Bretagne: E Ein Streifzug zwischen Quimper und Nantes mit historischen und kulinarischen Feinheiten.

Anne, die Gymnasiastin aus Vannes, ist sich ganz sicher: In jedem Bretonen steckt ein Asterix, der in dieser Region den Aufstand gegen die Römer durchgezogen hat. Der Bretone ist stolz auf seine keltische Herkunft und verteidigt dieses Erbe. "Francais d'accord - Breton d'abord", pflegte Annes Großmutter zu sagen: "Wir sind zwar Franzosen, aber zuallererst Bretonen!" Die alte Dame brachte ihrer Enkelin auch Grundlagen der komplizierten bretonischen Sprache bei, die Anne jetzt auf der Schule perfektioniert. "Wußten Sie, daß die Regierung früheren Generationen verboten hatte, das angeblich barbarische Idiom ihrer Vorfahren zu sprechen? Sogar Schulkinder wurden bestraft, wenn ihnen auch nur ein Wort herausrutschte!"

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde "Breiz'h" wieder offiziell anerkannt. "Und heute sind hier sämtliche Straßenschilder und die offiziellen Einrichtungen sowohl französisch wie auch bretonisch beschriftet", freut sich die hübsche Brünette.

Eine steife Brise weht vom Golf de Morbihan herüber. Im fotogenen Yachthafen blähen sich weiße Segel. Schon den Römern gefiel die Lage ihrer "Civitas Venetas", die heute Vannes heißt. Altersschiefe Fachwerkhäuser drücken sich an die Wehrmauer. In deren Windschatten intonieren zwei junge Musiker sentimentale keltische Weisen. Die meisten Touristen zieht neben den Lavoirs, den hübschen Waschhäusern am Flüßchen Marle, das Maison de Vannes aus dem 16. Jahrhundert an. An der Fassade prangen die zwei Fratzen von "Vannes et sa Femmes" .

Nach einem Abstecher zur Halbinsel Rhuys mit ihren schönen Sandstränden nehmen wir uns Concarneau vor. In der "ville close", dem von einer völlig intakten Festungsmauer umfriedeten romantischen Ort, steuern wir eine Crêperie zur Mittagspause an. "Bestellen Sie bloß keine Crêpes mit Schinken, Würstchen oder anderem Schnickschnack", raunt uns eine Alteingesessene zu. Keine Experimente! Die einzig erlaubten Zutaten sind Eier, Butter und Salz. Wir folgen dem Rat und genießen die krossen Pfannkuchen, begleitet von einem spritzigen Cidre.

Frisch gestärkt steuern wir Quimper an, die historische Hauptstadt des einstigen Königreichs Cornouaille. Hier sind viele über die Odet gespannte Brücken verschwenderisch mit Blumen geschmückt. Mitten in einer Altstadt aus grauen Steinquadern und prächtig restauriertem Fachwerk erhebt sich das elegante "Thetre Max Jacob", ein Bau aus dem 19. Jahrhundert. Neben der Kathedrale St. Corentin, die mit filigranen gotischen Türmen das Stadtbild beherrscht, breitet das Musee departemental breton eine Fülle archäologischer Exponate aus, die die Vergangenheit dieses Landstrichs veranschaulichen. "Quimper ist aber auch sehr präsent", sagt Lionel Jacq, ein Touristiker der Stadt. "Denn von hier aus hat die Firma Armor Lux die blau-weiß gestreiften maritimen T-Shirts in ganz Europa salonfähig gemacht."

Auf der Weiterfahrt halten wir kurz im charmanten Pleyben, wo unter den schönen Kapellen die Chapelle de Notre-Dame de Guenil hervorsticht, deren prächtige Fenster jedesmal besonders bewundert werden. Zeit für eine Verschnaufpause. Im nur 20 Kilometer entfernten Seebad Benodet testen wir das Thalassozentrum und ziehen weiter zum Nachbarort Ste.-Marine. Hier gönnten sich schon Prominente des 19. Jahrhunderts wie die gefeierte Actrice Sarah Bernhardt oder der Romancier Marcel Proust ihre Sommerfrische.

Für den nächsten Morgen steht Pont-Aven auf der Liste. "Wer sich für die Impressionisten interessiert, kann diesen Ort nicht links liegen lassen", so mein Begleiter. In dieses bretonische Städtchen verschlug es Paul Gauguin 1886, nachdem sich schon die Kollegen William Turner aus England (1775-1851) und Camille Corot (1796-1875) hier angesiedelt hatten. Das Haus, in dem Gauguin arbeitete, bevor er Tahiti als ideale Heimat entdeckte, ist stets von Touristen belagert. Am meisten profitiert die Biscuiterie von Pont-Aven vom Ruhm des Malergenies. Ihre "Trou Mad de Pont-Aven", hauchzarte mürbe Galettes, gehen in Keksdosen mit Gauguinschen Südsee-Motiven in die ganze Welt.

