Sorten wie der jetzt vom Acker verbannte Monsanto-Mais schützen sich durch Veränderungen im Erbgut selbst gegen Schädlinge. Doch wie gefährlich sind solche Manipulationen für Umwelt, Menschen und Tiere?

Berlin/Hamburg. Bei Nacht schleichen sich einige Dutzend Gentechnikgegner auf ein Maisfeld, auf dem MON 810 wächst, eine gentechnische Kreation des US-Konzerns Monsanto. Unbemerkt schlagen die Aktivisten die Pflanzen nieder, "befreien das Feld von der Gentechnik", wie sie es nennen. Geht man so mit einem Pionier um? Naturschützer sagen: Ja. Sie halten den Mais MON 810, die einzige Gentech-Pflanze, die in der EU kommerziell angebaut werden darf, für zu risikoreich, um sie großflächig wachsen zu lassen. Gestern bekamen sie Schützenhilfe aus Berlin, Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat den Anbau der transgenen Maissorte verboten.

Der Mais steht für eine Risikodiskussion um Gentech-Pflanzen, die Befürworter und Gegner seit Jahren erbittert führen. Können die künstlichen Eingriffe ins Erbgut - oder pathetisch formuliert in Gottes Schöpfung - ungeahnte Schäden an Menschen oder an der Umwelt anrichten? Während die Hersteller auf eigene Risikostudien verweisen, sammeln die Gegner Indizien aus verschiedensten Forschungsinstituten, die auf Gefahren von genmanipulierten Pflanzen hindeuten.

Bei MON 810 gelten vor allem die Schmetterlinge als potenziell gefährdet. Denn die Maissorte wurde gentechnisch aufgerüstet, damit sie sich gegen ihren ärgsten Feind, den Maiszünsler, einen kleinen grau-braunen Schmetterling, zur Wehr setzen kann. Dazu produziert die Pflanze ein Gift, das von Natur aus der Bacillus thuringiensis (Bt) herstellt. Ein Teil seiner Erbinformationen wurde in den Mais eingepflanzt. Tatsächlich zeigten Studien in den USA, dass die Raupen des dort beheimateten Monarchfalters gefährdet sind. In Europa gelten einige Nachtfalterarten als besonders empfänglich für das Gift, das sie über Pollen aufnehmen können.

Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) hält dagegen: Nur die Larven des Maiszünslers fressen im Pflanzenstängel. Laboruntersuchungen hätten gezeigt, dass "unter natürlichen Bedingungen" andere Schmetterlingsarten nur winzige Mengen an Bt-Pollen zu sich nehmen, "weit unterhalb der Dosis, bei der erste schädliche Wirkungen zu beobachten sind". Das Risiko für die Schmetterlinge lässt sich also nicht abschließend beurteilen; dies ist einer der Gründe, dass der Mais nach den Verboten in Frankreich, Österreich, Ungarn, Griechenland und Luxemburg nun auch in Deutschland nicht mehr wachsen darf.

Ursprünglich wurde das Bt-Gift gerade im Bio-Anbau eingesetzt, denn es wirkt sehr selektiv nur auf Falter. Doch seitdem es eine ganze Vegetationsperiode im Mais auf den Feldern herumsteht, häufen sich Warnmeldungen, die nicht nur Falter betreffen. So ziehen die Berufsimker gegen MON 810 ins Feld, nachdem Forscher der Uni Jena festgestellt haben, dass Bienen, die sie konzentriert mit Bt-Pollen fütterten, weniger erfolgreich brüteten. Weitere Studien sehen Gefahren für Marienkäfer und Wasserorganismen.

Und der Mensch? Der Bt-Mais taucht auf dem deutschen Lebensmittelmarkt kaum auf. Er landet nicht auf Tellern, sondern dient größtenteils als Tierfutter und zum Teil der Stärkeindustrie. Der Einsatz von Gentech-Futter muss nicht an den entsprechenden tierischen Lebensmitteln gekennzeichnet sein. Verbraucherschützer kritisieren dies als Gesetzeslücke. Eine kleine Entwarnung gaben Langzeitversuche der Technischen Universität München (Wissenschaftszentrum Weihenstephan): Forscher fanden in der Milch von Kühen, die mit MON 810 gefüttert wurden, keine messbaren Spuren des künstlich geschaffenen Genkonstrukts. Da viele Konsumenten dennoch Produkte, die mithilfe von Gentechnik hergestellt wurden, ablehnen, haben die ersten Anbieter auf den Verbraucherwunsch nach Wahlfreiheit reagiert: Sie schließen die Technologie aus und verwenden ein Label "Ohne Gentechnik".

