Staatsanwaltschaft Hannover sieht “Anfangsverdacht der Vorteilsgewährung“. Bundestag muss entscheiden, ob dem Antrag stattgegeben wird.

Hannover/Berlin. In einem beispiellosen Schritt hat die Staatsanwaltschaft Hannover gestern die Aufhebung der Immunität von Bundespräsident Christian Wulff beim Bundestag beantragt, um strafrechtliche Ermittlungen einleiten zu können. Die Behörde sieht beim früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten (CDU) einen Anfangsverdacht auf Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung.

Die Staatsanwaltschaft teilte mit, nach umfassender Prüfung neuer Unterlagen und der Auswertung weiterer Medienberichte gebe es nun diesen Anfangsverdacht gegen das Staatsoberhaupt. Ermittelt wird in dem Zusammenhang auch gegen den Filmfondsmanager David Groenewold, der mit Wulff 2007 auf Sylt Urlaub machte. Groenewold hatte dabei die Hotelkosten zunächst bezahlt. Wulff will den Betrag später in bar beglichen haben. Die niedersächsische Landesregierung hatte einer Firma Groenewolds knapp ein Jahr zuvor eine Bürgschaft von vier Millionen Euro gewährt, die aber nie in Anspruch genommen wurde. Wulffs Anwalt Gernot Lehr wollte sich zu der Entscheidung der Ermittler nicht äußern. Auch Regierungs- und Unionsfraktionskreise lehnten gestern Abend jede Stellungnahme ab.

+++ Die Vorwürfe gegen Christian Wulff +++

+++ Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft im Wortlaut +++

+++ Entscheidung des Bundestages noch in diesem Monat? +++

Die SPD verlangt dagegen, dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattzugeben und die Immunität Wulffs aufzuheben. Dies müsse umgehend erfolgen, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der "Welt". Die SPD werde den Antrag befürworten. "Ich rechne damit, dass auch die Koalition dem zustimmen wird. Der Bundestag muss schließlich sicherstellen, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind." Generalsekretärin Andrea Nahles sagte: "Dass eine Staatsanwaltschaft gegen das Staatsoberhaupt ermitteln will, hat es noch nie gegeben. In meinen Augen ist eine staatsanwaltliche Ermittlung mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar." Die Partei bietet Kanzlerin Angela Merkel (CDU) seit Wochen an, gemeinsam nach einem überparteilichen Nachfolgekandidaten zu suchen.

+++ Zeitpunkt verpasst +++

Der Grünen-Politiker Christian Ströbele forderte Wulff zum sofortigen Rücktritt auf. Es sei unvorstellbar, dass demnächst Staatsanwälte das Schloss Bellevue durchsuchten. "Christian Wulff sollte die Konsequenzen ziehen", sagte Ströbele dem "Tagesspiegel". "Jetzt reicht's." Auch in der FDP nehmen die Zweifel an Wulff immer mehr zu. Bei den Liberalen werde Wulffs Verhalten mit "wachsender Sorge" beobachtet, hieß es aus Parteikreisen. "Ich glaube, das war's", zitiert die "Welt" ein Mitglied der FDP-Führung. Offizielle Stellungnahmen gab es nicht.

"Die Landesregierung nimmt zu einem laufenden Verfahren keine Stellung", war auch der knappe Kommentar von Regierungssprecher Franz Rainer Enste in Hannover. Aus Regierungskreisen war aber auch zu erfahren, man empfinde fast Erleichterung über das Vorgehen der Justiz und hoffe jetzt auf Wulffs raschen Rücktritt. Seit Wochen überlagert die Causa Wulff die Landespolitik und droht weniger als ein Jahr vor der Landtagswahl auch Wulffs Nachfolger als Ministerpräsident, David McAllister (CDU), zu beschädigen. Für die kommende Woche haben alle drei Oppositionsfraktionen bereits angekündigt, das Verhalten des Bundespräsidenten erneut zum Thema der Plenartagung zu machen. Wulff steht seit Wochen vor allem wegen seiner Beziehungen zu reichen Unternehmern in der Kritik.

+++ Christian Wulff im Umfragetief: Deutschland will den Rücktritt +++

Er sieht sich zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt, Vorteile angenommen zu haben. Angelastet werden ihm unter anderem die Inanspruchnahme eines günstigen Privatkredits für sein Haus, billiges Autoleasing und kostenlose Urlaube bei Unternehmern, mit denen er auch geschäftlich in seiner Zeit als Regierungschef in Niedersachsen zu tun hatte. Wulff regierte in Hannover zwischen 2003 und 2010.

Bei den strafrechtlichen Ermittlungen gegen Wulffs ehemaligen Sprecher Olaf Glaeseker gibt es noch kein Ergebnis. Der frühere Vertraute des Präsidenten soll als Regierungssprecher in Hannover dafür gesorgt haben, dass ein Wirtschaftstreffen des Eventmanagers Manfred Schmidt von Niedersachsen finanziell und organisatorisch unterstützt wurde. Gegen Schmidt wird wegen Bestechung ermittelt.