Rennes ist die nächste Station. Hier schlägt das Herz der Bretagne und des Departements Ile-et-Vilaine. Die Touristen aus Belgien sind hier enttäuscht. Gerade in der Hauptstadt der Bretagne hätten sie ganze Straßenzüge der typischen Fachwerkhäuser erwartet. Statt dessen überall streng klassizistische Architektur. Charmant lächelnd entschuldigt sich die Stadtführerin für diesen Fauxpas: "Unverzeihlich", räumt sie ein. "Aber im Dezember 1720 brach Feuer in einer Mühle aus und vernichtete den Großteil desFachwerks. Ich finde, mit ihren Neubauten, die ja nun auch ziemlich alt sind, ist unsere Stadt doch ebenso sehenswert." Recht hat sie. Auf der Place de la Mairie stechen die Oper sowie das zweiflügelige Rathaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ins Auge. Der Justizpalast, dessen Prachtsäle zu besichtigen sind - ebenfalls eine Augenweide. Echt bretonisches Leben hat sich die Altstadt mit buntem Markttreiben vor historischen Fassaden bewahrt. Musikanten und Straßenkünstler agieren zwischen Blumen- und Gemüseständen. Als plötzlich eine Gruppe junger Leute in bretonischen Kostümen - eine Frau mit der "Coiffe", der fast 50 Zentimeter hohen Haube - die Szene betritt, klicken ringsum alle Kameras.

Eigentlich wollten wir gleich weiter nach Nantes, legen aber noch einen Schlenker nach St. Malo ein. Gegründet vom Heiligen Maclow, bretonisch Malo, trotzte die Stadt am Atlantik sämtlichen Feinden und bewahrte sich stets ein großes Maß an Unabhängigkeit. Das Panorama von der Seeseite, dominiert von der Bastion de Hollande und der Kathedrale St. Vincent, erinnert an einen alten Kupferstich. In der Rue Chateaubriand Nr. 3 wurde 1768 Francois Rene Chateaubriand geboren, Schriftsteller und Namensgeber für das köstliche Fleischgericht.

"Nantes gehört heute zum Departement Loire-Atlantique." Der Mann in der Buchhandlung rückt seine Brille zurecht. "Aber Sie haben insofern recht, als Nantes Teil der historischen Bretagne ist. Und Jules Verne war ein ganz typischer Bretone." Das ist das Stichwort. In diesem Jahr feiert Nantes den 100. Todestag des Visionärs und Science-Fiction-Erfinders. In einer Halle am Hafen wird gerade ein Schiff nachgebaut, mit dem Jules Verne auf Entdeckungsreise ging.

Madame Agnès Marcetteau steht unter Strom. Sie ist Direktorin der städtischen Bibliothek und des Museums Jules Verne, das am 18. Oktober öffnen soll. "Kommen Sie dann wieder. Ich sage Ihnen, es ist etwas ganz Besonderes", verspricht Madame. Über den Menschen Verne weiß sie auch Bescheid. So großartig und dynamisch er in seinem vorausschauenden Denken war, so langweilig muß er auf viele Bewunderer gewirkt haben. Ein berühmter russischer Literat unternahm eigens die lange Reise, um Verne in Frankreich zu treffen. Seinem Tagebuch vertraute er an, der Verfasser so epochaler Werke wie "Reise zum Mittelpunkt der Erde" und "20 000 Meilen unter dem Meer" sei der ungeselligste Mensch auf der Welt. Jedes Wort habe er ihm aus der Nase ziehen müssen.

Wie dem auch sei, Jules Verne ist allgegenwärtig. Einige Routen führen auf seinen Spuren durch die Stadt mit ihren zahlreichen Bauten aus dem 18. Jahrhundert, der gotischen Kathedrale und den schicken Boutiqen. Ein Aufenthalt in Nantes ist unvollständig ohne ein Essen im "La Cigalle" (Die Grille), einem Jugendstiltempel von einzigartigem Reiz. "Hoffentlich haben Sie Zeit genug, um sowohl unsere Speisen als auch das Dekor zu genießen", warnt der Maître am Eingang. "Hektische Ameisen werden bei uns nämlich nicht geduldet." Voilà!