Wichtige Originale aus dem Hans-Schwarz-Archiv ergänzen jetzt die Dokumenten-Sammlung der KZ-Gedenkstätte.

Als Laienhistoriker war Hans Schwarz seinen etablierten Fachkollegen weit voraus. Der kämpferische Sozialdemokrat hatte Gewalt und Terror im Dritten Reich am eigenen Leibe zu spüren bekommen.

Er war von 1938 bis zur Überstellung nach Neuengamme Ende Oktober 1944 im KZ Dachau inhaftiert, wo er bereits Häftlingslagerschreiber gewesen und besonders vertraut mit den internen Verhältnissen war.

Sofort nach der Befreiung am 3. Mai 1945 begann Schwarz mit der Spurensicherung und wissenschaftlichen Dokumentation und organisierte einen Zusammenschluss von Mitgefangenen - den Kern für die spätere "Arbeitsgemeinschaft Neuengamme".

Der Verband kümmerte sich um soziale Fürsorge, die Klärung von Vermissten-Schicksalen, artikulierte politische Forderungen und unterstützte die britischen und westdeutschen Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung und Ahndung von SS-Verbrechen.

Hans Schwarz führte eine rege Korrespondenz, legte Karteien von ehemaligen Häftlingen und SS-Tätern an, erbat sich Erinnerungsberichte, recherchierte den Alltag und die Bürokratie des grausamen KZ-Systems und legte ein Kalendarium der Ereignisse im KZ Neuengamme an.

In 30 Jahren hatte Schwarz einen wertvollen Fakten-Schatz gesammelt. Er wäre späteren Historikern verloren gegangen, weil sich die Forschung damals noch nicht mit den KZ-Verbrechen beschäftigte.

Nach seinem Tod 1970 wurde das Hans-Schwarz-Archiv von seiner Lebensgefährtin Gertrud Meyer weitergeführt und danach der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) übergeben. Nach deren Umzug entschloss sich Direktor Axel Schildt Ende 2007, die Neuengamme betreffenden Originale - bisher der KZ-Gedenkstätte nur in Duplikaten verfügbar - dem Archiv zu übergeben. "Der Zugang zu den Quellen ist für wissenschaftliches Forschen unverzichtbar", erklärt der Historiker und Archivar Reimer Möller.

"Wir müssen sichten, prüfen, vergleichen und verifizieren können, um gesicherte Erkenntnisse gewinnen zu können." Noch ist die Fülle des Materials - wie die sieben, teilweise handschriftlichen Wortprotokolle der Curio-Haus-Prozesse 1945 - noch nicht ausgewertet und kommentiert.

Seit der Eröffnung des Dokumentenhauses 1981 wurde das Archiv der KZ-Gedenkstätte sukzessiv aufgebaut und bei der Neugestaltung des Geländes im Obergeschoss des Steinhauses 1 untergebracht. Sammlungsschwerpunkte sind das System der Konzentrationslager, das KZ Neuengamme und die 87 Außenlager, die frühen KZs Wittmoor und Fuhlsbüttel sowie Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Hamburg. Die Sammlung umfasst Schriftdokumente, Erinnerungsberichte, ein Video- und Audio-Archiv, Fotos, Pläne, Zeichnungen und Zeitungsausschnitte.

Kernstück des Gedenkstätten-Archivs ist die Datenbank über ehemalige Häftlinge, die seit 25 Jahren bearbeitet und ständig erweitert wird. "Bisher konnten 44 000 Häftlinge namentlich erfasst werden, aber es waren etwa 100 000", erläutert Möller. "Bei Nachfragen von Angehörigen ehemaliger Häftlinge - sie kommen aus ganz Europa - beträgt die Treffer-Wahrscheinlichkeit etwa 50 Prozent."

Da die SS bei der Lagerräumung im April 1945 ihre Karteien verbrennen hat lassen, war man auf Friedhofslisten, auf die von Häftlingen in Sicherheit gebrachten Toten- und Laborbücher angewiesen. Informationen lieferten ebenfalls in Dänemark, Frankreich und den Niederlanden erschienene Publikationen, wie "Die Hölle hat viele Namen".

Es wird nicht nur versucht, die Opfer der Namenlosigkeit zu entziehen. Seit 2001 bemühen sich der Archivar und vier studentische Hilfskräfte auch die Tätergruppe zu erfassen.

Bisher befinden sich 1000 SS-Leute in der Datenbank, insgesamt waren es in Neuengamme und den Außenlagern 2600 gewesen. Ebenfalls erfasst werden Insassen des Internierungslagers "Civil Internment Camp No. 6" unter britischer Besatzungsmacht. Von 7000 Inhaftierten konnten 3800 eruiert werden. "Entscheidende Hilfsquelle sind zwei dicke Kladden Kontobücher", berichtet Möller. "Alle Internierten mussten ihr Portemonnaie abgeben und erhielten es bei der Entlassung zurück." Eine Besonderheit im Archiv sind die Erinnerungsberichte. Etwa 2000 Gespräche wurden filmisch aufgezeichnet, transkribiert und aus 15 Sprachen übersetzt.

Subjektiv erlebte Geschichte hilft, die einzelnen "Steinchen" zu Mosaikbildern zu fügen, die wissenschaftlich objektiv die Verbrechen der Nationalsozialisten für die Nachwelt belegen. Um das Grauen nie zu vergessen.


Neue Originale im Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Jean-Dolidier-Weg 75, werktags von 9-17 Uhr nach Anmeldung: Tel. 42 81 31-537