Cesme ist anders als viele Urlaubsquartiere in der Türkei - nicht nur wegen des Klimas.

Das konnte doch nicht wahr sein! Der Sicherheitsbeamte zuckte in der Dunkelheit zusammen. Vor ihm lagen anscheinend zwei Leichen. Näher mochte er zunächst nicht herangehen. Als er es dann doch tat, war der Schrecken schnell vorbei. Denn die beiden waren nicht tot, sondern niemals lebendig - Sandfiguren, lebensgroß, mit üppigen Rundungen.

Burhan Kurt, den sie hier nur den "Captain" nennen, hatte sie am Tage geformt - für die Touristen, die es hierherzieht. Urlauber, die "das andere" suchen, und davon gibt es hier tatsächlich noch viel. Denn Cesme an der türkischen Ägäis, 80 Kilometer westlich von Izmir und acht Seemeilen von der griechischen Insel Chios entfernt, ist mit den gewöhnlichen Strandquartieren der Türkei kaum zu vergleichen.

Touristisch zum Beispiel ist Cesme noch nicht überlaufen - und von Legenden geradezu beseelt. Über den Captain sagt man, er habe eine betagte deutsche Dame, die vor Rheuma nicht mehr gehen konnte, zehn Tage lang von ihrem Zimmer im Hotel "Altin Yunus" zum hoteleigenen Thermalbad getragen. Danach habe sie wieder laufen können. Ihre Kinder schenkten dem Captain aus Dankbarkeit eine kleine Yacht, mit der er heute Touristen zu einsamen Buchten fährt oder ihnen Delphine zeigt, die hier noch vereinzelt schwimmen.

Wer mit den Menschen über ihre Heimat spricht, hört Dinge, die einfach wahr sein müssen. "Wir haben hier in der Region, die bis Ayvalik reicht, den reinsten Sauerstoff der Erde. Nur im Himalaya gibt es einen Platz, wo der Sauerstoff genauso gut ist, aber da fährt ja niemand zur Erholung hin", sagt etwa Dr. Fevzi Özgönül. Und Mustafa Cenker, der einen Yacht-Verleih betreibt, meint lächelnd: "Cesme ist der einzige Ort der Welt, wo sich Schwiegermutter und Schwiegertochter nie streiten. Die Schwiegermutter ist im Thermalbad, die Schwiegertochter badet im Meer." Seit über 3000 Jahren ist Cesme Kurort - und damit der älteste der Welt, der im Grunde aber immer noch ein Geheimtip ist.

Was das ehemalige Fischerstädtchen so einmalig macht, ist sein mildes Klima. Plötzliche Temperaturschwankungen? Nahezu ausgeschlossen. Der Westpassat, "Imbat" genannt, sorgt auch bei Sommerhitze für eine frische Brise. Dadurch ist Cesme auch ein besonders gutes Windsurf-Gebiet. In der Alacati-Bucht warten die Enthusiasten auf die perfekte Welle, respektvoll von ein paar Urlaubern bewundert. Die meisten Gäste zieht es, wenn sie nicht an den Hotelstränden faulenzen, an den Altinkum- oder den Pirlanta-Strand. Hier schimmert der Sand weiß oder goldgelb. Trotzdem sind beide Strände nicht zu voll.

Cesmes 18 Thermalquellen waren schon in der Antike bekannt. Das Thermalwasser kommt aus bis zu 300 Metern Tiefe an die Oberfläche geschossen. Man kann im Meer direkt zu diesen Quellen schwimmen oder zu ihnen gehen. Jeder kennt die Stellen. Man sieht sie schon von weitem. Wo es dampft, da sprudelt eine Thermalquelle. "Beinahe wie in Island", schwärmt Kurarzt Dr. Özgönül.