Nicht der hiesige MON-810-Mais, der in Deutschland auf nur 3171 von rund zwei Millionen Hektar Maisanbaufläche wächst, landet auf deutschen Tellern, ebenso wenig gentechnisch verändertes Obst oder Gemüse, das weder roh noch zubereitet in deutschen Lebensmittelregalen vorkommt. Da Gentechnik als unappetitlich gilt, wird sie meist dort verwendet, wo dies eher unauffällig möglich ist - etwa bei Lebensmittelzutaten. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Öl, Lecithin oder Aromen, die aus Soja hergestellt sind, auf ihrem Weg mit Gentechnik in Berührung kamen, denn gut 70 Prozent der Soja-Ernte stammen heute von transgenen Sorten. Auch bei Importprodukten, die Stärke oder Traubenzucker aus Mais enthalten, mag Gentechnik eingesetzt worden sein, denn 24 Prozent der Welternte sind gentechnisch veränderter Mais. Und die Ausbreitung von Gen-Pflanzen setzt sich rund um den Globus fort: Nach Angaben des US-Genlobby-Verbands ISAAA wuchsen 2008 auf 125 Millionen Hektar Pflanzen, die in ihrem Erbgut verändert worden sind. An der Spitze der Anbauländer stehen die USA, wo sich die Hälfte der weltweiten Flächen mit Gentech-Pflanzen befindet. Wie schnell solche Pflanzen herkömmliche Sorten von den Feldern verdrängen können, zeigt das Beispiel Zuckerrüben: Die durch Gentechnik gegen Unkrautbekämpfungsmittel resistente Pflanze erreichte 2008, also schon im zweiten Jahr ihrer Anbauerlaubnis in den USA und Kanada, einen Marktanteil von 59 Prozent. Was bleibt, ist die Frage nach dem Risiko für Menschen, die Gentech-Lebensmittel verzehren.

Im November 2008 erschreckten zwei Fütterungsstudien aus Italien und Österreich die Öffentlichkeit: Veterinärmediziner der Uniklinik Wien hatten festgestellt, dass das Bt-Mais-Futter die Fruchtbarkeit der Mäuseweibchen beeinträchtigte, und die italienischen Kollegen beobachteten Veränderungen im Immunsystem der Nager. Doch die größeren Bedenken hegen kritische Wissenschaftler zur Umweltverträglichkeit des Monsanto-Maises. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Landwirtschaft hatte im April 2007 eine weitere Zulassung von MON 810 davon abhängig gemacht, dass Monsanto einen Plan zur Überwachung der Umwelt vorlegt. Nachdem dies im Dezember 2007 geschah, durfte der US-Konzern seine Gentech-Saat für das Jahr 2008 wieder verkaufen. Ein Greenpeace-Bericht kritisiert den Monsanto-Plan. Es seien nur bestehende Umweltüberwachungsprogramme beschrieben worden; die Methodik, mit der die Daten ausgewertet werden, sei wissenschaftlich nicht fundiert; zudem würden Schwerpunkte der Überwachung falsch gesetzt.

Das Beobachtungsprogramm war neben den Unsicherheiten zu den Umweltfolgen ein Auslöser für das Nein aus Berlin. Allerdings machte Ministerin Aigner auch klar, dass das Anbauverbot von MON 810 kein genereller Ausstieg aus der Gentechnik in der Landwirtschaft sei. Dies sieht auch Bio-Gärtner Thomas Sannmann so, Sprecher der Hamburger "Initiative gentechnikfreie Metropolregion Hamburg": "Wir gehen davon aus, dass Monsanto und andere Konzerne weiterhin versuchen werden, gentechnisch veränderte Maissorten und Pflanzen auf den Markt zu bringen. Wir lassen uns von multinationalen Konzernen nicht vorschreiben, was wir auf unseren Hamburger Äckern anbauen und wie wir unsere Heimat gestalten sollen. Deshalb werden wir weiterhin aktiv sein in unserem Widerstand gegen gentechnisch veränderte Organismen." Weil er dem politisch verordneten Frieden nicht traut, will er ungeachtet des gestrigen Verbots zusammen mit Mitstreitern aus der Umweltszene im April und Mai in der Region Hamburg Bantam-Mais pflanzen - dort, wo der Zuckermais wächst, gelten Mindestabstände für Gentech-Pflanzen. Im vergangenen Jahr machten mehr als 30 000 Hobby-Maisbauern mit, pflanzten an ebenso vielen Standorten Bantam gegen Gentechnik und pochten auf ihr Informationsrecht als Maisanbauer. Die Feldbefreier haben vorerst Ruhe. Denn solange das Verbot besteht, darf der Bt-Mais nicht ausgesät werden, und so werden dieses Jahr wohl keine transgenen Maispflanzen auf deutschen Äckern wachsen, die in nächtlichen Attacken zerstört werden können.