Mit dem Sonderzug von Istanbul nach Damaskus - auf Gleisen, die einst deutsche Ingenieure legten.

Schauen Sie, meine Blume, ich habe eine schöne Geschäft." Wer könnte dieser charmanten Einladung schon widerstehen? Der eifrige Händler winkt uns in seinen vollgestopften Laden und breitet die schönsten Stoffe aus. Glänzender Brokat, fließende Seide in schillernden Farben und fantasievollen Mustern, Zauber des Orients, ein Hauch von 1001 Nacht in den Souks von Damaskus. Endpunkt einer Reise, deren Geschichte eigentlich schon 1903 im Osmanischen Reich begann.

In jenem Jahr schlug die Geburtsstunde der Bagdadbahn, eines Lieblingsprojekts des orientbegeisterten deutschen Kaisers Wilhelm II. Der Bau der durchgehenden Zugverbindung von Istanbul bis in den Irak, der mit seinen vielen Tunnels und Viadukten von den deutschen Ingenieuren Höchstleistungen verlangte, dauerte fast vierzig Jahre. Kurz nach der Fertigstellung war der Traum auch schon wieder vorbei. Nach dem Zweiten Weltkrieg verödete die Strecke, Gleise verkamen, Zugverbindungen wurden eingestellt.

Auf den Spuren dieser legendären Bahn rattert nun zum erstenmal ein Touristenzug durch die Türkei und Syrien. Reaktiviert wurden dafür Eisenbahnwaggons, die in den 80er Jahren in der DDR gebaut wurden und die in den letzten Jahren ziemlich nutzlos in syrischen Depots standen. Aufgemöbelt und gründlich gereinigt gehen sie jetzt auf die rund 2500 Kilometer lange Reise von Istanbul nach Damaskus.

Start ist jenseits des Bosporus, auf der asiatischen Seite von Istanbul, auf dem Bahnhof Haydarpasha. Eine Gedenktafel erinnert an die Geschichte des imposanten Gebäudes, das Anfang des vorigen Jahrhunderts von deutschen Architekten entworfen wurde. Am Marmara-Meer entlang, an Obstplantagen vorbei geht es ins schroffe Kapiorman-Gebirge. Die engen Täler wechseln nach einiger Zeit in weite Ebenen, Störche sammeln sich auf den Wiesen zu ganzen Pulks, Schafherden wandern am Bahndamm entlang. Erster Halt ist auf dem Bahnhof Inescu. Von dort führt ein Abstecher in die bizarre Tuffsteinlandschaft von Kappadokien. Doch Pech für den Sonderzug: Den Bahnsteig blockiert ein Güterwagen. Touristen ist man hier nicht unbedingt gewöhnt. Was bleibt ihnen also anderes übrig, als aus dem Waggon auf den Schotter zu springen und über die Gleise zum wartenden Bus zu stiefeln. Der unkonventionelle Ausstieg ist schnell verschmerzt, wenn die merkwürdigen Kegel- und Türmchen-Felsen rund um Göreme auftauchen. Seit dem 9. Jahrhundert wurden hier Höhlen, Wohnungen, Kirchen und ganze unterirdische Städte in den weichen Stein gehauen. Die faszinierenden Felsformationen wirken so außerirdisch, daß sie sogar als Filmkulisse für den "Krieg der Sterne" herhalten konnten.

Mit dem Zug geht es weiter zum Taurusgebirge, dessen schneebedeckte Gipfel weithin zu sehen sind. Mehr zu sehen bekommen wir vom Taurus dann allerdings auch nicht. Denn als wir die wilden Schluchten des Gebirges erreichen, ist es dunkel. Macht nichts, tröstet man uns. Die Strecke bestehe sowieso hauptsächlich aus Tunneln.

An der Grenze erwarten uns - sowohl auf der türkischen als auch auf der syrischen Seite - einsame Provinzbahnhöfe. Die Paßformalitäten sind umständlich, aber problemlos: Pässe einsammeln, Pässe abstempeln, Pässe austeilen, Pässe vorzeigen mit Gesichtskontrolle. Noch einmal das Ganze auf der anderen Seite der Grenze. Da selbst der kleine Grenzverkehr hier höchst selten stattfindet, sind auch die Gleise nicht gerade in bestem Zustand. Auf dem Weg nach Aleppo, der ersten großen Stadt auf syrischer Seite, ruckelt der Zug in reduziertem Tempo durch die reizvolle Hügellandschaft, vorbei an Olivenhainen, die sich auf roter Erde bis zu den Höhen des nahen Amanus-Gebirges hinziehen.

In den belebten Vororten von Aleppo begrüßen Kinder den ungewohnten Passagierzug mit fröhlichem Winken oder mit Steinewerfen, was eher sportlich als persönlich gemeint ist. Aleppo ist seit den 70er Jahren von 150 000 Einwohnern auf 3,5 Millionen angewachsen. Über dem grauen Häusermeer thront auf einem Hügel eine wehrhafte Zitadelle. Der Handel brachte der Stadt ihren Reichtum, von dem hinter unscheinbaren Fassaden noch immer prächtige Villen und Innenhöfe zeugen.