Das ganze Jahr über kommen Rheumapatienten, Menschen mit Stoffwechsel- und Hauterkrankungen wie Schuppenflechte oder Asthmakranke. Manchmal fühlen sie sich schon nach 14 Tagen wieder fit. Es ist die Kombination aus Thermal-, Thalasso-, Luft- und Schlammtherapien, die so wirksam hilft. Durch den Schlamm wird die Hauterneuerung aktiviert, Thalasso hilft beim Relaxen und verbessert die Durchblutung, das Thermalbad aktiviert noch einmal die Haut und regt den Kreislauf an. "Idealerweise stimmt man die Therapien mit der entsprechenden Massage aufeinander ab. Thalasso wird in Cesme immer ganzheitlich betrachtet, als eine Kombination aus Thermal- und Algenbädern. Dabei wird der Körper entschlackt, der Stoffwechsel angeregt, die Haut sanfter und straffer", sagt Goygun Acioluk, die im "Altin Yunus" für den Wellness-Bereich zuständig ist.

In Cesme gibt es noch keine gigantischen Bettenburgen wie rund um Antalya, dafür eine noch recht unberührte Natur - Einsamkeit inbegriffen. Auf den Felsplateaus in den Klippen kann man ganz für sich sein. Die Restaurants und die vielen Hotels bieten eine saisonale Küche. Das Gemüse kommt aus eigenem biologischen Anbau, ein Teil des Fischangebots wird direkt vor der Haustür gefangen. "Wir möchten diese Region so erhalten, wie sie ist, und die Lebensqualität noch steigern", sagt Timur Ilgaz, Manager im "Altin Yunus". Er fügt hinzu: "Wellness-, Gesundheits- und Familienurlaub sind bei uns keine Gegensätze."

Durch die Nähe zu Griechenland bietet sich für Cesme-Urlauber auch mal ein Abstecher zu den Hellenen an. Ahmet Subay betreibt die Fährverbindung "Maskottour" zur griechischen Insel Chios, deren schneebedeckte Gipfel zum Greifen nahe scheinen. Die Insel ist eine der wohlhabendsten in Griechenland. "Schlendert man vom Hafen aus durch die Gassen, entdeckt man die vielen türkischen Elemente", erklärt Ahmet Subay. Es ist diese türkisch-griechische Mischung, die Chios für Besucher zusätzlich reizvoll macht.

Auch in Cesme lebten bis zur größten Bevölkerungs-Umsiedlung zwischen Griechen und Türken vornehmlich Griechen. Eine Basilika und klassizistische Häuserfassaden erinnern daran.

Etwas anderes, das besonders für diese Region steht, wird leicht übersehen. Es ist der immergrüne Mastixstrauch. Er liefert ein Harz, das seit dem Altertum geschätzt wird: Im alten Ägypten produzierte es Weihrauch, und die Ärzte der Antike behandelten damit Entzündungen und Schlangenbisse. Die Sultane schenkten es ihren Haremsdamen in Kaugummiform. Offenbar hatte Mastix eine aphrodisierende Wirkung. Heute kann man in vielen Läden Mastix-Marmelade kaufen. Im Geschmack ähnelt der Stoff der harzigen Note des griechischen Retsina-Weins.

80 Kilometer westlich von Cesme liegt Izmir, das als demokratischste Stadt der Türkei gilt. In den letzten Jahren ist sie enorm gewachsen und hat heute rund 3,5 Millionen Einwohner. Die Metropole liegt am Golf von Izmir, der 54 Kilometer lang und bis zu 24 Kilometer breit ist. Wenn man die Basare durchstöbert und die Moscheen bestaunt hat, kann man im neuesten Hotel, dem "Crown Plaza", einige Wellness-Stunden einlegen. Das moderne Hamam und die Beauty-Anwendungen sind empfehlenswert. Von der Bar im 20. Stock schaut man abends über das Lichtermeer von Izmir und fährt dann mit einem der letzten Busse nach Cesme zurück.

Im Hotel sitzt dann vielleicht der Captain an der Bar oder Tutu, einer der besten Feuerspucker und Fakire der Gegend. Mittlerweile kommen wegen seiner Show sogar Gäste aus Deutschland angereist. Auch im nächsten Sommer wird er wieder über Glasscherben gehen und sich Nadeln durch die Wange bohren . . .