Hamburg. Was da am 25. März 1957 in Rom unterschrieben wurde, war den Briten nicht wirklich klar. Sie waren zwar zu den Vorgesprächen in Messina eingeladen gewesen, aber nicht lange geblieben. Dort hatten die Kontinentaleuropäer die Idee der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auf den Weg gebracht, die nun mit den Römischen Verträgen Wirklichkeit werden sollte.

Die Briten waren in Rom nicht dabei und es interessierte sie auch nicht sonderlich. In ihren Tageszeitungen dominierten Meldungen über die Wiedereröffnung des Suezkanals, Streiks der Docker und Metallarbeiter und ein Treffen ihres Premiers Harold Macmillan mit US-Präsident Eisenhower auf den Bermudas. Diese Schlagzeilen verdeutlichen recht gut, warum das Inselvolk nicht so einfach mitmachen konnte in Europa.

Dabei beginnt die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung mit einem Briten: Sir Winston Churchill. Er hatte in seiner berühmten Züricher Rede so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa gefordert. Gleichzeitig hatte er klargemacht, dass Großbritannien keineswegs Teil dieser Vereinigten Staaten sein könne und ihnen auch nicht näher stünde, als jenen Vereinigten Staaten von Amerika, schon gar nicht näher als dem eigenen Commonwealth of Nations. Doch das war 1946 und Rom war freilich noch weit.

Ein erstes Mal ernst wurde es dann, als Robert Schuman den Plan des bescheidenen Jean Monnet unter eigenem Namen präsentierte. Am 9. Mai 1950 schlug der französische Außenminister öffentlich vor, "die Gesamtheit der französisch-deutschen Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen steht."

Den Westdeutschen bot sich damit die Möglichkeit, sich friedlich in Europa zu engagieren; fünf Jahre, nachdem der von ihnen in die Welt getragene und gewaltsam zurückgekehrte Krieg vorbei war. Während der Rheinländer Konrad Adenauer hellauf begeistert war, äußerte sich der britische Außenminister Bevin zu den Einigungsbestrebungen auf dem Kontinent mit britischem Humor und griechischer Mythologie: "Wenn man die Büchse der Pandora erst einmal öffnet, weiß man nicht, welches Trojanische Pferd herausspringt."

Also blieb die Büchse zu. Dabei ist es nicht so, dass die seit dem Krieg regierende Labour Party nichts mit Europa im Sinn gehabt hätte. Wie Churchill befürworteten sie die Einigungsbestrebungen auf dem Kontinent, wie Churchill aber war auch ihnen die Teilnahme unmöglich. Großbritannien hatte, zunächst ganz auf sich gestellt, dann mithilfe der Amerikaner und vor allem der mächtigen Roten Armee, Hitler besiegt. Das britische Commonwealth umspannte den ganzen Erdball. Europa, das sah fast die gesamte politische Klasse so, war viel zu klein, zumal ja ein Teil hinter dem Eisernen Vorhang verschwunden war.

Die Briten traten nicht ein in den Gemeinsamen Markt, den die Römischen Verträge schufen. Doch langsam kamen Zweifel auf, als klar wurde, was diese Verträge wirklich bedeuteten. Die Sechs, also Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Italien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland, seien so erfolgreich, dass man an Einfluss in Europa und der Welt verlieren würde, bliebe man draußen, hieß es 1960 in einem geheimen Memorandum. Als man dann recht halbherzig um Beitritt bat, nun, ihn eher anbot, sagte Charles de Gaulles: "Bref, la nature, la structure, la conjoncture, qui sont propres l' Angleterre, diffèrent profondement de celles des Continentaux." - "Um es kurz zu sagen: Die Natur, die Struktur und die wirtschaftliche Entwicklung Englands unterscheiden sich grundsätzlich von denen der kontinentalen Länder." 1967 sagte er ein weiteres Mal "Non", erst sein Nachfolger Pompidou machte den Weg frei für eine britische EWG-Mitgliedschaft.

Aus der EWG wurde die EG, schließlich die EU, doch die Briten blieben schwierige Partner. Noch heute zahlen sie lieber mit Pfund als mit Euro, und der Irak-Konflikt hat gezeigt, dass, aller anders lautender geografischer Kenntnisse, der Ärmelkanal breiter ist als der Atlantik.

Dabei hat Großbritannien das europäische Projekt immer nach Kräften unterstützt. Die Umsetzung der Ideen Jean Monnets hat Europa Frieden und Wohlstand gebracht, das weiß man auch in London. Aber Beigetreten sind sie nicht aus tiefer Überzeugung, sondern aus Pragmatismus (was aber wohl auf sehr viele der heutigen Mitglieder zutrifft). Die Briten sind keine schlechten Europäer, sie sind nur anders. Darum müssen wir wissen, und vielleicht kann man sich auch darüber ärgern, so wie der Hamburger Helmut Schmidt, der sehr für ihren Beitritt gekämpft hat. Heute sagt er, Margaret Thatcher habe ihm zu der Erkenntnis verholfen: "De Gaulle hatte Recht."

  • Thomas Birkner ist Koordinator für den Masterstudiengang "Journalistik und Kommunikationswissenschaft" an der Uni Hamburg.