Teil 3: Die Pflege zu Hause braucht manchmal zusätzlich Kraft und Nerven in der Auseinandersetzung mit der Krankenkasse. Karin Hellmigk pflegt ihren Ehemann seit mehr als 20 Jahren mit großem Einsatz.

Etwa 64 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause gepflegt – von Angehörigen und ambulanten Pflegediensten. Die Vorstellung, bis zum eigenen Lebensende daheim leben zu können, gefällt den Menschen. Im konkreten Pflegefall kommt damit auf die Familie eine aufopferungsvolle Lebensaufgabe zu. Dabei müssen vor allem Ehefrauen oder Töchter darauf achten, sich nicht restlos zu überfordern, die eigenen Kräfte richtig einzuteilen und selbst gesund zu bleiben.

Als wir das Ehepaar Hellmigk besuchen, kann Gerhard Hellmigk nicht aufstehen. Ihm ist schwindelig. Er begrüßt uns mit den Worten: „Lassen Sie sich alles von meiner Frau erzählen. Sie ist meine Seele.“

Seit über 20 Jahren übernimmt Karin Hellmigk die Pflege ihres Ehemanns. Der ehemalige Chemiemeister fiel damals häufig in Ohnmacht und hatte erhebliche Gleichgewichtsstörungen. Zeitweise war er auf den Rollstuhl angewiesen. Mehrere Stürze und Knochenbrüche waren zu beklagen, ebenso eine starke Vergesslichkeit. Karin Hellmigk sorgte rund um die Uhr für ihren Mann, auch nachts. Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte standen auf der Tagesordnung. Erst viele Jahre später ist die Ursache für die neurologischen Probleme diagnostiziert worden: Epilepsie. Im Lauf der Jahrzehnte sind Herzrhythmusstörungen und Diabetes hinzugekommen. „Mein Mann ist inzwischen 86 Jahre alt. Er schläft viel und hat bereits den zweiten Herzschrittmacher“, erklärt Karin Hellmigk die gesundheitliche Entwicklung.

Die Krankheit ist eine große Herausforderung

Die Krankheit ist eine große Herausforderung für Karin Hellmigk, die selbstständig und stark geworden ist. „Wenn ich meinen Mann im Krankenhaus besuchen wollte, stand das Auto vor der Tür. Aber ich musste den Bus nehmen. Also hab ich den Führerschein gemacht – mit 52 Jahren.“ Leider zieht sich auch der Kampf gegen die Krankenkassen wie ein roter Faden durch die vergangenen Jahre. Der Antrag auf Leistungen von der Pflegekasse wurde im ersten Anlauf abgelehnt.

„Ich war so enttäuscht und traurig, weil der Gutachter überhaupt nicht verstanden hatte, wie viel Arbeit mit der Pflege meines Mannes verbunden ist“, erinnert sich die heute 74-Jährige. Unterstützung gab es jedoch vom Pflegeteam „to huus“, einem ambulanten Pflegedienst in Hamburg-Bramfeld. „Im Widerspruchsverfahren haben wir dreieinhalb Stunden Pflege für Gerhard Hellmigk und damit sogar die Pflegestufe 2 durchgesetzt“, freut sich der Pflegedienstchef Thomas Pfarr. Die Nachzahlung für ein halbes Jahr betrug 2520 Euro. Damit möchte er anderen Patienten Mut machen, nicht aufzugeben!

Karin Hellmigk hat Tränen vor Wut in den Augen, wenn sie an ihre Kur denkt. „Ich bin nicht mehr ganz gesund. Meine Batterien sind restlos aufgebraucht, deshalb muss ich dringend in einer Kur wieder zu Kräften kommen.“ Die 74-Jährige hat Arthrose in den Handgelenken sowie erhebliche Probleme mit dem Rücken und den Hüften. Doch die Krankenkasse hat den Antrag auf eine Reha zweimal abgelehnt. Begründung vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK): Wenn Sie sich weiter so für Ihren Mann aufopfern, bringt eine Kur gar nichts. Geben Sie Ihren Mann in ein Altenheim. Solange die familiäre Situation so bleibt, wird der Antrag auf eine Kur abgelehnt. „Ich ärgere mich darüber, dass mir von der Krankenkasse immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden!“

