meinen Bruder", sagte der völlig entrückt wirkende Wladimir, der im September 2005 gegen Peter dreimal zu Boden ging, aber dennoch nach Punkten gewann. Auch wenn viele Fans auf der Welt das Bruderduell gern sehen würden: Für Wladimir Klitschko ist es besser, dass Mama es verbietet.