Museumswelt:

Warum zeigen Sie nach der Landschaftsmalerei der Hudson River School als zweite Ausstellung im Rahmen Ihrer Amerika-Trilogie ausgerechnet die Porträts des späten 19. Jahrhunderts?

Ortrud Westheider:

Da wir amerikanische Kunstgeschichte von 1800 bis 1950 in einem großen Zusammenhang zeigen wollen, zeichnen sich nach unserem Verständnis drei große Komplexe ab: die Landschaften vor dem Bürgerkrieg, im "Gilded Age" die Porträtkunst und schließlich im frühen 20. Jahrhundert die Beschäftigung mit Land und Stadt.



Museumswelt:

Welche Rolle spielte das Porträt in der amerikanischen Gründerzeit in der Öffentlichkeit?

Westheider:

Porträtiert zu werden galt als schick. Dabei spielte die sich entwickelnde Society-Presse eine Rolle, in der die großen Bälle genauestens beschrieben wurden - von der Gästeliste über die Robe bis zur Speisefolge. Und hier hatte auch das Porträt eine wichtige Rolle.



Museumswelt:

Waren es geschönte Porträts?

Westheider:

Natürlich, denn es sind ja auch Auftragsarbeiten. Dennoch gelingt es den Künstlern in vielen Fällen, kritische Distanz einzunehmen. Oft dringen sie tief in die Psychologie ihres Gegenübers ein. Es gibt zum Beispiel ein Bild von Singer Sargent, auf dem er eine Dame der Gesellschaft in einem auffälligen roten Kleid porträtiert, das sie nie getragen hat, was ihren Ehemann sehr empörte.



Museumswelt:

Gleichwohl mussten diese kritischen Kommentare so dezent bleiben, dass der Auftraggeber am Ende doch zufriedengestellt war.

Westheider:

Es gab auch Porträts, die von Auftraggebern zurückgewiesen wurden, und erst aus dem Künstlernachlass in Museumssammlungen gekommen sind.



Museumswelt:

Was ist das typisch Amerikanische an den Gilded Age-Porträts?

Westheider:

Charakteristisch ist ein starkes Interesse am Individuum. Die Künstler arbeiteten sich an verschiedenen Stilen ab, vom Impressionismus bis zu regionalen Stilen, die Maler von ihrer Ausbildung zum Beispiel aus Antwerpen oder München mitbrachten. Wichtig war die Darstellung der reich bestickten Roben, des festlichen Ambientes und der ganzen Prachtentfaltung. Die Gesichter sind sehr scharf beobachtet und genau dargestellt. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Bilder schon sehr nahe herankommen an die Individuen.



Museumswelt:

Welche Motivation hatten die Auftraggeber?

Westheider:

Es ging ihnen darum, ihren sozialen Rang darzustellen, zumal die Bilder auch auf Ausstellungen zu sehen waren. Es gab 1894 zum Beispiel eine Ausstellung über Damenbildnisse von den Alten Meistern bis zur damaligen Gegenwart. Und da war es natürlich ehrenvoll, wenn die eigenen Töchter oder die eigene Ehrfrau mit einem Bild vertreten war. Das war dann schon so eine Art Schönheitsgalerie der New Yorker Prominenz.



Museumswelt:

War die Porträtmaler-Szene damals ein reines New Yorker- oder Ostküsten-Phänomen?

Westheider:

Es war ein Ostküsten-Phänomen und erstreckte sich vor allem auf New York, Boston und Philadelphia.



Museumswelt:

Wie kam es dazu, dass so viele Malerinnen erfolgreich waren?

Westheider:

Man traute ihnen ein höheres Einfühlungsvermögen zu. Viele gehörten der Upper Class an, absolvierten aber professionelle Ausbildungen. Cecilia Beaux war zum Beispiel als Gesellschaftsporträtistin ebenso anerkannt wie John Singer Sargent, wobei sie vor allem Frauen und Kinder malte. Das war ein Fach, in dem sich richtig viel Geld verdienen ließ.



Museumswelt:

Wie stand es um die kunstgeschichtliche Wertschätzung dieser Porträts?

Westheider:

Alle Künstler, die wir in der Ausstellung zeigen, haben damals auch in Europa ausgestellt, u. a. in Berlin und München. Das heißt: Ihre Kunst war bekannt, so bekannt, dass sogar auch ein Kunsthallen-Direktor wie Gustav Pauli die Stärke der amerikanischen Porträts hervorgehoben hat. Das wird erst nach dem Ersten Weltkrieg anders. Von dem Moment an, in dem sich auch in Amerika Avantgarde-Bewegungen zu entwickeln beginnen, erlischt auch das Interesse. Aber dann ist das Gilded Age eben auch vorbei.