Unterstützung kam vom Sozialverband Deutschland. Im dritten Anlauf ist die Reha endlich bewilligt worden. Im Februar 2015 geht es für vier Wochen auf die Ostseeinsel Usedom. Gerhard Hellmigk wohnt in dieser Zeit in der Kurzzeitpflege im Altenheim. Das macht das Ehepaar immer so, wenn Karin Hellmigk Urlaub macht. „Aber ob ich meinen Mann in ein Altenheim abschiebe, entscheide ich immer noch selbst“, erklärt Ehefrau Karin kämpferisch, „das bringe ich zurzeit nicht übers Herz.“

Der Tagesablauf der Hellmigks kann etwa so beschrieben werden: Um 8 Uhr kommt der Pflegedienst und hilft Gerhard Hellmigk beim Aufstehen und Waschen, sodass er um 9 Uhr in seinem Rollstuhl im Wohnzimmer sitzt und es Kaffee und Frühstück gibt. Medikamente geben, Toilettengänge, Einkäufe erledigen, das Mittagessen kochen – das alles macht seine Frau selbst. Dazu gehört auch das körperlich anstrengende Umsetzen vom Rollstuhl ins Pflegebett. Unterstützung hat sie von der Familie: „Meine Enkeltochter hilft mir oft, und mein Sohn wohnt auch gleich nebenan. Die unterstützen mich, wo sie nur können.“

Die Pflegekasse zahlt nur einen Zuschuss

Ein Blick auf die Kosten bringt Klarheit, was bei einer Pflegebedürftigkeit daheim zu bezahlen ist. Die Pflegekasse zahlt nur einen Zuschuss, die monatliche Rechnung des Pflegedienstes kann durchaus höher ausfallen. Ein Zahlenbeispiel: Ein Pflegedienst kommt zweimal täglich und ist beim An- und Ausziehen sowie bei der Körperpflege behilflich. Die große Morgentoilette kostet 17,80 Euro, für die kleine Abendtoilette werden 8,90 Euro berechnet. Damit ergeben sich bei 60 Einsätzen pro Monat folgende Kosten: 801 Euro für die Pflege, plus 21,36 Euro für Wochenendzuschläge, 36 Euro für Investitionskosten sowie 160,20 Euro für 60 Anfahrten. Ergibt 1018,56 Euro.

In der Pflegestufe 1 übernimmt die Pflegekasse davon ab Januar 2015 bei einem nicht demenzkranken Versicherten 468 Euro, sodass ein Eigenanteil von 550,56 Euro zu zahlen ist. In vielen Fällen versuchen die Familien den Einsatz eines Pflegedienstes so weit einzuschränken, dass die Rechnung die Zuschusshöhe der Pflegekasse nicht übersteigt. Doch das geht dann nicht selten zulasten der pflegenden Angehörigen und des Patienten.

Über das Thema Einsamkeit berichtet Karin Hellmigk, dass es Menschen gegeben hat, die sich zurückgezogen haben. Aber das Ehepaar ist auch selbst im Lauf der Zeit in die Isolation geraten. „Einmal in der Woche gehe ich zum Yoga. Die Gruppe trifft sich einmal im Monat zum Kaffeetrinken oder im Restaurant. Da kann ich oft nicht mit, weil ich mich um meinen Mann kümmern muss.“

Die Hellmigks wissen, dass die Pflege sehr zulasten der Ehefrau geht. Manchmal glauben beide, dass sich ein Umzug ins Altenheim bald nicht mehr vermeiden lässt. Doch eine Idee gefällt Karin Hellmigk: Wie wäre es, wenn beide in eine Seniorenwohnanlage ziehen? Dort hätte ihr Mann einen Platz im Pflegeheim und sie eine kleine Seniorenwohnung mit Küche, Bad und Balkon. Dann könnte das Ehepaar weiterhin unter einem Dach leben. „Das ist eine tolle Idee“, sagt Karin Hellmigk voller Hoffnung.