Wer selbst handeln will, der kann das auf dem angeblich größten Basar der Welt tun. Allerdings sucht man dort das übliche bunte Souvenir-Angebot vergebens. Es wird alles für den täglichen Bedarf verkauft, von Teppichen über Töpfe bis zu Gewürzen und Hammel-Innereien. Durch die dunklen Gassen drängen sich Menschen, Eselkarren, Fahrräder, Schubkarren beladen mit Orangen, Bonbons, Mandeln. Wer nicht rechtzeitig zur Seite springt, riskiert, daß ihm der nächste knatternde Kleinlaster glatt über die Füße fährt.

Am Freitag ist Feiertag. Da sind die Basare geschlossen, und die Familien ziehen hinaus zu den Ruinen des Simeon-Klosters, in dem angeblich ein Steinbrocken von der Säule liegt, auf der der asketische Heilige im fünften Jahrhundert - so die Legende - mehr als 30 Jahre seines Lebens verbrachte.

Für die meist moslemischen Einheimischen hat der Klosterpark keinerlei religiöse Bedeutung. Teenies - die Mädchen streng mit Kopftüchern - schlendern singend und klatschend mit Radiorekordern durch die Anlage, Familien picknicken, Kinder klettern in die Bäume, um die beliebten unreifen, grünen Mandeln zu ernten, und bieten großzügig den Touristen davon an. Wie sie schmecken? Säuerlich, mehlig, gewöhnungsbedürftig.

Da hält man sich doch lieber an die vielfältigen Vorspeisen vom Hommos, dem Kichererbsenmus, über Hackfleischspieße, pürierte Auberginen, Weizenschrotbällchen bis zu den frittierten gefüllten Teigtaschen. Ohne die "Meze" kommt in Syrien kein Essen auf den Tisch, auch nicht in unserem Zug, in dem der syrische Koch Mahmoud für das leibliche Wohl der Gäste sorgt.

Inzwischen haben wir die Strecke der ehemaligen Bagdadbahn verlassen, die in Aleppo in östlicher Richtung weiterführte, und fahren an der Mittelmeerküste entlang gen Süden. Unter endlosen Plastikschläuchen wachsen Tomaten heran. Im Hafenstädtchen Tartus stürzen sich nach Feierabend die Badelustigen in voller Montur zur Erfrischung ins Wasser. Ein Ausflug führt zur guterhaltenen gewaltigen Kreuzritterburg Krak des Chevalier, seinerzeit Stützpunkt der Johanniter, die 1271 von den Mamluken erobert wurde.

Für den Güterzugverkehr ist die Bahnstrecke von Aleppo nach Damaskus gut ausgebaut. Bei einem Abstecher ins Landesinnere landen wir am 8. Tag jedoch im Nirgendwo der Wüste. Das Ziel ist die Oasenstadt Palmyra, zu römischen Zeiten eine blühende Handelsstadt und Knotenpunkt zwischen Rom, China und Zentralasien. Die Gleise dorthin enden 35 Kilometer vorher mitten im Sand. Für uns heißt es wieder einmal umsteigen in den Bus.

Die Blütezeit und der Ruhm Palmyras dauerten bis in das 7. Jahrhundert. Danach versank die Stadt in Bedeutungslosigkeit. Heute hat sie dafür umso mehr Bedeutung - als riesige kulturhistorische Ruinenstätte, die zum Weltkulturerbe zählt. Tempel, Theater und Thermen, Säulenallee und Grabkammern geben einen grandiosen Eindruck von der einstigen Pracht. Klar, daß das Kleinod in der Wüste Touristen in Scharen anlockt. Leider auch die Souvenir-Verkäufer, die mit unverschämter Aufdringlichkeit den Besuchern buchstäblich zu Leibe rücken. Das erleichtert den Abschied.

Über Hama mit seinen riesigen Norias, den knarrenden hölzernen Wasserrädern am Fluß Orontes, geht es nun direkt zur Endstation: Damaskus. Für Eisenbahnfreaks ist die Ankunft in der "Perle des Orients" jedoch etwas enttäuschend: Der altehrwürdige Hedjaz-Bahnhof mitten in der Stadt wird zur Zeit restauriert, und der Sonderzug ins Land der Märchen von 1001 Nacht endet ziemlich prosaisch auf einem schmucklosen Vorstadtbahnhof.

"Wenn es das Paradies auf Erden gibt, dann ist ohne Zweifel Damaskus ein Teil davon", schrieb 1184 der andalusische Mekkapilger Ibn Jubayr. Bei der Konfrontation mit dem stinkenden, lärmenden Verkehr, der sich chaotisch durch die breiten Hauptstraßen wälzt, kann man diese Euphorie kaum noch nachvollziehen. Die Stadt, deren wechselvolle Geschichte von Pharaonen, Griechen und Römern, von Omajjaden und Kreuzrittern, von Christen, Juden und Moslems geprägt wurde, hat sich zu einer modernen, quirligen Metropole entwickelt. In der Altstadt, auf den Basaren, in den Moscheen - die riesige Omajjaden-Moschee ist die prächtigste von ihnen - kann man indes noch immer den Atem des Orients spüren.

Und wer am Abend auf die Aussichtsstraße am Damaszener Berg Qassioun fährt, wo sich die kleinen Cafes aneinanderreihen und zum geruhsamen Genuß der Wasserpfeifen einladen, der läßt beim Blick über das endlose Lichtermeer mit den unzähligen grünen Punkten, die die Minarette der Moscheen markieren, den Alltagslärm und jede Hektik weit hinter sich.