Kommissionspräsident José Manuel Barroso schreibt im Abendblatt: “Unsere wichtigste Aufgabe ist der Dienst am Bürger.“

Vor 50 Jahren begann ein neues Kapitel der europäischen Geschichte. Zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge können wir auf Errungenschaften zurückblicken, die in der Geschichte ohne Beispiel sind. Wir sehen uns aber auch neuen Herausforderungen gegenüber. Europa hat in den vergangenen 50 Jahren dazu beigetragen, die Dinge zum Guten zu wenden. Dieses Jubiläum ist der Moment, unser gemeinsames Aufbauwerk, das in Zeiten der Globalisierung wichtiger ist denn je, an die veränderten Gegebenheiten anzupassen.

Heute wie damals heißt die Lösung Europa. Ich könnte erklären, warum wir ein gemeinsames Vorgehen in der Energiepolitik oder beim Klimaschutz brauchen. Ich könnte ausführen, warum der Binnenmarkt für die Verknüpfung von Wirtschaftswachstum und sozialer Gerechtigkeit so wichtig ist. Ich könnte auch darauf verweisen, dass wir eine starke, funktionierende Europäische Union benötigen, um die Globalisierung nach europäischen Werten und Interessen zu gestalten.

Zur Feier dieses Jubiläums möchte ich jedoch an die Werte erinnern, die mehr als alles andere die Europäische Union und ihre Geschichte ausmachen: Freiheit und Solidarität. 50 Jahre lang war die EU die Quelle und der Motor für Freiheit und Solidarität. Lassen Sie mich das an zwei Schlüsselerlebnissen in meinem Leben verdeutlichen.

Das erste war die portugiesische Revolution. Ich war damals gerade erst 18 Jahre alt. Wie die meisten anderen jungen Menschen in Portugal hatte ich genug von der Diktatur, die meinem Land all das vorenthielt, was für andere Westeuropäer schon lange selbstverständlich war. Wir konnten nicht die Bücher lesen, die wir lesen wollten, oder schreiben, was wir schreiben wollten. Jede politische Tätigkeit wurde durch die Sicherheitsorgane überwacht. Wir lebten in einer rückschrittlichen geschlossenen Gesellschaft. Die Revolution hat all das verändert. Dank der Solidarität der westlichen Demokratien - gerade auch Deutschlands! - und der Aussicht auf Aufnahme in die europäische Familie obsiegte die Freiheit. Nicht nur in meinen Land - praktisch zeitgleich auch in Spanien und Griechenland.

Die zweite prägende Erfahrung war der politische Wandel in ganz Mittel- und Osteuropa in den 80er- und 90er-Jahren. Mit dem entschlossenen Eintreten für die Freiheit 1956 in Budapest und 1968 in Prag im Rücken, nahm er in Polen seinen Anfang und gipfelte im Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs 1989. Erneut war die Freiheit das Ziel und Europa die Quelle der Inspiration. Und auch hier erwies sich die Solidarität als überaus wichtig.

Eine der großen Errungenschaften der Europäischen Union ist das Entstehen eines echten europäischen Geistes, der Seite an Seite mit den nationalen, regionalen und lokalen Besonderheiten existiert. Die europäische Integration hat diese Besonderheiten nicht beseitigt, sie hat sie respektiert. Dank der Heranbildung einer gemeinsamen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Ordnung, deren Eckpfeiler die Römischen Verträge sind, erleben wir unsere Unterschiede als Quelle gegenseitiger Bereicherung.

Jahrhundertelang führten die europäischen Staaten Kriege gegeneinander. Jetzt leben wir in Frieden miteinander. Nicht in einem Frieden, der auf dem jederzeit gefährdeten Gleichgewicht der Kräfte oder des Schreckens beruht. Unser Frieden gründet sich auf Freiheit und Solidarität.

Europa ist tatsächlich ein in der Geschichte einmaliges Experiment. Wir, die heutigen Generationen, genießen das große Privileg, dass wir erleben, wovon unsere Vorväter einst nur träumen konnten. Aber wir dürfen dies nicht als selbstverständlich betrachten. Sondern wir müssen diese Errungenschaften sorgsam pflegen.

Wir müssen uns vom Geist der Erneuerung, der Freiheit und der Solidarität leiten lassen, wenn wir - die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, der Präsident des Europäischen Parlaments und ich als Präsident der Europäischen Kommission - am 25. März, auf den Tag genau 50 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge, in Berlin zusammenkommen. Unsere Berliner Erklärung ist kein Akt der Nostalgie, sondern ein Bekenntnis zu Europa. Wir wollen Europa als den Ort in der Welt bewahren und fördern, an dem es sich am besten leben lässt. Als offene Gesellschaft und offenen Wirtschaftsraum und als gemeinsames Projekt zur Förderung von wirtschaftlichem und sozialem Zusammenhalt.

Wir wollen ein Europa der Ergebnisse. Ein Europa, das Demokratie und Verantwortlichkeit in seinen Institutionen gewährleistet. Wir wollen für unsere Werte eintreten und unserer Verantwortung in der Welt gerecht werden. Und wir wollen sicherstellen, dass sich Europa auf seine eigentliche Aufgabe konzentriert: den Dienst am Bürger.