In den großen Städten der Ostküste der USA suchte die Elite des “Gilded Age“ nach Repräsentation durch Kunst. Dabei wurde das Porträt zum wichtigen Medium.

Die Wunden, die der amerikanische Bürgerkrieg geschlagen hatte, waren erstaunlich schnell vernarbt. Nach dem Sieg des Nordens über die konföderierten Truppen im Juni 1865 überwand das nunmehr geeinte Land die bis dahin bestehende enorme wirtschaftliche Kluft zwischen dem industrialisierten Norden und dem von Sklaverei und Plantagenwirtschaft geprägten Süden und erlebte schon bald einen beispiellosen Aufstieg. Die Städte an der Ostküste - allen voran natürlich New York - wurden zu Metropolen, immer mehr und immer größere Fabriken entstanden, Eisenbahnen wurden gebaut, der Westen erschlossen. Rohstoffe und Energie lieferten Ölfelder und Kohleminen. Binnen weniger Jahrzehnte hatten sich die USA von einem noch überwiegend agrarischen Land zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht entwickelt: Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert produzierten die USA bereits mehr Industriegüter als Großbritannien, Frankreich und Deutschland zusammen.

Und das hatte für die Gesellschaft der Vereinigten Staaten enorme Konsequenzen: Während sich auf der einen Seite ein riesiges Industrieproletariat herausbildete, schafften zahlreiche Unternehmer einen bis dahin beispiellosen sozialen Aufstieg. Innerhalb von nur einer Generation wurden Vermögen angehäuft, die alle bis dahin geltenden Maßstäbe sprengten. Menschen, die oft noch persönlich Entbehrungen und Armut kennengelernt hatten, verfügten nun über geradezu märchenhaften Reichtum.

"The Gilded Age: A Tale of Today" nannten Mark Twain und Charles Dudley Warner 1873 einen satirischen Roman und lieferten damit den Namen für die amerikanische Gründerzeit, die seither "Gilded Age" (vergoldetes Zeitalter) genannt wird. "High Society: Amerikanische Portraits des Gilded Age" heißt die neue Schau im Bucerius Kunst Forum, mit der die Ausstellungshalle der "ZEIT"-Stiftung ihren Amerika-Zyklus fortsetzt. Nach der romantischen Landschaftsmalerei der Hudson-River-School, die die sich entwickelnde amerikanische Kunstszene bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmt hatte und die 2007 den Auftakt der Ausstellungsreihe bildete, geht es nun um die Porträts des ausgehenden Jahrhunderts.

Warum ausgerechnet die Porträtkunst in dieser Zeit eine so große Bedeutung erlangte, liegt auf der Hand: Die durch das amerikanische Wirtschaftswunder zu Reichtum und Einfluss gelangte neue Elite musste sich gesellschaftlich etablieren, was zwangsläufig auch das Bedürfnis nach Repräsentation mit einschloss, nicht nur durch aufwendige Bälle, Empfänge, luxuriöse Reisen und prächtige Landhäuser, sondern auch durch künstlerische Darstellung. Die neuen Reichen, die wirtschaftlich das ganz große Rad drehten, waren aber eben nicht nur reich, sondern auch "neu". Anders als die Angehörigen der früheren Elite, die ihre Stammbäume oft noch auf die Gründerväter der "Mayflower" zurückführen konnten, mussten sie ihre Traditionslosigkeit mit einer Repräsentationskultur kompensieren, die in ihren äußeren Formen den Adelsdynastien Europas entlehnt war. Die Vanderbilts, die Astors, die Rockefellers oder Carnegies ließen sich in Manhattan prächtige Villen errichten, die ganz bewusst an römische Palazzi oder Loire-Schlösser erinnerten. Aber auch im Inneren dieser enorm repräsentativen Häuser brachten die Angehörigen des neuen amerikanischen Geldadels selbstbewusst zum Ausdruck, dass sie sich in der direkten Nachfolge der großen europäischen Herrscher- oder Handelsdynastien sahen. Sie kauften nicht nur Alte Meister, sondern beauftragten auch europäische und bald auch amerikanische Maler, die sie im Stil europäischer Herrscherporträts darstellen sollten: So entstanden ganze Porträtgalerien, die der Selbstdarstellung der mächtigen Familien dienten - und zwar auf einem künstlerisch bemerkenswert hohen Niveau. Europäische Maler wie Carolus-Durant und Giovanni Boldini bekamen zahlreiche Porträt-Aufträge, doch auch immer mehr amerikanische Künstler etablierten sich. Dass es da zu einer Konkurrenz kam, lag auf der Hand. Bemerkenswert ist die hohe Zahl an Künstlerinnen, die, wie zum Beispiel Cecilia Beaux oder Lydia Field Emmet, vor allem mit Bildnissen von Frauen und Kindern Erfolg hatten.

