Kommentar

Die Substanz Europas auf knapp drei Seiten - das ist die Berliner Erklärung. Zwei Tage früher als geplant ist der deutsche Text am Freitag öffentlich geworden, und in der Bundeshauptstadt hält sich die Empörung darüber in Grenzen. Wenn 27 Regierungen sich in 27 Hauptstädten gleichzeitig mit einem Dokument beschäftigen, dann sind Indiskretionen aus innenpolitischen Gründen wohl unvermeidlich. Und trotzdem schade für die Kanzlerin, dass ihr als derzeitiger EU-Ratspräsidentin der Überraschungseffekt für den Sonntag damit verwehrt bleibt.

Kurz, knapp und klar ist der Text - für europäische Verhältnisse erstaunlich. Auffallend oft kommt das Wort "wir" vor, getreu dem Motto der deutschen Ratspräsidentschaft, dass Europa nur gemeinsam gelingt. "Wir" sind deshalb nicht nur die Staaten, sondern vor allem deren Bürger. Europa will nicht mehr als Projekt für die Eliten gelten, sondern für die Menschen da sein.

Europa ist auch immer die Summe aller Kompromisse. Deshalb sucht man das Wort Verfassung im Text vergebens. Die Briten hätten die Erklärung sonst nicht akzeptiert, müssen im Gegenzug aber damit leben, dass der Euro gewürdigt wird. Und auch von Erweiterung wird nicht explizit gesprochen, weil es da unter den 27 Ländern verschiedene Vorstellungen gibt.

Politisch verpflichtend und vorausschauend werden die schönen Worte am Ende des Textes, wo bis 2009 ein neues Regelwerk für die EU gefordert wird. Da denkt die Kanzlerin psychologisch: Denn wer von ihren Kollegen am 25. März in Berlin mehr europäische Gemeinsamkeit beklatscht, wird sich am 21./22. Juni in Brüssel nicht dem Auftakt zu einer Vertragsreform verweigern können, die die EU effizienter, transparenter und bürgernäher machen soll.