Macht es Sinn, bei einem Erdbeben aus dem Haus zu flüchten? Nur wenn es direkt vor der Tür einen großen, offenen Platz gibt, sagen Experten des Geoforschungszentrums Potsdam.

Erdbeben gehören zu den gewaltigsten Naturkatastrophen. Sie legen binnen weniger Sekunden ganze Städte in Schutt, vernichten Menschenleben und Existenzen. Trotz moderner Technik lassen sie sich nicht vorhersagen. "Wer in erdbebengefährdete Gebiete reist, um Urlaub zu machen, sollte sich bewusst sein, dass dort Erdbeben auftreten können", rät Geophysiker Birger Lühr vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam, das gerade ein Merkblatt zum Verhalten bei Erdbeben veröffentlicht hat. Der Wissenschaftler fährt in Gebiete, in denen die Erde gebebt hat, um die Nachbeben zu messen. "Sie geben mehr Aufschluss darüber, was im Inneren der Erde geschehen ist." Denn bis heute können die Wissenschaftler der Erde beim Beben nicht zusehen, sie brauchen Instrumente, um das Geschehen zu erfassen. Und die Verfahren zur seismischen Durchleuchtung der Erde sind wesentlich verbessert worden.

Lange Zeit wurden Erdbeben überirdischen Wesen angelastet. In Japan brachte der zornige Riesenwels Namazu den Boden ins Wanken, in Polynesien der Gottessohn Ruaumoko - erst mit dem Erdbeben von Lissabon 1755, bei dem mehr als 30 000 Menschen starben, begann die moderne Erdbebenforschung. 1915 veröffentlichte Alfred Wegener das Buch "Die Entstehung der Kontinente und Ozeane" und legte die Basis für die Theorie der Plattentektonik. Demnach setzt sich die Erdoberfläche aus sieben großen und einer Vielzahl kleinerer Platten zusammen. Die größte ist die Pazifische Platte, die unter dem Pazifischen Ozean liegt, die kleinste umfasst nur das Gebiet der Türkei.

"Besonders heftig bebt die Erde, wenn eine Platte unter eine andere gedrückt wird, also in den Subduktionszonen", so der Potsdamer Forscher Lühr. In diesen Gebieten fanden neun der zehn stärksten Erdbeben der vergangenen 100 Jahre statt. "Der pazifische Feuergürtel, der an den Rändern der Pazifischen Platte liegt und sich entlang der Westküste Süd-, Latein- und Nordamerikas, Japans, den Philippinen und Südostasiens erstreckt, ist die Region der Erde, in der es am meisten bebt. Hier verändert sich die Erde so schnell, wie Fingernägel wachsen. Jedes Jahr taucht die ozeanische Platte im Mittel um acht Zentimeter unter die kontinentalen Platten ab", so Lühr.

Nicht minder gefährdet sind die Gebiete, in denen zwei Erdplatten aneinander vorbeigleiten wie am Sankt-Andreas-Graben in Kalifornien oder an der nordanatolischen Störzone im Nordwesten der Türkei. Beben in Indien, China und Tibet beruhen auf der Kollision zweier kontinentaler Platten. Denn wenn die Platten zusammenstoßen oder aneinander vorbeigleiten, bauen sich Spannungen in der Erdkruste auf, die sich plötzlich lösen und dabei die harte Erdkruste in Schwingungen versetzt. Lühr: "Nahezu erdbebenfrei ist das Innere großer Landmassen von Australien, der Antarktis, Grönland, von weiten Teilen Afrikas und dem Norden Europas sowie Asiens."

Wer seinen Urlaub in Erdbebenregionen plant, so Lühr, sollte den Reiseveranstalter oder Besitzer von Hotels und Ferienwohnungen fragen, ob das Gebäude gegen Erdbebenschäden versichert ist. "Niemand kann von außen erkennen, ob das Gebäude vernünftig gebaut worden ist. Doch bevor eine Versicherung einen Vertrag abschließt, wird sie das prüfen. Das gibt eine gewisse Sicherheit, ein Beben gut zu überstehen, sofern man einige Ratschläge beherzigt, beispielsweise sofort Schutz unter einem stabilen Möbelstück, einem Tisch, Bett oder verstärktem Türrahmen abseits von Fenstern oder Spiegeln zu suchen." Am gefährlichsten sei es, so das Merkblatt, während des Bebens aus dem Haus zu flüchten. Es sei denn, man befindet sich zu Beginn des Bebens nahe der Ausgangstür, und die führt ins Freie auf einen großen, offenen Platz, der nicht von Bäumen oder Gebäuden umsäumt, von Telefon- oder Stromleitungen überspannt wird.

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