Der Aufstieg der AfD geht trotz interner Querelen weiter. Hat Ministerpräsident Tillich das Potenzial für die Populisten in Sachsen unterschätzt?

Dresden/Hamburg. Die Stärke der Kleinen ist die Schwäche der Großen. Eine alte Weisheit aus der Parteienforschung macht sich nach der Landtagswahl in Sachsen breit. Vor allem in Zeiten von großen Koalitionen zwischen CDU/CSU und SPD erstarken die kleineren und Splitterparteien. Grund: Viele Bürger wollen eine echte Opposition.

Und so hat nach dem Wahlerfolg der Alternative für Deutschland (AfD) der Parteienforscher Hendrik Träger den großen Parteien Defizite bescheinigt. „Da spielt vielleicht nicht nur Protest eine Rolle, sondern auch die strukturelle Schwäche der etablierten Parteien vor Ort. Das ist ein Vakuum, in das Protestparteien eindringen können“, sagte der an den Universitäten Leipzig und Magdeburg arbeitende Wissenschaftler. „Wenn die anderen Parteien vor Ort keine Leute haben, dann fehlen auch die Freiwilligen für Wahlkämpfe, die Plakate aufhängen, Flyer verteilen oder den kleinen Wahlkampfstand vor der Sparkasse haben.“

Nach Ansicht Trägers können Parteien, die einen populistischen Wahlkampf führen und auf Proteststimmen aus sind, in Sachsen relativ gut punkten: „Ob das am Ende etwas mit der Grenznähe zu tun hat, wird die Auszählung in den grenznahen Gebieten ergeben.“ Aber schon die Europawahl habe darauf hingedeutet, dass insbesondere in den ländlichen Gebieten nahe der Grenze viele Leute AfD wählten: „Das sind auch die Regionen, wo die NPD 2004 gut abschnitt.“

Die AfD holte auch Stimmen bei NPD-Anhängern

Die AfD hatte schon bei der Europawahl im Mai in Sachsen 10,1 Prozent der Stimmen und damit ihr bundesweit bestes Ergebnis erzielt. Jetzt waren es 9,7 Prozent. Für die rechtsextreme NPD ist die Sächsische Schweiz eine Hochburg.

Ministerpräsident Stanislaw Tillich muss sich nun einen neuen Koalitionspartner suchen. Zwar wurde seine CDU erneut mit weitem Abstand stärkste Partei. Die FDP erlebte aber ein weiteres Debakel und flog aus dem Landtag. Tillich hat nun rechnerisch die Wahl zwischen SPD, AfD und Grünen.

Ein Bündnis mit der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD) schloss er allerdings bereits aus. In Dresden und Berlin beraten die Parteigremien an diesem Montag über den Wahlausgang und die Konsequenzen. Die Linke wurde erneut zweistärkste Kraft, auch die Grünen schafften es wieder in den Landtag. Dagegen scheiterte die rechtsextreme NPD ganz knapp an der Fünf-Prozent-Hürde.

Die CDU holte ihr schlechtestes Ergebnis in Sachsen

Als wahrscheinlichste Koalition gilt in Dresden nun ein Bündnis von CDU und SPD. Die CDU kommt auf 39,4 Prozent (minus 0,8). Ihr bisheriger Partner FDP erreicht 3,8 Prozent (minus 6,2) – damit ist die letzte schwarz-gelbe Regierung auf Landesebene Geschichte. Die Linke liegt bei 18,9 Prozent (minus 1,7), die SPD bei 12,4 (plus 2) und die erstmals angetretene AfD bei 9,7 Prozent. Die Grünen erreichen 5,7 Prozent (minus 0,7), die NPD bekommt 4,95 Prozent (minus 0,7). Dies ergibt folgende Sitzverteilung: CDU 59, Linke 27, SPD 18, AfD 14 und Grüne 8.

Obwohl die CDU damit ihr schlechtestes Ergebnis bei Landtagswahlen in Sachsen erzielte, kann der im Mai 2008 ins Amt gekommene und im Land beliebte Tillich erneut die Regierung bilden. Vor allem die SPD mit Spitzenkandidat Martin Dulig hofft nun, Juniorpartner zu werden. CDU und SPD hatten Sachsen schon von 2004 bis 2009 zusammen regiert. Doch das Ergebnis löst eine Katerstimmung für die Etablierten aus. Denn die erstarkte AfD ließ sich von den Etablierten nicht im Zaum halten

AfD-Chef Lucke sieht die Partei „endgültig etabliert“

Eine Koalition aus CDU und AfD sieht Tillich nicht als Option an. „Wir werden uns einen Koalitionspartner suchen, mit dem wir auch gemeinsam für das Land etwas erreichen können. Und mit Sicherheit zählt dazu die AfD nicht“, sagte er in der ARD. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Thomas Strobl betonte in der „Leipziger Volkszeitung“: „Die AfD passt nicht zum Exportland Deutschland und sie passt auch nicht zur Europapartei CDU.“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière analysierte beim Sender Phoenix: „Bei der AfD gibt es viele, die ich Modernisierungsverlierer nenne, die mit der modernen Welt nicht mehr klar kommen.“ Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warnte in der „Leipziger Volkszeitung“: „Die Union wäre nicht gut beraten, wenn sie sich in Richtung Rechtspopulismus öffnete. Das wäre das klare Signal an die Wähler, die AfD auch in den nächsten Bundestag zu wählen.“

Für die AfD ist das Ergebnis ein Meilenstein. Das Ergebnis zeige, „dass die AfD als Partei jetzt endgültig angekommen ist in der deutschen Parteienlandschaft“, sagte Parteichef Bernd Lucke. Bei der Europawahl im Mai war die eurokritische Partei erstmals in ein Parlament eingezogen.

Für Debatten sorgte die geringe Wahlbeteiligung, die laut Endergebnis auf 49,2 Prozent zurückging (2009: 52,2 Prozent). SPD, Grüne, Linke und AfD gaben dafür der CDU die Schuld, da die Wahl auf das letzte Ferienwochenende gelegt wurde. Gabriel warf CDU-Landeschef Tillich vor, damit die geringe Wahlbeteiligung bewirkt und die extremen Parteien gestärkt zu haben.