Teil 6: Viele kleine Schritte sind notwendig, bis sich der neue Bewohner eingelebt hat. Häufig sind es alleinstehende Männer, die nach dem Tod der Ehefrau einsam sind und auch ohne Pflegestufe in ein Seniorendomizil ziehen

Berührungsängste vor einem Altenheim hatte Horst Benad nicht. Schließlich besuchte er regelmäßig einen guten Freund, der im Alsterdomizil in Hamburg-Wellingsbüttel lebt. Dieser emeritierte Pastor meinte: „Überleg doch mal, ob du hier nicht auch rechtzeitig einziehst.“ Doch dazu hatte Horst Benad überhaupt keine Lust. „Das ist noch lange hin, bis ich ins Heim ziehe!“ Der promovierte Jurist und Verleger war noch immer berufstätig, stattete als EDV-Berater Druckereien mit Kalkulationsprogrammen aus. Doch leider ergab sich innerhalb weniger Monate eine vollkommen veränderte gesundheitliche Lage. Der 83-Jährige hatte einen Zusammenbruch.

„Ich kam vom Einkaufen und mir wurde plötzlich schwindelig. Ich hatte meinen Nachbarn noch gebeten, mir einen Stuhl vors Haus zu bringen, damit ich mich setzen konnte. Und der hat dann einen Krankenwagen gerufen“, sagt Benad. Es folgten mehrere Wochen im Krankenhaus und in der Reha. Etwas verwirrt und ziemlich wackelig auf den Beinen wurde der Patient schließlich entlassen. Ein Leben allein in seinem geliebten Reihenhaus in Hamburg-Volksdorf war ausgeschlossen. Von 100 auf null und noch einmal ganz von vorn anfangen: So geht es vielen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen plötzlich aus ihrem gewohnten Alltag gerissen werden. Danach ist nichts mehr so wie früher. Das musste auch Horst Benad einsehen. Im März entschied er sich schweren Herzens, ins Alsterdomizil einzuziehen.

Die Gründe für einen Umzug ins Altenheim sind unterschiedlich. Es kommt vor, dass sich zum Beispiel Krebspatienten selbstbestimmt für einen Umzug ins Heim entscheiden, weil sie spüren, dass das Umfeld mit der gesundheitlichen Entwicklung nicht fertigwird. Schwer kranke Menschen möchten in einem Haus leben, in dem das Personal mit ihnen auch bis zum Lebensende professionell und liebevoll umgeht. Krankheit muss man aushalten – die Betroffenen genauso wie die Angehörigen und das Pflegepersonal. Immer mehr Bewohner leiden an Demenz. Zu Hause waren alle Beteiligten – Ehepartner, Kinder und auch professionelle Pflegekräfte – bereits an ihre Grenzen gestoßen. Nicht zuletzt sind es alleinstehende Männer, die sich nach dem Tod der Ehefrau in tiefer Trauer befinden, unter Einsamkeit leiden, mit der Haushaltsführung nicht zurechtkommen und deshalb – auch ohne Pflegestufe – in ein Heim ziehen.

Einleben dauert bis zu einem halben Jahr

Patienten, die direkt vom Krankenhaus oder nach einer Reha-Maßnahme in eine stationäre Pflegeeinrichtung ziehen, sind oft vollkommen durch-einander, körperlich geschwächt und seelisch angeschlagen. Die neuen Bewohner haben noch nicht ganz verstanden, wie ihre gesundheitliche Lage jetzt aussieht, und müssen erst einmal zu sich kommen. Trotz großer Anstrengungen bei der Therapie – bei der Krankengymnastik genauso wie beim Logopäden – geht es nicht wieder nach Hause. Das muss ein alter Mensch erst einmal verstehen. Hoffnungslosigkeit, Ängste und depressive Verstimmungen sind am Anfang häufige Begleiterscheinungen.

Ganz vorsichtig versuchen die Mitarbeiter, einen neuen Bewohner aus seinem seelischen Tief herauszuholen. Das führt mit Verständnis und liebevoller Zuwendung auch zum Erfolg. Ein großer Fortschritt ist es bereits, wenn ein Neuankömmling sein Zimmer verlassen mag, um in seiner Wohngruppe auf der Etage die Mahlzeiten einzunehmen. Manchmal sind es Haustiere, die einen therapeutischen Effekt haben. Die Menschen sind ganz beseelt und glücklich, wenn sie den Besuchshund streicheln können oder das Kaninchen auf dem Schoß haben. Es sind viele kleine Schritte, die getan werden müssen, bis man sich eingelebt hat.

