HAMBURG. Die gestrigen Vorgänge in Horn haben wieder einmal demonstriert, was in Wirklichkeit das größte Problem im deutschen Galopprennsport ist. Sie denken jetzt an den abnehmenden Marktanteil der Pferdewette? Bestimmte Personalprobleme? Chronische Geldknappheit? Zu hohe Sprit- und Champagnerpreise? Falsch! Es ist das Geläuf, der Boden. Immer und immer, wie in Horn wieder, der Boden!

Wohl wird auch in Horn das Grasgeläuf auf das Perfekteste gehegt und gepflegt, gedüngt, gemäht, belüftet und ständig bewässert - um es in einen Zustand zu bringen, von dem man annimmt, dass er für das Gros der Pferde vorteilhaft ist. Aber es bleibt ein Kreuz mit dem Boden, dessen Elastizität sogar mit einem Spezialgerät gemessen wird. Auf einer Skala von 1 bis 10 wird an vier verschiedenen Punkten der Rennbahn die Eindringtiefe des Rasens bestimmt.

Doch damit ist das Thema keineswegs geklärt. Im Gegenteil: Korrektheit und Aktualität der Angaben über die Grasnarbe werden Renntag für Renntag angezweifelt und um Erkenntnisse wie Jockeyaussagen nach frühen Rennen, Bohrversuche mit dem Schuhabsatz und eigene Wetterfühligkeitsanalysen ergänzt. Verfeinert. Die ganze Rennbahn ist voller Experten. Da kann jeder mitreden, unter vielsagenden Grimassen und besorgten Blicken zum Wolkenhimmel.

So wird die Genauigkeit zur Ungenauigkeit und hilft mit, den Boden zum Mythos zu machen. Dazu kommt: Der Boden hat keine Lobby. Wenn an einem Tag 130 Pferde starten, gibt es neun Sieger und ziemlich genau 121 Verlierer. Etwa 100 von diesen 121 nebst Schwager, Tante und Wettern wissen hinterher genau um die verhängnisvolle Rolle des Bodens für ihr Pferd.

In der Tat haben die meisten Pferde eine Vorliebe für diesen oder jenen Geläufzustand und behalten diese, besonders in jungen Jahren, auch bei. Zudem mögen Pferde mit leichten Knochenproblemen meist weichen Boden lieber, weil ihnen der angenehmer ist. Andere mit Sehnenproblemen kommen manchmal bei Trockenheit besser zurecht.

Auf ganz weichem oder gar tiefem Boden wird natürlich überhaupt kein Pferd schneller (was man ja an den Rennzeiten erkennt). Aber es ist eindeutig so, dass manche Pferde durch weiches oder loses Geläuf weniger gehandicapt werden als andere.

Interessant kann es werden, wenn alle aufeinandertreffenden Pferde angeblich den Boden nicht können. Besonders grotesk ist das dann, wenn das Geläuf in Wirklichkeit ziemlich normal anmutet - wovon aktuell in Horn aber keine Rede sein kann.

Sonnenklar, dass die ungenaue Wissenschaft Boden im wichtigsten Buch des Turfs, dem Ausredenbuch für Trainer und Jockeys, mehrere dicke Kapitel füllt. Sie ist prädestiniert dafür. Standard ist die zerknirschte Formel: Unser Pferd konnte den Boden heute nicht. Echte Virtuosen der Auslegung schaffen es aber, bei ein und demselben Pferd Niederlagen auch mit völlig verschiedenen Geläufzuständen zu begründen. So soll es Pferde geben, die eigentlich nie ihren Boden antreffen.

Eine Sternstunde der Realsatire wurde vor drei Jahren in Baden-Baden erreicht, als eine veritable Staatsanwaltschaft tagelang gegen einen Mann ermittelte, der durch Bestechung versucht haben sollte, jemanden zu verstärkter Bahnbewässerung zu animieren. Bis man schließlich feststellte, dass ein einschlägiger Straftatbestand im Gesetzbuch unauffindlich ist.

Die Quintessenz des Ganzen ist, dass es mit dem Boden anscheinend nur Schwierigkeiten gibt. Die logische Konsequenz: Man sollte ihn ersatzlos abschaffen!