Eine Schlüsselfigur für den immer weiter wachsenden Markt war der Architekt Stanford White, der den neuen Reichen nicht nur prächtige Landhäuser und Stadtpalais baute, sondern ihnen oft auch die Maler für ihre Porträts vermittelte. Wer sich hier durchsetzen konnte, war nicht nur bald wohlhabend, sondern auch selbst prominent. Dieses Selbstbewusstsein der arrivierten Künstler kommt auch in der großen Zahl der damals entstandenen Selbstporträts zum Ausdruck. John Singer Sargent, James McNeill Whistler, Theobald Chartran und viele ihrer Kollegen gaben der High Society ihrer Zeit nicht nur ein Gesicht, sie fühlten sich ihr auch selbst zugehörig.

Die Hamburger Ausstellung, deren Konzept von Dr. Barbara Dayer Gallati vom Brooklyn Museum of Art erarbeitet wurde, macht jedoch deutlich, dass es sich bei dem Rückgriff auf europäische Formen und Traditionen keineswegs um eine europäische Orientierung handelt. Vielmehr werden Formen und Motive aus der Alten Welt für eine ganz eigene Repräsentationskultur genutzt, die dem Selbstbewusstsein der zu Reichtum und Macht gelangten neuen amerikanischen Elite künstlerischen Ausdruck verleiht. Die Menschen, die auf diesen Bildern porträtiert wurden, gehörten einer Elite an, die durch ihren Reichtum vom größten Teil der Bevölkerung isoliert war: Diese Neureichen reisten mit privaten Eisenbahnwaggons durchs Land, besaßen private Yachten und Golfklubs, schickten ihre Kinder auf teure Privatschulen und ließen ihr Leben von Heerscharen dienstbarer Geister organisieren. Doch ihr Reichtum sollte nicht verborgen bleiben, sondern vielmehr ganz bewusst zur Schau gestellt werden. Wer dazugehörte, wollte das auch zum Ausdruck bringen. Dabei spielten die Zeitungen und Zeitschriften mit ihrer ausführlichen Society-Berichterstattung ein große Rolle, ebenso wichtig war aber auch das Porträt.

In der Ausstellung sind etwa 45 Gemälde und 20 Bildnisminiaturen zu sehen, die hohen künstlerischen Standard haben und andererseits zeigen, dass es damals keineswegs eine "amerikanische Schule" gab, auch wenn dieser Begriff von zeitgenössischen Kritikern verwendet wurde. Charakteristisch ist vielmehr große stilistische Vielfalt, die sich auch dadurch erklärt, dass es in den USA zunächst an angemessenen Ausbildungsmöglichkeiten fehlte. So sind viele amerikanische Maler in europäischen Städten wie Paris, München oder Antwerpen ausgebildet oder von den wichtigen europäischen Kunstströmungen wie dem Impressionismus beeinflusst worden. Im Katalog schreibt Barbara Dayer Gallati: "Da sich viele Kunden in ihrem Geschmack bestätigt fanden, wenn sie europäische Künstler beauftragten, war die beste Lösung, ein Portrait bei einem Amerikaner in Auftrag zu geben, der in Europa studiert hatte. Diese Alternative besänftigte auch das schlechte Gewissen gegenüber der eigenen, amerikanischen Kultur."


High Society: Amerikanische Portraits des Gilded Age Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, 7.6.-31.8., tgl. 11-19, Do bis 21 Uhr, Katalog 24,80 Euro.

Am 20. Juli 11-19 Uhr HSH Nordbank-Tag: vielfältiges Veranstaltungsprogramm, Eintritt frei.