Kurzzeitpflege ist eine Möglichkeit

Im Altenheim gibt es zahlreiche Angebote. Die Gemeinschaftsräume auf den Etagen haben eine Küchenzeile, denn die Bewohner leben in Wohngruppen zusammen und können sich selbst etwas kochen oder backen. Das Foyer ist die Visitenkarte eines Heims. Hier sitzen viele Bewohner gern, warten auf ihren Besuch, schauen, wer kommt und geht. Um beweglich zu bleiben, wird – neben den klassischen Gymnastikkursen – kneippsches Wassertreten mit anschließender Fußreflexzonenmassage angeboten. Singen und Gedächtnistraining regen die grauen Zellen an, und die tägliche Zeitungsrunde lässt Altenheimbewohner am Leben in der Hansestadt teilhaben. In einigen Häusern gehört eine Abendrunde zu den Highlights. Die Therapeuten lesen vor, diskutieren mit Bewohnern und stellen Rätselaufgaben. Ausflüge mit dem hauseigenen Bus in die nähere Umgebung, Spaziergänge im Park oder ein Besuch im Einkaufszentrum sind sehr beliebt. Besonderen Idealismus zeigen die Häuser, die ein- bis zweimal im Jahr einen Bewohnerurlaub anbieten. Fünf Tage an der Ostsee oder an der Mecklenburgischen Seenplatte werden zu unvergesslichen Erlebnissen. Und so schwer für manchen die persönliche Situation sein mag – die besinnliche Adventszeit mit frisch gebackenen Keksen und die Weihnachtsfeier sind ein schönes Gemeinschaftserlebnis.

Monatlich bis zu 1000 Euro

Die Kosten im Altenheim richten sich nach dem individuellen Pflegeaufwand. Es gibt die Pflegestufen 0, 1, 2 und 3. Die Pflegekassen legen aufgrund eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) die Pflegestufe fest. Wer die Pflegestufe 0 hat, muss alle Kosten im Heim selbst übernehmen. In den anderen Pflegestufen gibt es gestaffelte Zuschüsse. Die Preisunterschiede zwischen den Altenheimen können monatlich bis zu 1000 Euro betragen.

Zu den Grundpreisen sind in einigen Einrichtungen weitere Zuschläge zu bezahlen: für ein Einzelzimmer, ein größeres Appartement oder im Dementen-Wohnbereich. Ein Altenheim ist an diesen nach der Pflegebedürftigkeit gestaffelten Preisen zu erkennen. Preisbeispiel (ab 2015): Bei der Pflegestufe 1 beträgt das Heimentgelt 2463,41 Euro, die Pflegekasse übernimmt 1064 Euro, somit muss der Bewohner 1399,41 Euro selbst zahlen.

Reichen das eigene Vermögen und das laufende Einkommen nicht aus, übernimmt zunächst das Sozialamt die Differenz. Dann bleibt dem Bewohner nur ein monatliches Taschengeld in Höhe von 107,73 Euro (ab 2015). Hiervon müssen Zuzahlungen für Medikamente und Hilfsmittel, die Rechnung beim Friseur und Toilettenartikel bezahlt werden. Das Sozialamt prüft jedoch, ob sich die Kinder des Pflegebedürftigen an den Kosten für das Altenheim beteiligen müssen. Unterhaltspflichtig sind ausschließlich Familienangehörige ersten Grades: Dazu gehören Kinder, nicht aber Enkel oder Geschwister.

Horst Benad lebt seit acht Monaten im Seniorenheim in einem eigenen Appartement mit Balkon, WC und barrierefreier Dusche. Im Wohnraum stehen Pflegebett, Nachttisch, Fernseher, sein Lieblingssessel und ein Bücherbord. Auf dem Tisch liegt ein Laptop. Benad hat sich gut erholt. „Ich war lange Zeit sehr unzufrieden, weil ich zurück in mein Reihenhaus wollte. Die Mitarbeiter geben sich aber viel Mühe, es fehlt mir an nichts. Ich musste erst begreifen, dass ich nicht mehr allein klar gekommen wäre, und – schwups – von einem auf den anderen Tag habe ich mich hier plötzlich zu Hause gefühlt.“

Fast jeden Tag trifft sich Benad nach dem Frühstück mit seinem Freund, dem ehemaligen Pastor, und seine langjährige Bridge-Freundin kommt regelmäßig. Außerdem kümmert sich die Familie – zwei Töchter, ein Sohn und vier Enkel – um den Vater und Großvater. Trotzdem: Ganz zufrieden ist Horst Benad noch nicht. Ihm fehlt eine Aufgabe ebenso wie die Kraft dafür, etwas Neues anzufangen. Doch der 83-Jährige ist auf einem guten Weg.