Am Sonntag entscheidet sich nicht nur, wer in Sachsen regiert. Fünf Gründe, warum auch Bundespolitiker gespannt nach Dresden schauen

Hamburg/Dresden. Martin Dulig, Spitzenkandidat der SPD in Sachsen, saß wochenlang einfach nur an seinem Küchentisch. Mitten im Wahlkampf. Der 40 Jahre alte Politiker hat das Möbelstück mitgenommen, auf Sachsens Marktplätze und in Fußgängerpassagen. „Küchentischtour“ nannte er die Idee. Und sein Gemütlichkeits-Wahlkampf feiert zumindest einen kleinen Erfolg. Die SPD krebste in Sachsen lange bei zehn Prozent herum, nun liegen die Sozialdemokraten in Umfragen bei 13 Prozent der Stimmen.

Daher ist Duligs SPD nur eine Randerscheinung bei der Entscheidung der 3,4 Millionen Wahlberechtigten über den Landtag in dem Bundesland an diesem Sonntag. Andere stehen im Mittelpunkt – die FDP zum Beispiel, oder die Alternative für Deutschland (AfD), aber auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Einige Weichen werden in Sachsen gestellt, die auch für die Bundespolitik von Bedeutung sind.

1. „Weiter so“-Politik funktioniert nicht – nicht in Sachsen, nicht im Bund

Stanislaw Tillich wollte es so machen wie Angela Merkel (CDU) im Bundestagswahlkampf im vergangenen Jahr. Die Parole des Ministerpräsidenten hieß: „Läuft doch alles gut mit Schwarz-Gelb. Also weiter so.“ Das hätte funktionieren können. Sachsen gilt als vorbildlich im Schuldenabbau, die Ergebnisse in Bildungsstudien überzeugen. Seit 2009 regiert die CDU mit der FDP, eine schwarz-gelbe Koalition wie vor 2013 im Bund. Doch wie überall in der Republik schwächelt die FDP. Also scheint Tillichs Plan der „Weiter so“-Politik nicht aufzugehen, er braucht möglicherweise einen neuen Partner. Wie Merkel 2013 auch. Würde die einzig verbliebene schwarz-gelbe Landesregierung bestätigt, könnte Merkels Bundes-CDU wieder stärker auf eine Rückkehr der FDP in den Bundestag setzen – und damit auf eine Wiederauflage ihrer Wunschkoalition. Doch danach sieht es nicht aus.

2. Sachsen könnte das nächste schwarz-grüne Experiment erleben

Auf der Suche nach einer möglichen Regierungskoalition hat sich Tillich während des Wahlkampfs den Grünen gegenüber geöffnet. Die Partei sitzt in sieben Bundesländern in der Regierung – bisher jedoch allesamt im Westen. In Sachsen stehen die Grünen in den Umfragen bei rund sechs Prozent. Und klassische grüne oder linke Themen wie Braunkohleförderung und Massentierhaltung spielen im Wahlkampf neben der Bildungspolitik eine große Rolle. Vor allem bei der Energiepolitik müsste Tillichs CDU im Fall von Schwarz-Grün auf die Grünen zugehen. Deren Spitzenkandidatin Antje Hermenau gehört zu den Pragmatikern. Einer grün-schwarzen Kooperation steht sie offen gegenüber.

3. Die FDP muss um die letzte Bastion in deutschen Regierungen fürchten

Nur noch in einem Bundesland regieren die Liberalen mit. In Sachsen. Sie werden angeführt von Holger Zastrow, der sich immer wieder auch in bundespolitische Themen eingemischt hat. Den Wahlkampf führte Zastrow weitgehend ohne liberale Bundes-Prominenz. Nach der Wahlschlappe bei der Bundestagswahl 2013 zog er sich aus der Hauptstadt zurück. Manche werfen ihm vor, dass er zu viel Zeit in seiner Werbeagentur verbracht hätte. Zastrow hat in der Koalition in Dresden kein Ministeramt – und habe damit Strahlkraft für die FDP verspielt, heißt es. In den Umfragen steht die Partei unter vier Prozent. FDP-Bundeschef Christian Lindner hat einer drohenden Niederlage schon mal vorgebaut: Der „Prozess der Wiederaufrichtung“ der Liberalen brauche seine Zeit. Schafft es die FDP in Sachsen in den Landtag, bleibt es wohl bei Schwarz-Gelb. Und der Retter Zastrow könnte auch in der Bundes-FDP wieder stärker mitmischen.

4. Die Alternative für Deutschland (AfD) kann sich als Protestpartei etablieren

Zum ersten Mal könnte die rechtskonservative AfD in einen Landtag einziehen. Die Eurokritiker erzielten bei der Europawahl im Mai landesweit starke 10,1 Prozent. In den Umfragen liegt die Partei bei sechs Prozent. Vor allem der CDU macht das Sorgen, denn besonders in ihrer Wählerschaft wildert die AfD – und offenbar weniger bei der maroden rechtsextremen NPD. Die Parolen der AfD hängen auf etlichen Plakaten in Sachsen: „Rettungsschirme für Schulen statt Banken“ oder „GEZ abschaffen“. Doch Protest ist schnell plakatiert. Sollte die AfD ins Parlament einziehen, muss sie beweisen, dass sie auch konstruktiv die Opposition einnehmen kann. Oder gar regieren? Merkel hat ein Bündnis mit der AfD im Bund ausgeschlossen. Tillich hat das für Sachsen nicht eindeutig getan.

5. Sachsen gibt die Richtung vor für weitere Wahlen im Osten

Thüringer Politiker schauen gespannt auf die Abstimmung zwei Wochen vor der Landtagswahl in ihrem Land. Immerhin geht es um zwei CDU-Bastionen in wirtschaftlich recht erfolgreichen Ost-Ländern. Die Linke setzt in Thüringen alles daran, im Gespann mit der schwächeren SPD ihren bundesweit ersten Ministerpräsidenten zu stellen. Dort kommt die Partei zuletzt auf 26 Prozent in den Umfragen, in Sachsen auf 20. In Brandenburg wird ebenfalls in zwei Wochen gewählt. Dort sieht es dagegen in den Umfragen gut aus für die SPD. Ostdeutschland steht vor einer entscheidenden Frage: Wie kann der erreichte Wohlstand bei sinkenden Finanzhilfen von der EU und aus dem Westen bewahrt werden? Für die Wähler im Osten geht es bei den Wahlen auch darum, welche Regierung sie durch diesen Wandel führen soll.