ABENDBLATT: Welches sind die größten Errungenschaften des Europäischen Einigungsprozesses?

GEORG JARZEMBOWSKI: Mit der Europäischen Einigung haben wir nach einem Jahrhundert mit fürchterlichen Kriegen die Konflikte unter den europäischen Staaten und Völkern in friedlicher Weise aufgelöst und die Teilung Deutschlands und Europas überwinden können. Die Union hat uns Wohlstand und Beschäftigung bei einem hohen Niveau von Umwelt- und Verbraucherschutz gebracht. Durch die konstruktive Zusammenarbeit der EU-Staaten ist unsere innere und äußere Sicherheit deutlich gestärkt worden. Heute leben wir in einer Gemeinschaft, in der jeder Bürger frei wählen kann, in welcher Region er leben und arbeiten und wohin er reisen möchte.

CHRISTA RANDZIO-PLATH: Der europäische Traum vom ewigen Frieden war und bleibt der wichtigste Bestandteil der Visionen und Politiken der Europäischen Integrationsgeschichte. Heute ist die EU darüber hinaus ein funktionierender Binnenmarkt mit einer Währung, mit Wohlstands- und Beschäftigungsgewinnen, aber auch eine Werte- und Rechtsgemeinschaft, um die sie andere Weltregionen beneiden. Modernste Menschen- und Minderheitenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Gleichheit, Wettbewerb und Solidarität prägen den Einigungsprozess. Allerdings befindet sich Europa in einer aktuellen Entscheidungskrise, sodass Europa und seine regionale Gestaltungskraft nicht mehr als Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung empfunden werden. Gemeinsame Strategien helfen.

ABENDBLATT: Was haben Hamburg und seine Bürger davon?

JARZEMBOWSKI: Der Handel innerhalb der EU und mit Drittstaaten wie den USA, Japan und China hat gerade in der Hafen-, Handels- und Industriemetropole Hamburg zu einem enormen Wirtschaftswachstum geführt. Durch die Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Staaten ist Hamburg zu der bedeutendsten Handels- und Verkehrsdrehscheibe im Norden der Union geworden. Diese wirtschaftlichen Entwicklungen schaffen neue und sichern bestehende Arbeitsplätze für die Hamburger. Durch die Europäischen Austauschprogramme können Schüler, Auszubildende, Studenten und Wissenschaftler die kulturelle Vielfalt Europas persönlich erleben.

RANDZIO-PLATH: Europäische Industrieprojekte und innovative Entwicklungen haben in Hamburg mit Airbus, DESY und den vielen Anstrengungen der Hochschulen und Unternehmen einen guten Standort für Handel, Wirtschaft und Beschäftigung gehabt. Hamburg war und bleibt Europas Tor zur Welt. Europas Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Stadt und ihrer Menschen hat sich an der Förderung von Regionalentwicklung zum Beispiel in St. Pauli, und bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Unterstützung von Existenzgründungen gezeigt. Ohne die EU hätte es kein Hamburger Gleichstellungsgesetz gegeben.

ABENDBLATT: Was wünschen Sie Europa für die Zukunft?

JARZEMBOWSKI: Die EU soll mit Zuversicht und großer Geschlossenheit an die neuen Aufgaben herangehen. Die Union möge insbesondere die Herausforderungen des Klimawandels konstruktiv annehmen und die Handlungsfähigkeit der stetig wachsenden Union durch die Einigung auf einen bürgernahen und transparenten Verfassungsvertrag wirksam verbessern.

RANDZIO-PLATH: Mehr und menschenwürdige Arbeitsplätze, die ein Auskommen mit dem Einkommen gewährleisten, werden für den sozialen Frieden Europas gebraucht. Mehr Bürgernähe und Bürgerbeteiligung wären wünschenswert. Dazu muss es eine klare und einsichtige Arbeitsteilung zwischen der europäischen und nationalen Ebene geben. Klimapolitik kann ein einzelner Staat nicht mehr gestalten, aber sehr wohl bei der Sicherheit der Menschen.