Wer viel reist, wird viel kontrolliert. Ich kenne das, ich bin das gewohnt, ich sehe das ein. Da arbeite ich in der Regel Hand in Hand mit dem Kontroll-Personal. Am Flughafen schraube ich meine Spiegelreflex auseinander, zerlege freiwillig mein MacBook bis auf die kleinste Diode, lasse auf Verlangen alle Hüllen fallen. Solange man freundlich zu mir ist - kein Thema.

Nur was dieser portugiesische Wachmann in Lissabon abgezogen hat, das ist ein Fall für Amnesty international. Tatort: Terminal Santa Apolonia, Abfertigungsgebäude. "Boarding Card!", patzt er mich an. Ein Griff in meine Reiseunterlagen, ich reiche den Ausweis, falte mein Schiffsvoucher vor ihm aus. Kurze Erklärung auf Englisch, von wegen Check-in, daher noch keine Bordkarte, because new passenger, you know. Nix know - "Bording card!" Dabei "waigelt" er seine Augenbrauen zu einer zusammen und zuckt mit dem Mundwinkel, als würde ihm sein Vorgesetzter aus einem Kellerraum Stromstöße verpassen.

Der Wachmann trägt eine braune Stoffhose mit hellbraunem Seitenstreifen. Der Gürtel fehlt, den hat er wahrscheinlich samt Dienstpistole beim letzten Toilettengang liegen lassen. Notdürftig in seine Uniformhose gestopft hat er das weiße, kurzärmlige Hemd, an dessen Ärmel ein Sticker mit der Aufschrift "Grupo 8" aufgenäht ist. Vermutlich ist das so etwas wie bei uns die GSG 9, die deutsche Elitetruppe, die einst die Geiseln in Mogadischu befreite. Nur zu einer Elitetruppe gehört dieser Mann mit Sicherheit nicht.

In der Brusttasche seines Hemdes steckt ein Kugelschreiber, daneben ist sein eingeschweißter Dienstausweis festgeklippt. Eingeschweißt ist nicht nur sein Ausweis, sondern sein ganzes Hemd. Mit einem Stück Küchenrolle tupft er sich alle drei Minuten die Stirn trocken. Zehnmal. Ich kann es beurteilen, ich warte hier schon seit 30 Minuten.

Den Kontroll-Kollegen, den er zum Schiff geschickt hat, sehe ich durch einen Türspalt in der Dienst-Cafeteria sitzen. Mein Blick wandert weiter durch die Halle. Vor den Fenstern stehen vertrocknete Yucca-Palmen, die in diesen Breitengraden doch wirklich gedeihen müssten. An der Decke surren Neonröhren, und es riecht streng nach Bohnerwachs. Nach einer Dreiviertelstunde rieche auch ich streng nach Bohnerwachs.

Der Wachmann geht in regelmäßigen Abständen zu seinem Stehpult, setzt eine Lesebrille auf und studiert das einzige DIN-A-4-Blatt, das dort liegt. Immer wieder stellt er sich kommenden Passagieren in den Weg: "Boarding card!" Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er das polizeiliche Führungszeugnis sehen will und nach der Handschellengröße fragt. Gegen diesen Mann war jeder DDR-Grenzer ein potenzieller Fluchthelfer. "No boarding - no ship." Das kann nur die Rache für das EM-Aus der Portugiesen gegen Deutschland sein. Nach einer Stunde erscheint ein Hafenagent, schaut sich das DIN-A4-Blatt an und findet ganz oben auf der Liste meinen Namen. Während ich voller Wut die Kontrolle passiere, sehe ich, wie der Wachmann seinen Kuli zurück ins Diensthemd steckt. Er hat mich abgehakt.