Die aktuelle Tageszeitung der Zukunft wird automatisch per Funk auf ein hauchdünnes, elektronisches Lesegerät übertragen.

Hamburg. Wie wird die Jubiläumsausgabe des Hamburger Abendblattes im Oktober 2048 vor Ihnen liegen? Wird es 100 Jahre nach der acht Seiten dünnen, kaum bebilderten und in schlichtem Schwarz-Weiß gehaltenen Erstausgabe des Abendblattes nur noch einen lichtschnellen Strom von Bits und Bytes geben? Vielleicht halten Sie ein wenige Millimeter dickes elektronisches Papier in den Händen. Ein Farbdisplay mit integriertem Mini-Computer, das sich beim Abo per Funkübertragung sowohl zu Hause als auch an der nächsten U-Bahn-Station oder an der Bushaltestelle mit der neuesten Ausgabe automatisch auflädt.

Die Zeitung hat dann nur noch eine Seite, aber enthält Tausende unterschiedliche Seiten. Umgeblättert wird rein virtuell mit dem Druck auf einen kleinen Sensor am Rand der Seite oder mit einem leichten Streichen über den hauchdünnen Bildschirm. Wenn es aktuelle Nachrichten gibt, wird die Zeitung sogar während der U-Bahnfahrt zur Arbeit aktualisiert.

Alles Science-Fiction? Nichts als Hightech-Zukunftsträume? Keineswegs. Wahrscheinlich wird man auch im Jahre 2048 noch die gute alte Papierzeitung am Kiosk kaufen oder aus dem Briefkasten ziehen können. Man wird die großen Seiten der gedruckten Zeitung umblättern können, etwas Druckerschwärze wird an den Fingern haften bleiben, und das Lesen der Zeitung wird immer noch raschelndes Erlebnis sein können. - wenn man es klassisch haben will.

Die moderne Zeitung aber könnte aus elektronischem Papier bestehen. Ein lautloses und nicht abfärbendes Leseerlebnis. Seit Jahren wird in Forschungslabors an diesem elektronischen Papier der Zukunft gearbeitet.

"Es wird so aussehen wie gewöhnliches Papier und sich auch so anfühlen", prophezeite der Gründer des renommierten Media Lab des Massachusetts Institute of Technology in Boston (MIT) und Medienexperte Nicholas Negroponte bereits vor mehr als zehn Jahren.

Ganz so weit ist die Wirklichkeit noch nicht, aber sie nähert sich der Vision Negropontes: Vor ein paar Wochen wurde in Dresden eine Fabrik für elektronisches Papier eröffnet. Das Produkt ist noch nicht ganz so dünn und so groß wie Zeitungspapier, aber immerhin so dick und so groß wie ein Schreibblock und dabei kaum 500 Gramm schwer.

Das britische Unternehmen Plastic Logic fertigt in Dresden biegsame Kunststoffdisplays, die die Vorteile von Computerbildschirm und Papier vereinigen. Dadurch, dass das elektronische Papier anders als ein Computermonitor nicht leuchtet, soll der Stromverbrauch niedrig und die Lesbarkeit auch im Sonnenlicht sehr gut sein. Die handlichen Displays, die 2009 auf den Markt kommen, sollen Medien wie Zeitungen, elektronische Bücher und Magazine, aber auch Computer-Dokumente anzeigen. Daten werden über Kabel oder Bluetooth übertragen. In künftigen Versionen ist auch eine WLAN-Verbindung vorgesehen.

Auch als Schulbuch ist das elektronische Papier denkbar. "Es spart Papier, Druckfarben und Kosten für den Transport. Es gibt viele Möglichkeiten", so Richard Archuleta, Firmenchef von Plastic Logic. Das Display misst 216 mal 279 Millimeter - etwa DIN-A4-Größe - mit einer Bildschirmdiagonale von 10,7 Zoll (27 Zentimeter). Mehr als eine Million Displays sollen jährlich aus Dresden kommen.

Die Zukunft wird greifbar.

Ähnlich weit in der Entwicklung ist der Hersteller LG-Philips. Hier haben die Ingenieure ein farbiges elektronisches Papier entwickelt, das sich biegen lässt und anschließend wieder die ursprüngliche Form annimmt. Das Papier ist ebenfalls etwa so groß wie ein A4-Blatt. Das aktuelle E-Paper soll nur 0,3 mm dick sein und 4096 Farben differenzieren können. Anders als beim E-Paper aus Dresden steht bei LG-Philips allerdings noch nicht fest, wann das farbige elektronische Papier auf den Markt kommen soll.

Aktuell testet auch die Deutsche Telekom gemeinsam mit dem Bonner "General-Anzeiger" in einem Feldversuch eine Art elektronische Zeitung. Hierzu werden statt dünner elektronischer Folien normale iPhones von Apple benutzt. Für die kleinen Monitore der modernen Internethandys gibt es ohnehin bereits eine ganze Reihe von eigens angepassten Webseiten.

Bei der Frage nach der Zukunft der Zeitung kann es nicht nur darum gehen, ob "Worte auf tote Bäume" gequetscht werden, wie MIT-Forscher Nicholas Negroponte einmal meinte. Es geht vielmehr um ein grundsätzliches Konzept.

Seit der Erfindung des Radios ist die Zeitung in der Aktualität, der Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung zum Empfänger, prinzipiell unterlegen. Der Tod der Zeitung, ja überhaupt des gedruckten Buches, ist in all den Jahren mit jedem neuen elektronischen Medium aufs Neue verkündet worden.

Schließlich muss eine Nachricht bei einer gedruckten Tageszeitung vergleichsweise lange darauf warten, ehe sie veröffentlicht wird, und die gängige Zeitungsproduktion mit ihren riesigen Druckereien und Tausenden von Zustellern braucht trotz aller Technik, die in den vergangenen Jahren hinzugekommen ist, nach wie vor ihre Zeit. Vom Redaktionsschluss bis zur ausgetragenen Zeitung vergehen auch im Hightech-Zeitalter Stunden.

Die Zeitung der Zukunft hat mehrere Gesichter. Sie wird mit Druckerschwärze auf recyceltes Altpapier gepresst sein, digital durchs Netz strömen oder vielseitig auf einem elektronischen Papierbogen flimmern; sie wird uns zu Hause ausgedruckt oder uns, wo immer wir sind, übers Internet-Handy informieren.

Doch ganz gleich, in welcher Erscheinung sie uns gegenübertreten wird: Dahinter wird immer das gleiche Prinzip stehen. Ein Führer durch eine immer komplizierter werdende Welt. Ein kompetenter Filter, der uns die lebenswichtigen Inhalte aus dem Strudel der täglichen Nachrichten herausfiltert und neben den Schlagzeilen auch das W a r u m und das W o z u liefert.

Der Wettlauf um das elektronische Papier, um die Zeitung der Zukunft hat längst begonnen. Die Entwickler von elektronischem Papier liefern sich derzeit ein Rennen, das Trägermedium aus Plastik immer dünner zu machen, damit es irgendwann so dünn und flexibel wie herkömmliches Papier wird.

Daher beobachten auch viele Zeitungsverlage die Entwicklung des elektronischen Papiers mit Interesse. So zeigte sich Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, schon vor zwei Jahren in einem Essay davon überzeugt, dass das Zeitungspapier durch elektronisches Papier ersetzt wird: "Die Schlüsselfrage, die unsere Branche umtreibt, lautet: Wird die Zeitung, die gerade ihren 400. Geburtstag etwas misslaunig und depressiv feierte, ihren 500. Geburtstag noch erleben? Die Antwort lautet Ja und Nein. Als Trägermedium nein, als Kreativmedium ja. Als Informationsträger wird das Papier ersetzt werden. Durch elektronisches Papier. Als Funktion ist die Zeitung unersetzbar. Durch Journalismus."

Der 500. Geburtstag der Zeitung wird erst im Jahre 2105 begangen. Der allmähliche Wechsel vom bedruckten Altpapier zum neuen elektronischen Papier dürfte deutlich früher beginnen.